Lübeck: Patienten lassen Corona-Frust an Arzthelferinnen aus

Auch wenn sie selbst nicht in einer Arztpraxis tätig ist – Susanne Rueß-Thormann ist nah dran an der Befindlichkeit angehender Arzthelferinnen und Arzthelfer beziehungsweise den Medizinischen Fachangestellten, kurz MFAs. Denn ein- bis zweimal pro Woche müssen die jungen Auszubildenden regelmäßig in ihrem dreijährigen, dualen Werdegang die Schulbank drücken. „Da ist man menschlich schon eng beieinander“, sagt die Abteilungsleiterin Gesundheitsberufe der Dorothea-Schlözer-Schule und das, was sie seit einigen Wochen und Monaten zu hören bekommt, erschreckt sie zunehmend. „Wenn ich mich in unseren MFA-Klassen umhöre, berichtet die überwiegende Mehrheit von einer starken Zunahme der Anspannung und der Belastung, von Pöbeleien durch Patienten, von Schubsern und heftigen Schlägen auf den Tresen, bis hin zu tätlichen Angriffen“, zählt die Studiendirektorin auf. Davon betroffen seien am deutlichsten Allgemeinpraxen – wo also Corona zum Alltag gehöre – merkt sie noch an. Arzthelferinnen sind in der Pandemie besonders beansprucht: Deshalb begrüßt die Pädagogin ausdrücklich, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass nicht nur Pflegefachkräfte in dieser Corona-Pandemie physisch und psychisch besonders beansprucht seien, sondern auch in besonderer Weise die MFAs. Damit spielt sie auf den Vorstoß der vier Hausärzte vor dem Mühlentor an, die sich in der Hansestadt mit dieser Thematik als erste an die Öffentlichkeit gewandt haben. Übersicht für Schleswig-Holstein: Wie stark verbreitet sich die Corona-Erkrankung? Übersicht für Deutschland: Die Gesamtentwicklung, alle Hotspots und Reisewarnungen Diese beiden Artikel sind kostenlos für alle lesbar, die nachfolgenden regionalen Analysen sind LN-Plus-Lesern vorbehalten. Interaktive Karte: Wo sind die Corona-Hotspots in Schleswig-Holstein? Analyse: Gibt es mehr Corona-Infektionen, weil auch mehr getestet wird? Mehr aus Ihrer Region: Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Lübeck Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Ostholstein Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Segeberg Zahlen und Fakten zum Coronavirus im Kreis Herzogtum Lauenburg Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Stormarn Der Vorsitzende des Lübecker Ärztenetzes, Dr. Sven Soecknick, hat inzwischen viele Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen bekommen und bestätigt ebenfalls die sehr angespannte Lage. „Es herrscht ein zunehmender Druck an den Anmeldungen, weil alle Menschen wegen Corona unter Druck sind; alle haben Angst“, so die Analyse des Facharztes für Allgemeinmedizin. Dies führe mitunter zu sehr unschönen emotionalen Entladungen von Patienten in den Praxen. Allerdings werde die Situation mitunter noch durch nicht einzulösende Versprechungen aus der Politik verschärft. „So kommen die Patienten zu uns an den Tresen und fordern nachdrücklich ,Ich will jetzt sofort einen Corona-Test’ oder ,Jeder soll sich doch nun gegen Grippe impfen lassen. Ich will das jetzt auch machen’“, weiß Soecknick zu berichten. Thema Grippeschutzimpfung hat für viel Unmut gesorgt: Insbesondere das Thema Grippeschutzimpfung habe im Herbst schon für ganz viel Unmut gesorgt. „Wir hatten schon reichlich bestellt; aber in diesem Jahr kamen auf einmal auch Risikopatienten, die sich in all den Jahren zuvor nie haben impfen lassen“, erklärt der Mediziner, „da waren unsere Vorräte wie auch die der Kollegen natürlich schnell aufgebracht.“ Vonseiten der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Bad Segeberg heißt es dazu: „Die schleswig-holsteinischen Ärzte haben bereits Ende des vorigen Jahres 20 Prozent mehr Impfstoff für 2020 geordert als im Vorjahr. Diese Menge müsste ausgereicht haben, um sowohl das medizinische Personal als auch die Risikopatienten zu impfen.“ Neue Testverordnung in SH: Wer jetzt nur noch getestet wird Kürzere Quarantäne: Das sind die neuen Regeln für Reiserückkehrer So verhalten Sie sich, wenn Sie keinen Corona-Test bekommen Das sind die neuen Corona-Schnelltests – und so werden sie eingesetzt Positiv auf Corona getestet worden, aber nicht ansteckend? Was der Ct-Wert über die Infektiosität verrät Drosten: PCR-Corona-Tests sind „zweifelsfrei“ Was unterscheidet den Corona-Schnelltest vom PCR-Nachweis? Wie entscheidend sind „falsch positive“ Testergebnisse? Darüber hinaus habe aber das Bundesgesundheitsministerium zusätzliche sieben Millionen Dosen im Frühjahr bestellt, die voraussichtlich Ende November ausgeliefert werden sollen, so der Hinweis von KV-Pressesprecher Nikolaus Schmidt. Trotz dieser Aussicht betont Sven Soecknick: „Wir müssen aufklären, dass sich bitte nicht jeder gegen Grippe impfen lassen muss. Denn das hat mit einem Schutz gegen Corona erst mal nichts zu tun.“ Das Berufsbild der MFA wird nicht leiden: Dass der Beruf der MFA unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen unattraktiv werden könnte, befürchtet Susanne Rueß-Thormann jedoch nicht. „Die Herausforderungen dieses Berufsbildes, das sehr vielseitig ist und eine Schlüsselstellung in jeder Praxis bedeutet, werden nun noch mal besonders deutlich. Allerdings braucht es Team-Strategien in jeder Praxis, um die angesprochenen Konflikte zu lösen“, stellt sie fest. KV-Sprecher Nikolaus Schmidt ist in diesem Zusammenhang die Botschaft wichtig: „Keine Praxis würde jetzt den Anforderungen entsprechen, wenn die MFAs nicht die wesentlichen Prozesse steuern würden. Dafür gebührt allen ein besonderer Dank.“ Lesen Sie auch: Ärzte als Corona-Leugner: So will die Ärztekammer SH jetzt vorgehen Lübecks Uni-Forscher setzen Elisa-Studie zur Covid-19-Ausbreitung fort Corona-Studie: Übergewichtige haben höheres Risiko Von Michael Hollinde