Lübeck steigt 2030 aus der Stromgewinnung mit Kohle aus

Das Ende immerhin ist absehbar: Die Stadtwerke Lübeck gehen davon aus, „dass das Trianel Kohlekraftwerk Lünen auf der Grundlage des Kohleausstiegsgesetzes im Jahr 2030 vom Netz gehen muss.“ Damit endet ein finanz- und energiepolitischer Irrweg, der 2006 begann. Alle Versuche der Stadt in den vergangenen Jahren, die Anteile von 2,1 Prozent an dem Steinkohlekraftwerk loszuwerden, scheiterten. „Aufgrund der weiterhin unverändert ungünstigen Rahmenbedingungen haben sich seit Oktober 2019 keine weiteren Chancen ergeben“, sagt Unternehmenssprecher Lars Hertrampf. Lübeck beteiligte sich am Neubau eines Kohlekraftwerks: Kohlekraft und Lübeck? Tatsächlich beschloss der damalige Aufsichtsrat des kommunalen Energieversorgers (Strom, Gas, Wasser, Wärme) 2006, Anteile an einem Steinkohlekraftwerk zu erwerben. Das Kraftwerk im nordrhein-westfälischen Lünen musste erst noch gebaut werden. Im Mai 2008 gründeten rund 30 Stadtwerke und regionale Energieversorger die Trianel Kohlekraftwerk Lünen, die das Kraftwerk baute und bis heute betreibt. Mit dabei: Lübeck. In der Sitzung der Bürgerschaft vom November 2007 versuchten SPD und Grüne den Kohlekraftwerks-Deal noch zu stoppen. Sie beantragten, dass die Stadtwerke sich nicht an Kohlekraftwerken beteiligen; dass die Gesellschaftervertreter der Hansestadt bei den Stadtwerken Lübeck dafür sorgen sollen, dass die Stadtwerke sich nicht finanziell an Kohlekraftwerken beteiligen; dass die Stadtwerke in erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung investieren und dass für den Klimaschutz eine Stabsstelle eingerichtet wird. Der Antrag wurde mit 27 zu 20 Stimmen und einer Enthaltung abgelehnt. Die Beteiligung hat sich für die Stadtwerke nie gerechnet. „Die Renditeerwartungen wurden bisher nicht erfüllt“, heißt es in einer Antwort des Versorgers auf eine Anfrage der Freien Wähler. Der Strom, der in dem hochmodernen Steinkohlekraftwerk erzeugt wurde, musste zu billig verkauft werden. Das bestätigt der Betreiber in einer Presseerklärung von 2019: „Seit der Inbetriebnahme des Kraftwerks sind die Börsenstrompreise so weit gefallen, dass ein wirtschaftlicher Betrieb im aktuellen Strommarkt nicht möglich ist.“ Fukushima läutete das Ende ein: Grund: Die erneuerbaren Energien waren auf dem Vormarsch. Vor allem nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima wurden Wind- und Sonnenenergie massiv ausgebaut. Alle Gesellschafter von Trianel, auch die Lübecker Stadtwerke, müssen die Defizite ausgleichen. Der kommunale Versorger bildet dafür seit 2011 Jahr für Jahr Rücklagen. „Aktuell beträgt die Höhe der Rückstellungen 14 Millionen Euro“, sagt Unternehmenssprecher Lars Hertrampf, „die jährliche Rückstellung beläuft sich auf zwei bis drei Millionen Euro.“ Lesen Sie auch So geht die MuK Lübeck 2021 an den Start Lübeck: Lichtinstallation von Gedenkinitiative Hafenstraße 96 Travemünde: Sonniges Wetter lockte viele Spaziergänger an den Strand Aber auch der Kohleausstieg kommt die Stadtwerke Lübeck teuer zu stehen. Denn der kommunale Versorger rechnet damit, „dass die im Rahmen des Kohleausstiegsgesetzes getroffenen Entschädigungszahlungen voraussichtlich nicht ausreichen werden.“ Der Energie-Informationsdienst hat im Mai 2020 aus einem Gutachten, das Trianel eingeholt hat, zitiert. Danach würde die Stilllegung des Steinkohlekraftwerks im Jahr 2030 einen wirtschaftlichen Schaden von rund 571 Millionen Euro bedeuten; weil das Kraftwerk eigentlich bis 2053 weiterhin Strom hätte produzieren und verkaufen können. Stadtwerke hoffen auf das Ausstiegsgesetz: Für Lübeck wäre das ein Schaden von knapp zwölf Millionen Euro. Formal korrekt, sagen die Stadtwerke, allerdings könnten sich Strompreise ändern und gesetzliche Veränderungen ergeben. Die Anteilseigner von Trianel setzen ihre Hoffnungen auf einen neuen Paragrafen im Kohleausstiegsgesetz, der besagt, „dass unbillige Härten für die Kraftwerksbetreiber von jungen Steinkohlekraftwerken zu vermeiden sind.“ Aktuell sei daher keine belastbare Aussage zu den konkreten wirtschaftlichen Folgen für die Hansestadt möglich, so die Stadtwerke. „Die Beteiligung am Kohlekraftwerk Lünen war immer umstritten“, erinnern die Freien Wähler an die Jahre 2006 bis 2008. Die CDU habe in der Bürgerschaftssitzung vom 29. November 2007 mit ihrer damaligen absoluten Mehrheit verhindert, dass die Bürgerschaft die Entscheidung über den Anteilskauf an Trianel an sich zieht. Thomas Misch, Kreisvorsitzender der Freien Wähler und Bürgerschaftsmitglied: „Diese skandalöse Fehlinvestition der CDU hat nicht nur ökologische, sondern auch ganz konkrete finanzielle Folgen für die Hansestadt. Wir werden nicht locker lassen und zum Laufzeitende die Gesamtbilanz ziehen.“ Immerhin: Auf die Strompreise, die die Verbraucher zahlen, haben die Rückstellungen für Trianel keinen Einfluss, versichert Lars Hertrampf: „Eine unmittelbare Auswirkung für die Verbraucher und die Stromrechnung haben die Rückstellungen für Lünen nicht.“ Für den kommunalen Versorger sind sie trotzdem eine Belastung, denn sie müssen wie Personalkosten, Materialkosten oder Investitionen vom Unternehmen erwirtschaftet werden – auch durch Einsparungen. Von Kai Dordowsky