Lübeck: Uni-Professor findet Weihnachtsmarkt trotz Corona vertretbar

Jedes Jahr ist Lübecker Weihnachtsmarkt, und auch in diesem Jahr soll trotz Pandemie die Weihnachtsstadt des Nordens wieder glänzen. Die Planungen laufen auf Hochtouren. In Zeiten von Corona sind allerdings Abstand und Hygiene angesagt. Kann dies aber wirklich funktionieren? Die LN befragten dazu Professor Jan Rupp. Der Experte leitet seit Oktober 2015 die Klinik für Infektiologie und Mikrobiologie am Uniklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck. Gehen Sie auf den Lübecker Weihnachtsmarkt, wenn er denn wirklich am 23. November beginnen sollte? Prof. Jan Rupp: Das hängt davon ab, in welcher Form er stattfinden wird. Generell kann ich mich durchaus dafür erwärmen, in einem offenen Setting auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Ich würde aber sicherlich nicht auf den Markt am Rathaus gehen, wenn ich dort die Situation der Vorjahre mit großem Gedränge an den Ständen vorfinden würde. Denn dort wäre mir dann das Infektionsrisiko unter den gegebenen Bedingungen definitiv zu hoch. Wie müsste es denn dort aussehen, damit auch Sie sich wohlfühlen würden? Es gab mal die Idee, mehrere stadtteilbezogene und damit kleinere Weihnachtsmärkte zu realisieren. Dann könnte auf dem Markt ein geschrumpfter Weihnachtsmarkt umgesetzt werden, mit einer mindestens halbierten Anzahl der bisherigen Stände. So können die Buden viel weiter auseinanderstehen. Ich kann aber natürlich nur die Sicht eines Infektiologen wiedergeben. Ob es sich also mit weitaus geringerer Besucherzahl auch für die Standbesitzer rechnen wird, kann ich nicht beurteilen. Mein Fokus muss es immer sein, weitere Infektionen verhindern zu wollen. Corona-Infektionsketten muss man zurückverfolgen können: Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach an, wenn es einen Lübecker Weihnachtsmarkt 2020 geben soll? Ich möchte dazu zwei Punkte nennen. Einerseits müsste man die Anzahl der Stände mindestens auf die Hälfte herunterschrauben. Ansonsten wären die Abstandsregeln selbst mit viel Wohlwollen nicht einzuhalten. Zudem sollte es möglich sein, im Nachhinein mögliche Infektionsketten zurückverfolgen zu können. Das ist allerdings eine große Herausforderung, da sich Gruppen an den Glühweinständen im Laufe des Abends auch mischen können. Was folgt daraus? Ich fürchte, dass man früher Schluss machen muss, da es ja, je später der Abend wird, immer geselliger wird. Damit verbunden ist meiner Ansicht nach auch, dass der Alkoholausschank beispielsweise ab 19 Uhr nicht mehr möglich sein sollte. Ob damit noch der ursprüngliche Charakter eines Weihnachtsmarktes abgebildet werden kann, muss jede Besucherin und jeder Besucher für sich entscheiden. Sollten Zeitfenster für jeden Besucher vergeben werden? Wäre die Vergabe von Zeitfenstern beim kontrollierten Zutritt des Areals, wo die Registrierung wie bei einem Restaurantbesuch ablaufen wird, geboten? Das wäre wünschenswert. Aber wer kontrolliert dann, ob auch wirklich die Zeitfenster eingehalten werden? Wenn man ehrlich ist, müsste man also die Gesamtzahl regulieren und stets im Blick haben, dass einer rausgeht, wenn der Nächste das Areal betritt. Aus infektiologischer Sicht wäre das sinnvoll. Die Stimmung vor Ort wird aber eine ganz andere sein, als es viele erwarten. Generelles Alkoholverbot ist nicht notwendig: Wären Sie denn generell für ein Alkoholverbot? Nein, nicht unbedingt. Es spricht nichts dagegen, wenn man ein oder zwei Glühwein am Abend trinkt. Der dritte oder vierte werden dann zu einem Problem, weil dann häufig die Regeln nicht mehr befolgt und Abstände nicht mehr eingehalten werden. Letztlich kommt es aber auch immer auf die Selbstdisziplin und Verantwortlichkeit an. Leider ist die nicht bei jedem vorhanden. Wie meinen Sie das? In der jetzigen Situation sollte jeder stets seinen Kopf einschalten und daran denken, dass er andere gefährden kann. Das heißt: Auch wenn man große Lust verspürt, zum Weihnachtsmarkt zu gehen, sollte man bei Husten, Schnupfen und Unwohlsein doch lieber zu Hause bleiben. Jeder kann wieder gehen, wenn ihm das Gedränge zu groß wird: Was halten Sie davon, die verschiedenen Weihnachtsmärkte in Lübeck nach Zielgruppen auszurichten? So könnten sich junge und ältere Besucher, die ein höheres Erkrankungsrisiko haben und eher unter schweren Corona-Verläufen leiden, möglicherweise aus dem Weg gehen. Das lässt sich meiner Meinung nach nur schwerlich umsetzen. Außerdem gilt: Wenn ich mit Abstand in einer kleinen Gruppe an der frischen Luft zusammenstehe und einen Glühwein genieße, ist das nicht per se eine unsichere Situation. Letztlich steht es ja jedem frei, sich wieder zu entfernen, wenn er sieht, dass auf dem Markt ein großes Gedränge vorherrscht. Corona-Warn-App bei jedem Besucher könnte helfen: Wäre die Corona-Warn-App auf dem Smartphone eines jeden Weihnachtsmarktbesuchers möglicherweise ein probates Mittel, um Infektionsketten nachvollziehen zu können? Ja. Schließlich geht es immer darum, ein Ereignis unter Corona-Bedingungen durchführen zu können. Und dies ist nun mal mit Konsequenzen und Kompromissen verbunden. Allerdings will ich abschließend auch feststellen, dass – insofern sich das Infektionsgeschehen weiter so entwickelt wie aktuell – in zwei bis drei Wochen die Absage für die Weihnachtsmärkte droht. Ich betone aber, dies ist die Sicht eines Infektiologen, und ich würde mir wünschen, dass wir alle zusammen zuvor die Kurve kriegen. Lesen Sie auch Lübecker: Wer geht auf den Weihnachtsmarkt? Lübeck: Weihnachtsmarkt mit Corona - Zahl der Besucher wird begrenzt Weihnachtsmarkt trotz Corona: Das sagen die Lübecker Von Michael Hollinde