Lübecker Berufsschule: Ringen um Maskenpflicht im Unterricht

Die Hanse-Schule liegt mitten in der Lübecker Altstadt. Schüler stehen davor auf der Straße und unterhalten sich oder rauchen. Eine Maske trägt hier draußen niemand. Drinnen sieht es etwas anders aus. „Im Schulgebäude herrscht Maskenpflicht“, erklärt die stellvertretende Schulleiterin Wiebke Hartmann (53). 1700 Schüler besuchen das Gebäude, alle lernen kaufmännische Berufe – Bürokaufmann, Versicherungskaufmann, Bankkaufmann, Steuerberater oder Einzelhändler. Wiebke Hartmann macht sich Sorgen, denn im Unterricht gilt die Maskenpflicht dann doch nicht mehr. „Das Land schreibt das nicht ausdrücklich vor. Und manche Schüler sehen es auch nicht ein.“ Sorge um schwangere Kolleginnen: Sie sorgt sich um schwangere Kolleginnen und Schüler, aber auch um die Familienangehörigen und die Kollegen in den Betrieben. Nur ein einziger Corona-Fall könne sich rasant ausbreiten, hat sie ausgerechnet. „Ein Schüler hat fünf Lehrer, jeder Lehrer hat zehn Klassen. Jede Klasse hat etwa 25 Schüler. Das sind dann schon 1250 Menschen, die im Falle einer Infektion betroffen wären. Also auch 1250 Betriebe mit ihren Mitarbeitern.“ So könnten sich in wenigen Tagen Tausende infizieren. „Ich bin anfangs durch alle Klassen gegangen und habe sehr emotional für das Tragen der Maske im Unterricht geworben.“ Danach habe es überwiegend große Zustimmung gegeben. Inzwischen aber lasse die Bereitschaft zum Tragen der Maske nach. „In manchen Klassen weigern sich die Schüler.“ Solange nicht alle Schüler einer Klasse einig seien, finde der Unterricht ohne Mundschutz statt, sagt Hartmann. Schließlich gebe es keine eindeutigen Vorgaben der Landesregierung, die ihr erlaubten, die Maske einfach vorzuschreiben. Konzentrationsprobleme durch die Maske: So wird zum Beispiel in einer Klasse von Versicherungs- und Finanzwirten kein Mundschutz getragen. „Außerhalb der Schule tragen wir ja auch keine Masken. Das macht doch keinen Sinn“, meint Gokan Ata (20). Dabei wolle er ja nicht unsozial sein. „Wenn alle eine Maske tragen würden, wäre ich der Letzte, der nicht mitmacht. Aber es müssten eben auch alle anderen tun.“ Mitschüler Maik O. (20) findet die Maskenpflicht „auf jeden Fall notwendig“. Er sei „absolut dafür“. „Ich finde es schwachsinnig dagegen zu sein.“ Trotzdem trägt er keine Maske. „Es ist extrem schwer, im Sommer acht Stunden mit Maske im Unterricht zu sitzen. Er habe „nicht den besten Kreislauf“. In den ersten zwei Schulwochen des Jahres sei die Maske noch vorgeschrieben gewesen. „Da war ich vom Kopf her nicht wirklich da.“ Seine Ausbildung mache er bei einer Maklerfirma, in der ein Mundschutz ebenfalls nicht Pflicht sei. „Die sind da auch ziemlich lasch.“ „Am Anfang habe ich den Mundschutz getragen“, berichtet Betas Tan (25), der bei einem Finanzunternehmen arbeitet. „Aber als sie immer mehr Leute abgenommen haben, habe ich es nachher auch gemacht.“ Die meisten der Schüler, die keine Maske tragen, wollen sich nicht äußern. Sie möchten lieber anonym bleiben. Mundschutz trotz Asthma: Ganz anders in der Klasse, die pro Mundschutz votiert hat – es sind angehende Kaufleute für Büromanagement. Dort wird gerade Personalwesen unterrichtet. Eigentlich trage auch er die Maske nicht so gerne, gesteht Schariyaar Habib (21). „Wir sind acht Stunden hier in diesem Raum.“ Außerdem sei er Raucher. „Da kriege ich sowieso schon schlecht Luft.“ Es sei unfair, dass einige Masken trügen und einige nicht. Letztlich trage er die Maske aus Solidarität, da alle anderen in seiner Klasse sich dafür entschieden hätten. „In einer Solidargemeinschaft ist das Tragen der Maske selbstverständlich“, formuliert Michael Blütgen (26), was ihn zu seiner Entscheidung bewogen hat. „Außerdem möchte ich auch nicht angesteckt werden.“ Allerdings sei das Tragen des Mundschutzes „nervig“. „Teilweise bekommt man wirklich Kopfschmerzen. Aber ich hätte auch keine Lust, in den Betrieb zu gehen und alle zu infizieren.“ Er arbeitet bei Bockholdt. Vorbild für Geschwister: Elif Turgut (23) möchte ein Vorbild für ihre jüngeren Geschwister sein. „Ich will niemanden anstecken. Das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“ Außerdem möchte sie ein Vorbild sein für ihre jüngeren Geschwister, die in ihrer Schule ebenfalls Maske tragen müssen. Auch bei ihrem Arbeitgeber, der Notarzt-Börse, werde Hygiene groß geschrieben. Burcu Özkaya (36) ist Asthmatikerin. „Wahrscheinlich könnte ich mich von der Maskenpflicht befreien lassen“, vermutet sie. „Mir fällt es schwer Treppen zu steigen, mit Maske erst recht.“ Aber sie arbeitet bei einer Akademie. „Dort müssen die Schüler alle Maske tragen. Wir Angestellten müssten es eigentlich nicht, aber wir tun es aus Respekt vor den Schülern.“ Ministerium soll klare Anweisung geben: Alina Rumlich (20) gibt die Maske ein Stück Sicherheit. „Es ist erschreckend, wie leichtsinnig viele mit dem Thema umgehen.“ Als Azubi einer Catering-Firma muss sie auch bei der Arbeit strenge Hygiene-Vorschriften beachten. Michael Grosse (34) findet das Hygienekonzept seiner Schule fragwürdig. Seiner Ansicht nach müsste man auch die Türgriffe ständig desinfizieren. „Gerade deshalb trage ich Maske.“ „Es gibt ja noch keinen Impfschutz“, gibt Lehrerin Jeannette Kopsch (37) zu bedenken. „Also ist die Maske unser ganzer Schutz.“ Nach allem, was sie bisher über die Krankheit gehört habe, habe sie nun wirklich Angst, bekennt die stellvertretende Schulleiterin. „Ich würde mir wünschen, dass eine klare Anweisung kommt und nicht nur eine dringende Empfehlung.“ Lesen Sie auch Corona-Aerosole: Sind Luftreiniger die Lösung? Lübeck: Corona-Fall an Dorothea-Schlözer-Schule Schlechte Luft und Corona: Schulen wollen CO2-Warnmelder für die Klassenzimmer Von Marcus Stöcklin