Lübeck: TH-messen Luftqualität im Friseursalon in Corona-Zeiten

Immer mal wieder wird Andrea Görtzen die Frage gestellt: „Lüften Sie denn auch ausreichend? Mir erscheint die Luft ein bisschen abgestanden und verbraucht zu sein.“ Da sei man natürlich in einem Dilemma in diesen Corona-Zeiten, weil man nicht genau belegen könne, dass die Raumluft wirklich gut sei, sagt die Friseurmeisterin. Das ist nun aber seit Kurzem anders. Denn jetzt kann die 52-Jährige – seit 20 Jahren selbstständig mit ihrem Salon „Wunderschön“ – auf eine kleine weiße Box verweisen. Diese steht in der Raumecke und wird getragen von einer Frosch-Statue mit Maske. TH-Sensor misst Luftqualität im Friseursalon: „Der Sensor misst in regelmäßigen Abständen die CO2-Konzentration sowie weitere Parameter wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit“, sagt Marco Cimdins, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Technischen Hochschule (TH) Lübeck, der das Equipment vor Ort betreut. Warum ist die Messung so wichtig? Ein hoher Kohlendioxidgehalt ist ein Hinweis für schlechte Luft und damit für zu viel Aerosole, also Schwebeteilchen, die in der Luft stehen, sich in Innenräumen anreichern und bei der Verbreitung des Coronavirus helfen. Messungen unterstützen richtiges Lüften während Corona: „Der CO2-Wert ist also ein gutes Maß, um die richtige Lüftung zu unterstützen. Und die Messwerte werden in sogenannten Dashboards angezeigt, die sich über eine Website zum Beispiel auf einem Tablet oder Smartphone darstellen lassen“, erläutert TH-Professor Horst Hellbrück, der das Kompetenzzentrum CoSA an der Hochschule leitet. Dabei steht die Abkürzung CoSA für „Kommunikation – Systeme – Anwendungen“. Lesen Sie auch: Uni Lübeck: Experten helfen Firmen bei Digitalisierung Coronavirus: Lübecker Friseure verunsichert - erster Betrieb geschlossen Lübecks Uni bekommt Außenstelle des Zentrums für Künstliche Intelligenz Praxisnahe Lösungen für Digitalisierung in Betrieben: Hellbrück verantwortet dieses gemeinsame Transferprojekt der Lübecker TH und des Mittelstand Kompetenzzentrums Kiel, bei dem es darum geht, praxisnahe Lösungen für die Digitalisierung kleinen und mittleren Betrieben, wie einem Friseursalon, im Land nahe zu bringen. Mit im Boot sitzt zudem die Lübecker Firma Smart City Operations GmbH. Bei letztgenanntem Unternehmen ist Roman Spendler Hauptgeschäftsführer. „Ich bin regelmäßiger Kunde bei Frau Görtzen und habe sie kürzlich gefragt, ob sie denn schon eine ,Mief-Ampel‘ habe“, erzählt der Diplom-Betriebswirt. Als langjähriges Vorstandsmitglied im Verband der Digitalen Wirtschaft in Schleswig-Holstein ist er bestens vernetzt und dort im Arbeitskreis Smart City aktiv. Hochschule und Handwerk arbeiten ganz konkret zusammen: Und er wusste somit, dass mit entsprechenden Mess-Systemen an der TH im CoSa geforscht wird. „Das hier ist ein besonderes Einsatzfeld, und so können Hochschule und Handwerk ganz konkret zusammen arbeiten“, freut er sich. Damit die Sensoren einfach und flexibel ausgebracht werden können, kommt eine neue Funktechnologie für das sogenannte Internet der Dinge zum Einsatz. Sie wird mit LoRaWAN abgekürzt. Die benötigte Technik und Infrastruktur, die auch für weitere Anwendungsfälle und Projekte eingesetzt wird, hat TH-Mitarbeiter Swen Leugner konzipiert und umgesetzt. Große Reichweite und lange Betriebsdauer als Sensor-Vorteile: „Die Sensorik hat eine Reichweite von zehn Kilometern; außerdem haben die Akkus eine Betriebsdauer, die an die zehn Jahre ohne Wiederaufladen geht“, führt Leugner aus. Die Daten aus dem Salon „Wunderschön“ können so über eine sehr lange Zeit problemlos auf einem Server der TH auflaufen und auf dem Campus ausgewertet werden. Das Kompetenzzentrum CoSA (Kommunikation – Systeme – Anwendungen) forscht und arbeitet an Kommunikationssystemen, Verteilten Systemen und deren Anwendungen. Seit Dezember 2013 ist CoSA eines der acht Kompetenzzentren der Technischen Hochschule (TH) Lübeck im Fachbereich Elektrotechnik und Informatik. CoSA arbeitet unter anderem in folgenden Anwendungsfeldern: Medizintechnik, Industrie 4.0, Internet der Dinge sowie Maritime Technik. Im Projekt „EXTENSE“ zum Beispiel entwickelt ein TH-Team Detektoren für die Messung von Kabeln oder Pipelines unter dem Meeresboden. Künftig soll ein Schiff die Strecken abfahren, die untersucht werden sollen. An Bord steuern Mitarbeiter mit einem Joystick ein Fahrzeug von einem Meter Größe, das sich dicht über dem Meeresboden in Schrittgeschwindigkeit bewegt und ihn mit verschiedenen Sensoren abtastet. So können gefährliche Tauchgänge vermieden werden. Andrea Görtzen – samt vierköpfigem Team – weiß nun schwarz auf weiß, dass die insgesamt vier zur Verfügung stehenden Räume in ihrem Salon durch ihr Lüftungskonzept ausreichend mit Frischluft versorgt werden. „Meine Kundinnen und Kunden fühlen sich dadurch noch mal sicherer“, sagt sie. Im weiteren Schritt wird nun am Feintuning gearbeitet. „Wir wollten das erst mal quantifizieren – dass man also von den subjektiven Gefühlen wegkommt“, erläutert der TH-Professor, „jetzt überlegen wir, ob es eine Nachricht per SMS oder einen Warnton geben könnte, wenn die Werte überschritten sind. Dann muss der Salon selbst nicht mehr regelmäßig auf das Tablet gucken.“ Übersicht für Schleswig-Holstein: Wie stark verbreitet sich die Corona-Erkrankung? Übersicht für Deutschland: Die Gesamtentwicklung, alle Hotspots und Reisewarnungen Diese beiden Artikel sind kostenlos für alle lesbar, die nachfolgenden regionalen Analysen sind LN-Plus-Lesern vorbehalten. Testen Sie jetzt kostenlos LN+! Interaktive Karte: Wo sind die Corona-Hotspots in Schleswig-Holstein? Analyse: Gibt es mehr Corona-Infektionen, weil auch mehr getestet wird? Belegung der Krankenhäuser mit Corona: Wie viele Intensivbetten in Schleswig-Holstein sind frei? Mehr aus Ihrer Region: Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Lübeck Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Ostholstein Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Segeberg Zahlen und Fakten zum Coronavirus im Kreis Herzogtum Lauenburg Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Stormarn Vorstellbar sei auch eine Dienstleistungsfirma als Ausgründung, die Sensortechnik plus Warn-Service während der Corona-Pandemie Betrieben wie Friseurgeschäften, Fitnessstudios et cetera anbieten könnte. „Da sind wir als Hochschule allerdings aus dem Spiel, da wir nur die Technologie auf den Prüfstand stellen können“, merkt er noch an. Informationen zu den Lübecker Hochschulen finden Sie auch auf unserer Themenseite. Von Michael Hollinde