Lübeck: Studenten leiden unter Corona-Lockdown

Zwei Semester in überwiegend digitaler Form, und das Sommersemester beginnt nun an den Lübecker Hochschulen ebenfalls unter diesen Vorzeichen. Wie geht es unter diesen Bedingungen den Studierenden? Was vermissen sie am meisten? Was wünschen sie sich? Mit welchen Strategien kommen sie durch die Krise? Die LN haben nachgefragt – bei Studierenden von Technischer Hochschule (TH), Universität und Musikhochschule (MHL). Moritz Pesl (19) kommt jetzt ins zweite Bachelor-Semester. Er studiert „Robotik und Autonome Systeme“ an der Universität: „Als ich im vergangenen Oktober vor Semesterbeginn aus Regensburg auf den Uni-Campus kam, gab es zum Glück noch ein bisschen Präsenz. So konnte ich vor Ort am Mathevorkurs teilnehmen und hier schon erste Kontakte zu Kommilitoninnen und Kommilitonen knüpfen. Auch die Ersti-Einführungswoche konnte noch in verschlankter Form für uns in Präsenz stattfinden. Entsprechend war es uns vergönnt, zum Studieneinstieg die Hochschule ein wenig kennenzulernen und ein wenig Spaß zu haben. Da die Erstsemester auch danach, also bis zum Lockdown Anfang November, an der Uni vorrangig behandelt worden sind, hatten wir auch die Chance, den Dozenten in den Veranstaltungen persönlich zu begegnen. Das hatte man so nicht erwartet, da die meisten anderen Hochschulen bundesweit schon sehr früh komplett in den Digital-Modus umgeschaltet hatten. „Man fühlt sich als Studierender schon übersehen“: Die soziale Vernetzung unter uns Studierenden geschah schon im Mathevorkurs; seit dieser „Blase“ hat sich leider nicht mehr so viel ergeben können. Zum gemeinsamen Lernen, aber auch für Spieleabende, haben wir uns dann über Videokonferenzsysteme verabredet. Insgesamt vermisse ich schon dieses klassische Uni-Leben, dass man aus Film und Fernsehen kennt – dass man spontan nach der Vorlesung irgendwo hingeht, im Park chillt, ein bisschen quatscht und spontan zusammen feiert. Die Studierenden der Lübecker Uni bewerten ihr Studium in Pandemie-Zeiten überdurchschnittlich gut mit der Note 1,6. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 2,2. Das ergab eine bundesweite Analyse auf Grundlage der Befragung im Zeitraum 28. Oktober 2020 bis zum 31. Januar 2021 von mehr als 27 000 Studierenden und 665 Professorinnen und Professoren durch das CHE Centrum für Hochschulentwicklung. Auf dem Uni-Campus beteiligten sich 688 Studierende, also circa 15 Prozent aller Studentinnen und Studenten. Besonders gut bewertet der akademische Nachwuchs der Uni die Erreichbarkeit zentraler Ansprechpartner, die Ermöglichung, das Studium wie geplant fortzusetzen und zu absolvieren, die Möglichkeiten zur Ablegung von Prüfungsleistungen (alle Durchschnittsnote 1,5) und das Informationsmanagement zur aktuellen Lage (Bewertung 1,6). Im Gesamturteil über die Lehre schnitt der Studiengang Mathematik in Medizin und Lebenswissenschaften mit der Note 1,5 am besten ab. Das gesamte CHE-Ranking wird am 4. Mai veröffentlicht. Es gab Wochen im Winter, in denen man morgens aufgestanden ist, acht Stunden oder länger vor ein- und demselben Bildschirm saß und dann wieder schlafen gegangen ist. Das war unglaublich eintönig. Insgesamt habe nicht nur ich das Gefühl, dass es im großen gesellschaftlichen Diskurs immer um Schulen und Kindergärten geht, die Hochschulen aber meist nicht vorkommen. Man fühlt sich als Studierender schon übersehen.“ Merle Groß (21) studiert an der Musikhochschule Lübeck (MHL) Gesang bei Birgit Calm. Sie gehört bald zum dritten Bachelor-Semester: „Mein Studium aufgenommen, habe ich im April des vergangenen Jahres, mitten im Lockdown also. Das war schon nicht leicht. Glücklicherweise hatte ich die Musikhochschule schon vorher durch Probestunden bei meiner Dozentin ein bisschen kennenlernen dürfen. Halt hat mir dann der Gesangszweig der MHL gegeben. Durch das Online-Opernprojekt „Die Zauberflöte“ hatte ich durch die Proben intensiveren Kontakt zu den anderen mitwirkenden Sängerinnen und Sängern. Dadurch ist schon eine Art Gemeinschaftsgefühl entstanden. Zudem gab es ja auch ein wenig Präsenzunterricht wie auch eine Musizierstunde in der MuK. Das war schon erhebend; da hat man die Leute auch mal in echt gesehen. „Natürlich stellt man sich sein Studium anders vor“: Aber natürlich stellt man sich sein Studium anders vor – das ist keine Frage. In Erzählungen hört man immer, wie familiär die MHL ist und dass sich eigentlich fast alle kennen, weil man sich häufig in den engen Fluren und Gängen der Gebäude in der Großen Petersgrube begegnet. So etwas ist digital nicht erlebbar. Online-Gesangsunterricht ist auch schlecht darstellbar. Ich bin Sopran, und ab einer gewissen Höhe hört man live nichts mehr. Entsprechend sind wir dazu übergegangen, dass ich meiner Dozentin regelmäßig Aufnahmen in guter Qualität als Sounddatei schicke. Ich hatte das Glück, bei meiner Aufnahmeprüfung zwei Kommilitonen zu treffen, die dann auch mit mir ihr Studium aufgenommen haben und ebenfalls Gesang studieren. Wir haben also angefangen, zusammen Musik zu machen – das ist ein großer Anker. Ich hoffe nun, dass wenigstens ab Mai oder Juni wieder mehr Präsenz an der MHL möglich sein wird.“ Alicianne Hocke (21) ist nun im vierten Semester an der Technischen Hochschule (TH) eingeschrieben. Sie studiert den Bachelor-Studiengang Biomedizintechnik: „Mein erstes Semester, das im Oktober 2019 begann, war zum Glück noch komplett in Präsenz. So konnte ich dann, als es mit dem Lockdown im letzten Frühjahr losging, schon auf eine Lerngruppe und diverse Freundschaften zurückgreifen. Das habe ich im Laufe der Zeit sehr zu schätzen gewusst. Der Lockdown bedeutete dann für alle eine große Umstellung; allerdings wurde in der Lehre an der TH relativ schnell in den digitalen Modus umgeschaltet. Schade ist es natürlich nur um die ganzen Laborversuche und Praktika; da ist Präsenz einfach nicht zu ersetzen. Zuerst war es auch schwer, den Überblick über alle Online-Termine in der Woche zu behalten. Da war es gut, dass ich auf meine Lerngruppe zurückgreifen konnte. Denn einer von uns wusste immer Bescheid, was als Nächstes dran ist. „Einige werden ihr Studium verlängern müssen“: Der direkt physische Kontakt mit den Professoren ist schon wichtig; auch das tägliche Sehen der Kommilitonen auf dem Campus ist etwas, was wirklich fehlt. Fachschaft und Asta versuchen allerdings, mit vielen Online-Angeboten Verbundenheit unter den Studierenden herzustellen. Man kann sie nutzen, um lustige Abende zu verbringen. Ich fühle mich aber auf jeden Fall nicht verloren. Im zweiten Semester, also meinem ersten, reinen Digital-Semester, habe ich mich täglich immer mit einer Kommilitonin verabredet, um uns gegenseitig zu motivieren, und wir haben uns oft auf einen Kaffee getroffen und sind spazieren gegangen. Für dieses Sommersemester habe ich nun zusammen mit zwei Kommilitonen ein Gartengrundstück nahe der TH gepachtet. Da können wir schön zusammen arbeiten, uns austauschen, diskutieren und gleichzeitig die Distanzregeln einhalten. Zudem reicht das WLan der TH bis dahin, was sehr praktisch ist. Ich gehe davon aus, dass einige Kommilitonen ihr Studium auf jeden Fall verlängern müssen, weil Prüfungen oder Praktika in dem erforderlichen Umfang nicht stattgefunden haben oder diese aufgrund der schwierigen Lockdown-Rahmenbedingungen nicht bestanden worden sind.“ Thilo Siemers (25) gehört zur Trompeten-Klasse von Matthias Krebber. Er kommt jetzt ins dritte Semester an der Musikhochschule Lübeck (MHL): „Ich habe im letzten März genau während Corona und so im Lockdown an der MHL angefangen; allerdings hatte ich zuvor schon zwei Jahre lang in Mannheim studiert. Deshalb weiß ich, wie sich normales Studieren anfühlen kann. Ein Musikstudium ohne öffentliche Konzerte und ohne gemeinsames Üben ist auf jeden Fall ein ganz anderes Studium. Ich hatte das Glück, dass mein Professor direkt mit Online-Unterricht angefangen hat. Für einen Blechbläser gestaltet sich diese Vermittlungsform jedoch schwierig; klanglich kann man sehr wenig machen; die Dynamik-Unterschiede sind nicht hörbar; ob der Klang hell oder dunkel ist – insgesamt reicht da kein Computer-Mikrofon aus. Auch beim gemeinsamen Musizieren gibt es immer eine Zeitverzögerung. „Weil alle zu Hause sind, fehlt die motivierende Gemeinsamkeit“: Wenn man beginnt, Musik zu studieren, ist man zum ersten Mal von Leuten umgeben, die genau das Gleiche möchten – gut Trompete spielen. Das ist schon ein tolles Gefühl! Jetzt allerdings kann man diese motivierende Gemeinsamkeit – auch in einem großen Orchester – überhaupt nicht ausnutzen, weil alle zu Hause sind und man nicht zusammen spielen darf. Das ist schon ein wenig frustrierend. Im letzten August und September war es kurzzeitig an der MHL erlaubt, mit bis zu vier Personen in einem Raum zu sein; das haben wir auch musikalisch voll ausgenutzt. Und im Sommer waren wir als Klasse in Dänemark zu einer kleinen Bläserwoche – da hatten wir ein bisschen Normalität zurückgewonnen. Wir Musiker sind insgesamt sehr disziplinierte Menschen, und unsere Hochschule ist sehr klein. Daher hatte ich mir mehr Ausnahmeregelungen für uns erhofft. Trotz allem besteht mein Berufswunsch aber nach wie vor.“ (Noch mehr Informationen zu den Lübecker Hochschulen finden Sie auch auf unserer Themenseite.) Von Michael Hollinde