Lübeck: Kuratorin Angelina Whalley spricht über die "Körperwelten" in der Kulturwerft Gollan

Wer sich mit der Ausstellung „Körperwelten“ auseinandersetzt, kommt an ihr nicht vorbei: Dr. Angelina Whalley, die Ehefrau von Plastinator Dr. Gunther von Hagens. Sie hat die Anatomie-Schau in der Kulturwerft Gollan kuratiert, also inhaltlich zusammengestellt und gestaltet. Die 59-Jährige ist in Hannover aufgewachsen und hat später in Berlin und Heidelberg Medizin studiert, wo sie 1986 promovierte. In der Heidelberger Uni-Anatomie lernte sie von Hagens kennen, den sie im Jahr 1992 heiratete. Seit Anbeginn, also seit einem Vierteljahrhundert kuratiert sie nun die „Körperwelten“. Wie hat sich bei Ihnen eigentlich die Liebe zur Anatomie entwickelt? Angelina Whalley: Eigentlich hatte ich damals in meinem Medizin-Studium unbedingt den Plan gefasst, Chirurgin zu werden. Und ich wollte mir, bevor ich dann in diese männerdominierte OP-Welt eintauche, noch eine für das Operieren nützliche Zusatzqualifikation aneignen. Der Plan war also, ein halbes bis zu einem ganzen Jahr in die Anatomie zu gehen. Dort habe ich jedoch meinen heutigen Ehemann kennengelernt, sodass mich mein beruflicher Weg in eine andere Richtung geführt hat. Verantwortlich seit dem Start der „Körperwelten“: Haben Sie die Entscheidung mal bereut? Anfänglich war es wirklich schwierig für mich, meinen ursprünglichen Plan aufzugeben. Aber als wir dann mit den öffentlichen Ausstellungen begannen, drehte sich das Rad für mich. Ich habe gemerkt, dass ich da ein Händchen für habe und es gerne mache, weil es sehr vielseitig ist. Seit es die „Körperwelten“ gibt, bin ich dafür verantwortlich. Als Sie mit den „Körperwelten“ vor 25 Jahren begonnen haben, waren Sie zum Teil mit sehr heftiger Kritik konfrontiert. Wie sind Sie damit umgegangen? Jede Kritik ist legitim und durchaus verständlich. Ich sehe es aber nicht als negativ an, sondern ganz im Gegenteil. Schließlich betrifft das, was wir zeigen, einen sehr sensiblen Bereich – unser Leben. Ganz wesentliche Fragen werden in den „Körperwelten“ aufgeworfen. Ich bin aber sehr froh, dass diese Verbotsrufe – wie in unserer Anfangszeit – nicht mehr da sind. Es war in dieser Phase ein stetiger Abwehrkampf; entsprechend haben wir es aus dieser Verteidigungshaltung sicherlich auch zu Beginn zu wenig herausgearbeitet, was die Ausstellung ist, was wir mit ihr bezwecken. Blick auf die eigene körperliche Existenz: Können Sie das kurz zusammenfassen? Als Kuratorin möchte ich stets eine Ausstellung präsentieren, die für den Laien verständlich ist und den Blick auf den eigenen Körper verändert. Man findet sofort Dinge, die mit dem eigenen Leben zu tun haben; die Kraft der Ausstellung liegt darin, dass man mit einem neuen geschärften Blick auf die Notwendigkeiten seiner körperlichen Existenz blickt. Sie zeigen die „Körperwelten“ auch auf anderen Kontinenten. Unterscheiden sich die Reaktionen der Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung je nach Land und Kulturkreis? Eins vorab: Diese Aufgeregtheit aus der Anfangszeit haben wir bisher nur so in Deutschland erlebt; das hat wohl auch ein Stück weit mit der deutschen Geschichte zu tun, dass menschliche Körper in entmenschlichender Weise missbraucht werden könnten. Aber auch diese Auseinandersetzung finde ich wichtig, wenn sie differenziert und sachlich erfolgt. Also gibt es Unterschiede? Wenn wir von Deutschland absehen – eigentlich nicht. Die Reaktionen sind doch erstaunlich ähnlich. Vor Kurzem waren wir das erste Mal in einem arabischen Land, im Emirat Abu Dhabi. Das war allerdings schon eine besondere Herausforderung. Es gab eine lange Diskussion darüber, ob die Präparate einen Lendenschurz tragen müssen oder nicht. Aber die dortige Universität, in deren Räumen das Ganze stattfand, hat dann doch im Sinne der Wissenschaft davon abgesehen. Wir waren auch schon in Israel, weil wir dort ins Science Museum nach Haifa eingeladen worden waren. Alles, was Lübeck voranbringt: Jeden Montag gegen 18 Uhr in Ihrem Postfach. Hier kostenlos für den Newsletter „Lübeck next“ anmelden! Sie haben die Wirkung der „Körperwelten“ auf die Besucherinnen und Besucher sogar mal wissenschaftlich untersuchen lassen... Stimmt – so hat uns die Universität Kassel mal in mehreren Ausstellungen begleitet. Eine Untersuchung darunter war sogar besonders aufwendig; da hat man die Besucherinnen und Besucher vor dem Betreten der Ausstellung befragt, dann nach dem Besuch und noch einmal ein halbes Jahr nach Ausstellungsende. Und wie fiel das Ergebnis aus? Nach dieser Erhebung hatte zum Beispiel fast jeder zehnte Studienteilnehmer nach dem Besuch der „Körperwelten“ mit dem Rauchen aufgehört. Und 25 Prozent berichteten, dass sie jetzt körperlich aktiver seien, also mehr Sport machen. Und über 30 Prozent sagten, dass sie sich nun mehr um eine gesündere Ernährung bemühen würden. Diese Nachhaltigkeit freut uns natürlich. Ganzkörperplastinate sollen Annäherung erleichtern: Wäre es nicht sinnvoll, alles etwas nüchterner darzustellen – ohne posierende, spektakuläre Ganzkörperplastinate wie zum Beispiel Schachspieler, Hürdenspringer oder Yogalady? Als wir vor 25 Jahren mit den „Körperwelten“ begonnen haben, haben wir die Körper in keiner Weise inszeniert. Es handelte sich um Plastinate, die für Lehrzwecke hergestellt wurden. Aber die Kritik einiger Besucher lautete damals: Die sehen ja zum Fürchten aus, die sehen so tot aus. Heute zeigen wir die Körper in natürlichen Lebensposen. Das hilft dem Betrachter, sich dem Exponat zu nähern, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Die Ausstellung „Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ läuft von Montag, 22. Juni, bis Donnerstag, 3. September auf über 1400 Quadratmetern Fläche in der Kulturwerft Gollan, Einsiedelstraße 6. Täglich ist von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Der letzte Einlass ist jeweils um 18 Uhr. Eintrittskarten gibt es vor Ort an der Tageskasse sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen. Auch online direkt unter www.koerperwelten.de sind Tickets zu bekommen sowie unter der Telefon-Hotline 018 06/700 733. Die Ticketpreise sind wie folgt: Erwachsene zahlen montags bis freitags 19 Euro, sonnabends und sonntags 21 Euro, Kinder ab sieben Jahren und Jugendliche 13 Euro werktags beziehungsweise 15 Euro am Wochenende. Eine Familienkarte (2 Erwachsene plus 2 Kinder oder 1 Erwachsener und 3 Kinder) kostet 45 beziehungsweise 49 Euro. Darüber hinaus gibt es spezielle Gruppenangebote und Ermäßigungen. So dürfen zum Beispiel zwei Studierende immer montags für 15 Euro die Ausstellung besuchen. Für Gruppenbuchungen und Schulklassen gibt es eine spezielle Hotline: Telefon 069/7427 262 699 (montags bis freitags 8 bis 19.30 Uhr, sonnabends 10 bis 18 Uhr, sonntags 10 bis 15 Uhr). Ebenfalls möglich ist eine Buchung per E-Mail über koerperwelten-luebeck@reservix.de Exklusive Angebote gibt es außerdem für LN-Abonnenten mit einer LN-Abo-Plus-Karte. Der Rabatt von 25 Prozent wird bis zum 31. Juli auf Erwachsenen- und Familienkarten gewährt. Der Nachlass ist über die LN-Tickethotline, Tel. (0451) 144 13 94 unter Nennung der Abo/Kundennummer oder bei Kauf am Eingang der Ausstellung gegen Vorzeigen der Karte erhältlich. Mehr Infos: www.koerperwelten.de Sie verweisen darauf, dass rund 19 000 Menschen in Ihrem Körperspender-Programm aufgenommen worden sind. Gehen diese nicht als Organspender für Transplantationen verloren? Nein, da viele unserer Körperspender auch gleichzeitig Organspender sind. Wir möchten auch dazu motivieren, dass man zuerst seine Organe für Transplantationen zur Verfügung stellt. Allerdings ist es in all den Jahren noch nicht zu einer Organspende gekommen, da die Situation des Ablebens dies verhindert hat. Deshalb sind die meisten Organspender ja auch Unfallopfer, bei denen man die Lebensfunktionen des Körpers in der Klinik bis zur Organentnahme noch aufrecht erhalten kann. Körperwelten in Lübeck: Ausstellung ab 22. Juni in der Kulturwerft Gollan Ausstellung Körperwelten in Lübeck: Wenn Tote das Leben erklären Körperwelten in Lübeck: Tickets und Öffnungszeiten für die Ausstellung Bildergalerie: Das sind die „Körperwelten“ Körperwelten: Das sagen die Lübecker zur Ausstellung Ausstellung "Körperwelten" in Lübeck - Kirchenkritik an Anatomie-Schau Evangelischer Altbischof ärgert sich über "Körperwelten" in Lübeck "Körperwelten": Lübecks Uni-Anatomie erforscht täglich Leichen-Aufbau „Körperwelten“: So läuft der Aufbau bei Gollan Ausstellung „Körperwelten“ in Lübeck: So lief die Eröffnung in der Kulturwerft „Körperwelten“: Deshalb spenden sie ihren Körper Von Michael Hollinde