Lübeck: Schulleiter gegen Abschlussprüfungen im Corona-Jahr

Unterricht statt Abschlussprüfungen: Eine Gruppe von Lübecker Schulleitern von Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe hat eine E-Mail an das Kieler Bildungsministerium geschrieben. Darin bitten sie um eine Aussetzung der Abschlussprüfungen in diesem Corona-Schuljahr. Es geht um die Prüfungen für den Ersten Allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA) und den Mittleren Schulabschluss (MSA). Bei einem Verzicht auf diese Prüfungen, die Ende März vorgesehen sind, könnten die Gemeinschaftsschüler noch bis Anfang Juni unterrichtet werden. Das wären sieben Wochen mehr, in denen die Defizite aus der Zeit der Schulschließungen wegen Corona aufgeholt werden könnten. Acht von elf Schulleitern sollen unterzeichnet haben: Die Schüler würden ohne Prüfungen eine Abschlussnote erhalten, die sich aus den erbrachten Leistungen im laufenden Schuljahr ergeben. „Wir sehen uns in der Lage, die Schülerinnen und Schüler zu beurteilen“, sagt Lutz Glaeßner von der Holstentor-Gemeinschaftsschule. Dort stehen Prüfungen für 33 Neuntklässler und 69 Zehntklässler an. Acht von elf Schulleitern sollen nach LN-Informationen die Mail an das Ministerium unterzeichnet haben. Auf eine LN-Umfrage haben nur wenige reagiert. „Ich bin nicht für das Aussetzen der Prüfungen“, sagt Gesine Weinhold, Leiterin der Schule am Meer in Travemünde. „Meiner Meinung nach haben die Schüler eine Wissensbasis erworben, auf die sie trotz der fehlenden Wochen im ersten Lockdown und der fehlenden Tage im zweiten Lockdown zurückgreifen können.“ Schüler sehen die Prüfungen skeptisch: Die Vorbereitung auf MSA und ESA in Kleingruppen habe in den letzten Wochen sehr gut funktioniert, erklärt Weinhold. An der Schule am Meer stehen 82 Schüler vor dem Abschluss. „Dies ist allerdings meine persönliche Meinung“, sagt Weinhold, „auch bei uns im Kollegium gibt es unterschiedliche Stimmen.“ Die Schulleiterin macht sich große Sorgen um den jetzigen 8. Jahrgang, der sehr lange keinen Unterricht gehabt habe. Lesen Sie auch Nach Corona-Ausbruch bei Sana in Lübeck: Praxisklinik Travemünde dicht Impftermine: Senioren bekommen in SH jetzt Post Geheimauftrag für Marine aus Kiel: Russisches U-Boot in der Ostsee beschatten Auch Schüler machen sich große Sorgen. Die 16-jährige Dzenisa Dzudzevic von der Holstentor-Gemeinschaftsschule (HGS) würde es begrüßen, wenn die Abschlussprüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) im Corona-Jahr ausgesetzt würden. „Das Homeschooling ist schwierig, und viele Schüler stehen jetzt sehr unter Druck“, sagt die Zehntklässlerin. Aus ihrer Sicht ist die Zeit bis zu den Prüfungen Ende März zu kurz. „Viele Schüler fühlen sich nicht gut genug vorbereitet“, sagt Dzenisa. So sieht es auch Wilhelm Lichtenfeld (15). Er besucht ebenfalls die HGS und hofft auf ein Aussetzen der Schulabschlüsse. „Das wäre fair“, sagt er, „Homeschooling und Wechselunterricht können den Präsenzunterricht nicht ersetzen. Man bekommt einfach nicht so viel mit.“ Außerdem wisse man nicht, wie sich die Corona-Zahlen jetzt noch entwickeln. „Für uns Schüler bedeutet das alles viel Ungewissheit“, sagt Wilhelm. Florian Schümann von der Emanuel-Geibel-Schule sagt: „Die meisten Schüler, die ich kenne, wären froh, wenn die MSA-Prüfungen ausgesetzt würden, weil die Stoffvermittlung seit März vergangenen Jahres nicht hinterher kam.“ Der 16-Jährige bereitet sich schon jetzt anhand von Übungsheften auf die Prüfungen vor und ist skeptisch: „Ich sehe, dass wir viele Themen noch gar nicht behandeln konnten.“ An der Geibel-Schule gehen 17 Schüler auf den ESA und 78 auf den MSA zu. Ministerin hält an Prüfungen fest: „Schleswig-Holstein hält im Gegensatz zu anderen Ländern wie Hamburg, Bremen oder Mecklenburg-Vorpommern an den Prüfungen für den ESA fest“, erklärt die Kieler Bildungsministerin Karin Prien (CDU). „Das hat auch im vergangenen Jahr gut funktioniert.“ Für den ESA und den MSA sollen die Schüler ab dem 1. März eine intensive und gezielte Vorbereitung bekommen. Auch angehende Abiturienten aus Lübeck wehren sich gegen geplante Prüfungen. „Wir haben als Klassengemeinschaft eine Petition gestartet“, sagt Kim Schuhknecht vom Beruflichen Gymnasium der Friedrich-List-Schule. „Für uns wäre es ein deutlich größerer Nachteil, die Prüfungen zu schreiben, anstatt ein Corona-Abitur zu erhalten“, erklärt Valentin Hamami, der die Petition (Abi 2021 – Für ein gerechtes Abitur in Schleswig-Holstein) gestartet hat. Von Cosima Künzel und Kai Dordowsky