Lübeck: Ministerin Karin Prien sieht Schulen für Start gut vorbereitet

Am Montag startet der Schulunterricht. Was passiert, wenn es in einer Schule zu einem Corona-Ausbruch kommt? Die Kieler Bildungsministerin Karin Prien erklärt im LN-Interview den Reaktionsplan, spricht über Maskenpflicht und Digitalisierung von Schulen. Frau Prien, wie haben sie die Corona-Krise bisher privat erlebt? Als Familie konnten wir viel mehr Zeit miteinander verbringen. Mein ältester Sohn kam aus Süddeutschland vom Studium nach Hause zurück, unser mittlerer Sohn kam aus dem Praktikum in Südamerika zurück, wir waren für sechs Wochen zu fünft zu Hause, das war sehr schön. Allerdings ist mir der mangelnde Kontakt zu Eltern und Freunden schwergefallen, auch das Abgeschnittensein von Kultur. Die Dichte an Telefonkonferenzen und das Arbeiten sieben Tage die Woche waren herausfordernd. Montag geht es los mit der Schule. Haben sie Angst vor Hotspots in den Schulen? „Folgeschäden der Schulschließungen sind immens“: Wir haben von Anfang an alle Entscheidungen immer unter Hinzuziehung der besten Experten im Land getroffen. In den ersten Monaten haben wir aus Infektionsschutzgründen die Schulen sehr schnell geschlossen und sehr spät wieder aufgemacht. Wir müssen heute feststellen, dass die Folgeschäden immens sind. Es wird einzelne Ausbrüche von Infektionen in Deutschland und auch in Schleswig-Holstein geben. Aber wir müssen alles dafür tun, dass Schulen geöffnet bleiben können. Sind die Schulleitungen ausreichend vorbereitet? Ja, die Abläufe sind bekannt, die Schulen wissen, wen sie zu informieren haben, wenn etwas passiert. Auf Grundlage des aktuellen Infektionsgeschehens haben die Schulen am Freitag einen Corona-Reaktionsplan als aktuelle Ausdifferenzierung des Hygienekonzeptes bekommen, den wir gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium entwickelt haben. Darin steht, welche zusätzlichen Maßnahmen bei einem Infektionsausbruch in Betracht kommen. Ist das nicht zu spät? Nein. In Schleswig-Holstein ist das Infektionsgeschehen sehr niedrig. In Lübeck und Ostholstein gibt es so gut wie keine neuen Fälle. Der Lernsommer – das Angebot von Schulen in Schleswig-Holstein, während der Sommerferien Schülerinnen und Schüler zu unterrichten – war aus Sicht von Bildungsministerin Karin Prien (CDU) ein voller Erfolg. „Wir haben 3800 Schülerinnen und Schüler damit erreicht“, erklärt die Ministerin den LN, „alle Schulen, die sich beteiligt haben, waren begeistert.“ Landesweit stellten sich 263 Lehrkräfte zur Verfügung. Lübeck war Spitze bei der Beteiligung am Lernsommer. Kritik daran gab es auch. Karin Prien: „Aber die war abstrakt.“ Was passiert, wenn in einer Schule ein Fall auftritt? „Mich erreichen ganz extreme Positionen“: Dann werden das Gesundheitsamt und das Schulamt unverzüglich unterrichtet, um Maßnahmen einzuleiten. Wir haben zusätzlich zusammen mit dem UKSH eine Task Force eingerichtet, die sofort Mitarbeiter in die betroffene Schule schicken kann. Dann beginnen sofort Testungen und es wird Quarantäne angeordnet. Die Task Force wird auch Eltern und Umfeld der Infizierten testen. Das Ziel ist, dass wir nicht ganze Schulen schließen müssen, sondern nur einzelne Kohorten oder Teile von Schulen und nur möglichst kurz. Können Sie die Kohorte einmal erklären? Das ist ein lateinisches Wort für eine feste Gruppe. In der Grundschule ist es die Klasse, bei älteren Jahrgängen können es ganze Jahrgänge sein. Das Thema ist mit großen Ängsten behaftet. Was kommt bei Ihnen an? Mich erreichen ganz extreme Positionen. Die einen werfen mir vor, den Kindern werde das Recht auf Bildung vorenthalten. Andere sorgen sich um die Gesundheit der Kinder. Unsere Aufgabe ist, die verschiedenen Blickwinkel zu berücksichtigen. Wie gehen Einschulungen vonstatten? Die finden ganz normal statt. Die Schulen legen fest, ob mehr Menschen als die Eltern dabei sein können. Das hängt von den räumlichen Verhältnissen vor Ort ab. Es kann nicht alles von Kiel aus festgelegt werden. Reden wir über Maskenpflicht. Warum empfehlen Sie das Tragen ab der 7. Klasse? Maskenpflicht kann noch kommen: Wir haben die Grundschulen seit dem 8. Juni wieder aufgemacht. Es gab Unterricht unter Corona-Bedingungen und wir haben keine Infektionen gehabt. Auf Schulhöfen, in den Pausen und auf den Laufwegen ist der Mund-Nasen-Schutz empfohlen worden und das hat gut geklappt. Wir haben keine Veranlassung zu glauben, dass sich Kinder daran nicht halten. Wir sprechen jetzt die dringende Empfehlung aus, Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Im Unterricht auch die Klassen 7 und älter. Sollten wir feststellen, dass die Empfehlung nicht befolgt wird, kommt auch für Schleswig-Holstein eine Maskenpflicht in Betracht. Das werden wir nach den ersten zwei Wochen beraten. Masken sind ja auch nicht alles. Die Hygienekonzepte sehen versetzte Pausen, Händedesinfektion und bestimmte Laufwege vor. Bei niedrigem Infektionsgeschehen mit einer Maskenpflicht zu arbeiten, halte ich nicht für angemessen. An den 792 öffentlichen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen werden zum Schuljahresbeginn rund 363 150 Schülerinnen und Schülern erwartet. Das ist laut Kieler Bildungsministerium gegenüber dem Vorjahr ein leichter Rückgang um 0,2 Prozent (absolut -700). Für 23 000 Schülerinnen und Schüler ist es ihr erster Tag in der Grundschule (Vorjahr 22 600). Rund 275 200 Kinder und Jugendliche besuchen die allgemeinbildenden Schulen – also Förder-, Grund- und Gemeinschaftsschulen sowie Gymnasien. Im Vorjahr waren es rund 274 400, somit ist ein Anstieg von 0,3 Prozent zu verzeichnen. An den 393 Grundschulen steigt die Zahl der Kinder um 1,1 Prozent auf gut 100 900 Schülerinnen und Schülern. Die Zahl der Schülerinnen und Schülern an 137 Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe und 44 Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe sinkt leicht um 0,5 Prozent auf rund 95 100. Die Schülerzahlen an den 99 Gymnasien steigen leicht auf rund 73 800. An den 84 Förderzentren geht die Schülerzahl um 100 zurück auf 5100. Für die 34 berufsbildenden Schulen wird ein Rückgang der Schülerzahlen um rund 1500 Schülerinnen und Schüler auf gut 87 900 erwartet. Warum ab 7. Klasse? Die medizinischen Fachgesellschaften sagen, dass Jugendliche ab 14 Jahren anders zu behandeln sind als jüngere Schüler. Ein Gutachten dazu liegt seit Dienstag vor. Es sieht eine Maskenpflicht erst ab 14 und ab 50 Infizierte pro 100 000 Einwohner vor. Ganz viel Unterricht ist wegen Corona ausgefallen. Es gibt einen großen Lernrückstand. Soll das alles aufgeholt werden oder entschlacken Sie die Lehrpläne? Videokonferenzsystem und Glasfaseranschlüsse: Die Lernrückstände sind unterschiedlich groß. Die werden an allen Schulen festgestellt. Wir haben den Schulen die Instrumente zur Verfügung gestellt. Ich habe keine Sorge, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Prüfungen nicht schaffen. Streben Sie bei der Digitalisierung einheitliche oder individuelle Lösungen an? Das Land hat ein einheitliches Lernmanagementsystem beschafft. 450 von knapp 800 wollen sofort damit beginnen. Ab der nächsten Woche schließen wir jede Woche 100 Schulen an. Mit Fortbildungen haben wir begonnen. Wir haben ein Videokonferenzsystem für alle Schulen am Start. Rund 600 Schulen verfügen über Glasfaseranschlüsse. Wir haben einen Plan für alle Facetten der Digitalisierung und viel mehr Geld zur Verfügung als vor der Corona-Krise. Werden Sie Hybridlösungen – also die Mischung aus Fern- und Präsenzunterricht – vorantreiben? Schule war bis März ein reiner Präsenzbetrieb, und alle Digitalisierungsbemühungen waren darauf ausgerichtet. Jetzt werden wir deutlich mehr Elemente von Distanzunterricht einbauen müssen. Vieles, was wir jetzt tun, werden wir in die Zeit nach Corona mit hinüber nehmen. Wir werden noch einmal erheblich Geld investieren müssen. Tausende Schülerinnen und Schüler fahren täglich in beengten Schulbussen. Ist das nicht viel gefährlicher als die Schule selbst? Können Sie das regeln? Schülerbeförderung: Mit Masken keine Gefahr: Nein, das ist Aufgabe der Schulträger. Wir haben die Schulträger gebeten, die Beförderung zu entzerren. Aber es gibt nur begrenzte Kapazitäten. Unsere Experten sagen: Mit Mund-Nasen-Schutz und bei relativ kurzen Fahrten ist es vertretbar. Es gibt Lehrkräfte, die gegen ihre Unterrichtspflicht in Corona-Zeiten klagen. Wie ist Ihre Haltung dazu? Wir haben zehn Fälle vorliegen – bei rund 28 000 Lehrkräften im Land. Laut Gericht haben sie wenig Aussicht auf Erfolg. Wir werden sehen, wie die Gerichte entscheiden. Sollte eine zweite Welle kommen, wird es keine komplette Schulschließung geben? Keinen erneuten Schul-Lockdown für das ganze Land: Unser Ziel lautet, regional und punktuell zu schließen, wenn das Infektionsgeschehen es erfordert. Wir wollen vermeiden, wieder in einen Schul-Lockdown für das ganze Land zu gehen. Sollte es einen Impfstoff geben, wären Sie für eine Impfpflicht? Ich gehe davon aus, dass sich ein ganz überwiegender Teil der Menschen freiwillig impfen lässt, wenn es einen Impfstoff gibt. Die Diskussion ist völlig verfrüht. Was wünschen Sie sich für den kommenden Montag? Prien: Ich wünsche mir, dass wir alle gemeinsam Verantwortung dafür übernehmen, dass möglichst viel Schule stattfinden kann. Das funktioniert nur, wenn wir alle aufeinander Rücksicht nehmen. 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