Lübeck: Silberschmiede Oehlschlaeger schließt nach 65 Jahren

Das Haus in der Pfaffenstraße ist bereits verkauft, die Wohnung geräumt. Noch bis zum vierten Adventssonnabend ist die Silberschmiede Oehlschlaeger in der Pfaffenstraße geöffnet – dann ist nach 65 Jahren Schluss. Ein schwerer Schritt für die 74-jährige Meisterin Margarete Oehlschlaeger, die ihr Handwerk 1963 bei ihrem späteren Mann Werner erlernte. Aber es ist ein reiflich überlegter Schritt: „Ich beschäftige mich seit drei Jahren damit“, sagt Oehlschlaeger. Sie wolle nicht irgendwann mit 80 aufhören müssen, wenn man womöglich über sie sage, sie sei tüddelig geworden. Und da kein Nachfolger in Sicht ist, zieht sie jetzt einen Schlussstrich. Design-Objekte und Sakralgefäße: Viele Jahre, bis zum plötzlichen Tod Werner Oehlschlaegers im Jahr 2008, fertigten die beiden Meister Schmuck, aber vor allem Design-Objekte und Gebrauchsgegenstände, die in Museen in aller Welt zu finden sind, sowie Sakralgefäße wie Taufbecken oder Abendmahlskelche und liturgische Leuchter. In allen Lübecker Großkirchen stehen Objekte aus dem Hause Oehlschlaeger. Treue Mitarbeiterin, aber kein Nachfolger: Stets an der Seite der beiden Meister: Gesellin Monika Knorr (78), die seit 63 Jahren bei Oehlschlaegers arbeitet. Tochter Maya Oehlschlaeger absolvierte zwar auch eine äußerst erfolgreiche Silberschmiede-Ausbildung, aber sie ist auch Tanzpädagogin und hat zwei kleine Kinder. „Das kann man mit Familie nicht alleine machen“, sagt ihre Mutter auf die Frage, ob die Tochter denn nicht die Silberschmiede übernehmen wolle. Zudem fehle Maya die Erfahrung mit der aufwendigen Sanierung liturgischer Gefäße aus dem Mittelalter, auf die sich Margarete Oehlschlaeger in den vergangenen Jahren immer mehr spezialisiert hat. „Ich brenne für die alten Sachen für Kirchen“, sagt die 74-Jährige. „Es ist sehr emotional, zu wissen, dass sie hinterher wieder benutzt werden.“ Sanierungen und Neuanfertigungen für Kirchen: Nachdem sie vor sieben Jahren das Amtskreuz für den Bischof der Nordkirche in Schwerin gefertigt hat, wurde das Kirchenamt auf sie aufmerksam. So hat Margarete Oehlschlaeger beispielsweise 2018 den 564 Jahre alten Abendmahlskelch der Kirchengemeinde Curau (Gemeinde Stockelsdorf) aufwendig saniert, dessen Goldbeschichtung sich beinahe aufgelöst hatte. Auch für Kirchen auf Fehmarn und in Flensburg hat sie liturgische Gegenstände saniert. Emotionale Arbeit aus Travemünde: Aktuell liegt ein vergoldeter Abendmahlskelch aus St. Lorenz Travemünde in ihrer Werkstatt – besonders emotional für die Silberschmiede-Meisterin, „weil ich in St. Lorenz getauft wurde.“ Der Kelch ist in seine Einzelteile zerlegt, den Fuß (Kuppa) bearbeitet sie gerade mit einem sogenannten Blutstein (Hämatit), der an einem hölzernen Stiel befestigt ist. Unter Druck zieht sie ihn immer wieder über die goldene Oberfläche. „Es ist eine Handpolitur, dadurch verdichtet sich das Material und erhält Hochglanz.“ Immer weniger Silberschmiede: Margarete Oehlschlaeger ist eine der bundesweit ganz wenigen Silberschmiede, die sich auf die Restaurierung feuervergoldeter mittelalterlicher Gegenstände versteht. Ihr Mann und sie hätten früher jahrelang herumgetüftelt und experimentiert, nun wisse sie, wie mit den Gegenständen umzugehen sei. Generell gibt es bundesweit immer weniger Silberschmiede, „weil immer weniger ausgebildet werden.“ Silberschmiede arbeiten hauptsächlich, aber nicht nur mit Silber. Sie formen vor allem Blech – das auch zum Beispiel aus Kupfer oder Messing sein kann – mit Hämmern und Punzen. Sie stellen überwiegend Becher, Kannen, Teller und ähnliches her. Beim Goldschmied liegt der Schwerpunkt dagegen auf der Schmuckherstellung. Bei der Meisterprüfung wird zwischen Gold- und Silberschmieden kein Unterschied gemacht. Sie ist keine Voraussetzung für die Leitung eines selbstständigen Betriebs mehr. 15 Kelche für den Hamburger Michel: Unter den vielen Neuanfertigungen der vergangenen Jahre – eine große Taufschale für eine Kirche in Mölln oder der Osterleuchter für St. Aegidien – sticht der Großauftrag aus dem Jahr 2019 besonders heraus: 15 silberne Abendmahlskelche fertigte die Lübecker Silberschmiede-Meisterin für den Hamburger Michel. „Das ist eine Aufgabendimension, die bekommt man nur einmal in seinem beruflichen Leben gestellt“, sagte sie damals. Gemeinsam mit Tochter Maya und Mitarbeiterin Monika Knorr arbeitete sie die letzten drei Monate vor der Übergabe unter Hochdruck an den Kelchen. Rückblickend sagt sie: „Ich hatte Riesenglück, dass ich die Kelche machen durfte!“ Abschied mit Zufriedenheit: Und nun also der Abschied, das Ende der Silberschmiede Oehlschlaeger nach 65 Jahren. Nie habe sie Probleme mit den Kunden gehabt, sagt Margarete Oehlschlaeger. Sie ist dankbar für „das unglaubliche Vertrauen, das uns gegeben wurde“. Das sei „ein tolles Gefühl und macht uns zufrieden.“ Doch weil Margarete Oehlschlaeger ihren Beruf „über alles“ liebt, wird sie sich künftig nicht nur ihren vier Enkelkindern oder Hobbys widmen. Ihre Werkzeuge nimmt sie mit, „irgendwo in der Altstadt werde ich mir wohl eine kleine Werkstatt einrichten.“ Lesen Sie auch: Lübeck: 304 Ausbildungsstellen wegen Corona unbesetzt JVA Lübeck: Beging Freigänger mehrere Straftaten? Experten schlagen Alarm: Suchtberatung ist chronisch unterfinanziert Von Sabine Risch