Lübeck: Stadtpräsidentin Schopenhauer tritt zurück

Hätte Gabriele Schopenhauer (69) noch ein Jahr durchgehalten, dann hätte sie den Rekord ihres Vor-Vorgängers Peter Oertling (SPD) eingestellt. Der war 13 Jahre, von 1990 bis 2003, Stadtpräsident, sie bringt es auf gut zwölf. Aber diesen Ehrgeiz hatte die SPD-Politikerin nicht. Am Sonnabend gab die Lübecker SPD Schopenhauers Rücktritt bekannt – zum 16. November, zur Halbzeit der Wahlperiode der Bürgerschaft. Die Gründe, betonte Schopenhauer, seien „rein privater Natur“. Im gleichen Zug gab die SPD ihren Vorschlag für eine Nachfolgerin bekannt: Sabine Haltern (61), Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Travemünde. Politisch engagierte Lehrerin: Schopenhauer, geboren in Eutin und aufgewachsen in Lübeck, war mehr als 30 Jahre Lehrerin für Deutsch und Kunst in Lübeck, zunächst an verschiedenen Realschulen, dann an der Geschwister-Prenski-Schule. Das war Lübecks erste Gesamtschule, an deren Gründung sie maßgeblich beteiligt war. Seit 1998 ist sie Mitglied der Bürgerschaft. Sie nennt heute zwei Antriebe für ihr politisches Engagement: „Die Unterrepräsentierung von Frauen in der Kommunalpolitik und die Unzufriedenheit mit der Situation im Schulsystem.“ Ehrung für langjähriges Engagement: Sie setzte sich aber unter anderem auch für die Stolperstein-Initiative zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ein und dafür, dass Lübeck erste Fair-Trade-Stadt in Schleswig-Holstein wurde. Vor einem Jahr wurde sie für ihr langjähriges Engagement mit der Freiherr-vom-Stein-Verdienstnadel geehrt. Sie wäre gern Schulsenatorin geworden: 2002 wäre sie gern Schulsenatorin geworden, unterlag aber in der Vorauswahl der auswärtigen Bewerberin Annette Borns. Im Rückblick sagt sie, sie sei „heilfroh, dass ich diesen Job nicht machen musste – weil Annette Borns viel Gegenwind bekommen hat von allen Seiten“. 2008 wählte die Bürgerschaft sie zur Stadtpräsidentin. Ein überparteiliches Amt mit weniger Gegenwind – aber auch nicht ohne Konflikte. „Was ich nicht vermissen werde, das sind die zahlreichen – mehr oder weniger eloquenten – langen Reden. Es gibt viele Menschen, die alles noch mal sagen, was schon gesagt wurde, und Menschen, die nicht informieren, sondern belehren wollen.“ Schopenhauer hat zwei erwachsene Töchter und vier Enkelkinder im Alter von drei bis 20 Jahren. Für die will sie jetzt mehr Zeit haben. CDU-Politiker: „Vielleicht ein bisschen überbesorgt“: „Sie war immer verbindend“, sagt CDU-Fraktionschef Oliver Prieur. „Sie hat sehr viel Engagement in dieses Amt gesteckt.“ In der Corona-Zeit sei es für sie besonders schwierig gewesen, die Bürgerschaft zu leiten. „Da war sie sehr besorgt um die Bürgerschaftsmitglieder – vielleicht ein bisschen überbesorgt. Aber letztendlich hat sie einen guten Job gemacht.“ Grünen-Politikerin: „Sehr integer“: Ihre zweite Stellvertreterin Silke Mählenhoff von den Grünen sagt: „Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir mit ihr als Bürgerschaftspräsidentin nicht ganz zufrieden waren.“ Wenn der erste Stellvertreter Klaus Puschaddel (CDU) die Sitzungsleitung übernommen habe, sei es immer ein bisschen schneller gegangen. „Aber ich habe sie als sehr integer erlebt.“ Als Stadtpräsident wird laut Gemeindeordnung des Landes Schleswig-Holstein in kreisfreien Städten der Vorsitzende der Stadtvertretung genannt, in Lübeck also der Bürgerschaft. Er wird von der Bürgerschaft gewählt und ist zugleich höchster Repräsentant der Stadt. Unter anderem vertritt er die Stadt bei gerichtlichen Verfahren. Das Vorschlagsrecht hat die stärkste Fraktion. In der Lübecker Bürgerschaft haben SPD und CDU gleich viele, nämlich zwölf, Sitze. Die SPD beansprucht aber das Vorschlagsrecht. „Das ist nach der Gemeindeordnung so definiert“, sagt Fraktionschef Peter Petereit, „dadurch, dass die CDU noch ein Amt in der Stellvertretung hat.“ Das habe er vom Rechtsamt prüfen lassen. Gabriele Schopenhauers Stellvertreter sind Klaus Puschaddel (CDU) und Silke Mählenhoff (Grüne). Die CDU will diese Auslegung selbst prüfen lassen. „Wir haben den Vorschlag der SPD erst mal zur Kenntnis genommen“, sagt Fraktionschef Oliver Prieur. „Wir haben jetzt fünf Monate Zeit. Von daher ist jetzt nicht übermäßige Eile geboten. Ein Amt ist ja kein Erbhof.“ Sabine Haltern soll Nachfolgerin werden: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Petereit und sein Stellvertreter Peter Reinhardt blicken laut Pressemitteilung auf eine „jahrelange, überaus positive Zusammenarbeit mit Gabriele Schopenhauer zurück“. In der nächsten Bürgerschaftssitzung am 26. November wollen sie als Nachfolgerin Sabine Haltern (61) vorschlagen. Sie kam erst im März 2020 als Nachrückerin in die Bürgerschaft und hat sich vor allem im Bauausschuss hervorgetan, dem sie vorher schon als bürgerliches Mitglied angehörte. Kommunalpolitische Erfahrung hat sie unter anderem als Leiterin des Wirtschaftsausschusses im Kreistag von Friesland (Niedersachsen) gesammelt. Haltern: Humor hilft: „Was ich möchte“, sagt Haltern, „ist, dass wir uns in der Bürgerschaft nicht um Punkte und Kommas in die Wolle kriegen. Die Bürgerinnen und Bürger, die das mitkriegen, fragen sich: ,Haben die nichts anderes zu tun?’“ Mit Humor sei da viel geholfen. „Ich bin keine Streithenne, das darf man in so einem Job auch nicht sein.“ Lesen Sie auch: Lübeck – LN - Lübecker Nachrichten Hamburger Investor baut 110 Wohnungen in Lübeck Corona-Schließung: Lübecks Theaterszene in Aufruhr Von Hanno Kabel