Lübeck und der AKW-Bauschutt: Umweltminister Albrecht ist sauer

Der Kieler Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) erhebt schwere Vorwürfe gegen die Lübecker CDU und SPD: Sie schürten Ängste in der Bevölkerung vor dem AKW-Bauschutt, den der Minister der Deponie Niemark zuweisen will. Albrecht ärgert sich über eine Anzeige von SPD, CDU, Freien Wählern und GAL im Lübecker Wochenspiegel. „Anzeige arbeitet mit Unterstellungen und Falschaussagen“: Herr Albrecht, Sie wollen zu einer Anzeige im Wochenspiegel der LN Stellung nehmen. Warum? Diese Anzeige der Fraktionen der Bürgerschaft arbeitet mit Unterstellungen und Falschaussagen. Die Parteien, die diese Anzeige aufgegeben haben, wollen Ängste in der Bevölkerung schüren. Und geradezu perfide ist, dass diese Meinungsmache mit einer „Umfrage“ verbunden wird, die ein scheinbar objektives Meinungsbild der Lübecker und Lübeckerinnen einholen soll. Informationsoffensive: Das Kieler Umweltministerium gibt auf seiner Internetseite weitere Informationen zum Thema Behandlung von Abfällen. Die Seite ist unter www.schleswig-holstein.de/faq-deponien erreichbar. Womit werden Ängste geschürt? Die Aussage, dass freigemessener Bauschutt aus Atomkraftwerken radioaktiv ist, ist schlicht falsch. Für hoch radioaktiven Müll aus Kernkraftwerken suchen wir in Deutschland noch einen Entsorgungsort. Schwach- und mittelradioaktive Stoffe landen im Schacht Konrad. Abfälle, die freigemessen sind, sind nach deutschem und internationalem Recht nicht radioaktiv. CDU und SPD, die die Anzeige aufgegeben haben, wissen das. Der Abfall ist ungefährlich. CDU und SPD machen den Bürgern Angst. „Autos und Wohnungen strahlen auch“: Aber die Abfälle sind freigemessen. Also strahlen sie doch ein bisschen. Alles strahlt. Der Mensch strahlt in der Größenordnung von 300 Mikrosievert im Jahr. Für Trinkwasser gilt der Grenzwert von 100 Mikrosievert. Für den AKW-Bauschutt sind es zehn Mikrosievert. Autos und Wohnungen strahlen auch: Niemand käme auf die Idee, sein Auto oder seine Wohnung als verstrahlt zu bezeichnen. Wenn der Abfall ungefährlich ist, könnte man ihn doch auch recyceln und im Straßenbau einsetzen. Das passiert doch auch. Ein Großteil der Abfälle, die beim Rückbau der Kernkraftwerke anfallen, wird recycelt. Nur das, was nicht recycelt werden kann, kommt auf die Deponie oder in die Verbrennung. CDU und SPD in Lübeck sollten das wissen. „Freimessung bezahlen die Kraftwerksbetreiber“: Machen sich die Atomkonzerne auf Kosten der Kommunen einen schlanken Fuß? Auch das ist eine Falschdarstellung in der Anzeige dieser Lübecker Parteien. Die Freimessung und Entsorgung wird nicht von den Steuerzahlern, sondern von den Kraftwerksbetreibern bezahlt. Und die bekommen auch keine Sonderpreise. Minister: Keine Rücksichtnahme auf Robert Habeck: Lübecker Bürger fragen sich, warum von vier geeigneten Deponien nur zwei, nämlich Johannistal in Ostholstein und Niemark in Lübeck, den Bauschutt aufnehmen sollen. Warum nicht Harrislee? Weil diese Deponie im Wahlkreis des Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck liegt? Das ist eine ungeheuerliche Unterstellung, die auch in dieser Anzeige steht. Ich weise das entschieden zurück. Die Landesverwaltung arbeitet nicht nach politischen Erwägungen, sondern nach Recht und Gesetz. Harrislee bleibt in der Gruppe der geeigneten Deponien. Beim Rückbau fallen bestimmte Stoffe zu bestimmten Zeiten an. Nicht jeder Abfall kann auf jeder Deponie entsorgt werden. Monatelang hieß es, Niemark muss 250 Tonnen aufnehmen. Jetzt sind es 12500 Tonnen. Wie kam es zu dieser Steigerung? Es handelt sich hier offensichtlich um ein Missverständnis. Fachleute haben zunächst von 250 Tonnen gesprochen, die bereits zur Entsorgung in Brunsbüttel bereitstehen. Darüber ist dann öffentlich spekuliert worden. Unser Ministerium hat immer darauf hingewiesen, dass nach Prognosen insgesamt rund 50000 Tonnen entsorgt werden müssen. Die tatsächlichen Mengen wird man erst am Ende des Rückbaus aller Kernkraftwerke wissen.“ Minister ist in die Bürgerschaft eingeladen: In der Anzeige der Lübecker Parteien wird Ihnen vorgeworfen, nicht mit Bürgern und Kommunen zu sprechen. Es ist absolut unredlich, so etwas zu behaupten. Seit 2016 führt unser Ministerium Gespräche mit Entsorgern, Kommunen und Kraftwerksbetreibern. In Lübeck habe ich mehrere öffentliche Diskussionen bestritten. Jetzt habe ich eine Einladung der Bürgerschaft bekommen, die ich natürlich annehme. Aber auch die Parteien vor Ort haben den Auftrag, ihre Bürger zu informieren. Stattdessen verbreiten sie Vorwürfe und Ängste. Wie ist der aktuelle Sachstand bei der Zuweisung des Bauschutts? Der Entwurf der Zuweisung wurde den Kraftwerks- und Deponiebetreibern zugestellt. Die haben jetzt bis Mitte März Zeit, Stellung zu nehmen. Danach wird ab Ende März die Zuweisung erfolgen. Gegen diese sind Widerspruch und Klage möglich. Das würde das Verfahren natürlich verzögern. Die Meinungsumfrage ändert für Albrecht nichts: Die Lübecker Bürgerschaft hat eine repräsentative Meinungsumfrage zum AKW-Bauschutt beschlossen. Wenn eine große Mehrheit der Lübecker dagegen ist, werden Sie Ihre Politik ändern? Auch das ist befremdlich. Hier werden Steuergelder für eine Umfrage ausgegeben, obwohl alle Beteiligten wissen, dass eine Meinungsumfrage keinen Einfluss auf eine verwaltungsrechtliche Ausführung von Recht und Gesetz kann. Es ist meine Pflicht, diese Entsorgungsentscheidung durchzusetzen, die unsere Parlamente beschlossen haben. Die lokale Politik in Lübeck streut den Bürgern Sand in die Augen. Das ist unverantwortlich und untergräbt den Solidaritätsgedanken in unserer Gesellschaft. Teilweise werden ja Lübecker Abfälle auch woanders entsorgt. Tausende Lastwagen mit AKW-Bauschutt werden quer durch Schleswig-Holstein rollen. Als Umweltminister und Grünen-Politiker können Sie nicht bestreiten, dass das klimaschädlich ist. Die gesetzlichen Vorgaben sagen, dass dieser Müll auf Deponien gehört. Ich kann ihn also nicht einfach in Brunsbüttel liegenlassen. Ich kann auch nicht auf die Schnelle eine Deponie in Dithmarschen aus dem Boden stampfen, was für diese vergleichsweise geringen Mengen auch nicht zu rechtfertigen wäre. Natürlich werden zahlreiche Lastwagen unterwegs sein. Aber wenn die Kraftwerksbetreiber den AKW-Bauschutt durch ganz Europa fahren müssen, weil in Schleswig-Holstein keine Bereitschaft zur Aufnahme besteht, dann ist das noch viel klimaschädlicher. Wie ist das, wenn man ausgerechnet als Grüner Abfallentsorgung gegen Kommunen und Bürger durchsetzen muss? Das macht keinen Spaß. Aber die Übernahme eines solchen politischen Amtes bedeutet für mich eben auch, die Verantwortung anzunehmen und sich nicht in die Büsche zu schlagen, wenn es mal unbequem wird. Ich hätte mir freiwillige Vereinbarungen wie zwischen Wiershop und dem Kernkraftwerk Krümmel auch in Lübeck gewünscht. Von Kai Dordowsky