Lübecker Fotodesigner hält Momente der Reizüberflutung fest

Der Mann mag keine Großstädte – also der auf dem Bild. Er verzieht das Gesicht, hält die Hände an den Kopf und lehnt sich ablehnend zurück. In ihm die Stadt. Fotografiert und festgehalten von Patric-Pablo Eller in analoger Doppelbelichtung. Das mag Laien nicht viel sagen, aber es ist eine Technik, die sehr viel Arbeit, Aufwand und Bilder im Kopf produziert, bevor sie als ein Ganzes entsteht. Im Prinzip entstehen zwei Fotos ineinander, weil sie nacheinander und übereinander aufgenommen werden. Dazu fotografiert Eller zunächst die Menschen –und fährt anschließend an höher gelegene Spots, um Städte oder Landschaften mit demselben Film auf den gemachten Fotografien abzulichten. Dem bloßen Auge mag das fertige Bild wie eine Collage erscheinen. „Das ist es aber nicht“, sagt Eller. „Da ist nichts digital nachgearbeitet.“ Doppel- und Mehrfachbelichtung ist eine Technik aus der Analogfotografie, bei der ein Bild auf das vorherige belichtet wird. So werden mehrere Realitätsebenen in einem Bild festgehalten. Ähnlich wie bei Langzeitbelichtungen verschwimmen die einzelnen Belichtungen ineinander. Die Motive werden dabei häufig transparent. Der Aufwand ist groß: Der Film, der eingelegt ist, kann nicht herausgenommen und begutachtet werden – der Fotograf muss sich auf sein Gefühl verlassen, das nächste Bild so abzulichten, das es auf das vorherige passt und das Gesamtbild so aussieht, wie er sich das vorstellt. Zu sehen ist das erst, wenn der Film entwickelt ist. Analog statt digital: Eller hat in diesen schnellebigen Zeiten und „der Reizüberflutung im Alltag“ das Stehenbleiben gesucht. Das Entschleunigen. Das Wertschätzen. Das Analoge, um innezuhalten. „Und eben nicht das ständige Produzieren in der Digitalität.“ Mal eben schnell ein Foto mit dem Smartphone machen und das Ergebnis technisch bearbeiten. „Das will ich nicht“, sagt Eller. Nicht für dieses besondere Projekt, das er seit gut sechs Jahren betreibt. „The City in me“ heißt es (“Die Stadt in mir“) – und es ist der festgehaltene Moment von Menschen und dem Sehnsuchtsort in ihnen. Das sind Städte, Straßen oder Sehenswürdigkeiten. Orte, die eine besondere Bedeutung haben und die zum Ich des abgelichteten Menschen gehören – warum auch immer. Und sei es, weil sie Städte einfach hassen. Die Symbiose beider Motive hat im Kopf von Eller eine eigene Kampagne ausgelöst, die ihn in Städte wie Chicago, Berlin, Lissabon, Paris oder London hat reisen lassen, um die porträtierten Menschen innerlich zu füllen. Den größten Aufwand aber hat er in Lübeck betrieben, wo es bis auf den St.Petri-Aussichtsturm wenig Möglichkeiten gibt, aufzusteigen, um den Blick nach unten zu richten. „Ich habe mir hier einen Tragschrauber gemietet, um höher zu kommen und Bilder von der Stadt zu machen“, erzählt der Künstler, der auf Gran Canaria geboren ist und seit gut 20 Jahren in Lübeck lebt. Angetan von der Idee hat sich auch Bürgermeister Jan Lindenau mit seiner Stadt ablichten lassen –mit dem Holstentor im Herzen. Fotos entwickeln fühlt sich an wie Weihnachten: Das Ergebnis ist ein Geschenk. Für Menschen, die ihre inneren Sehnsuchtsorte zum Ausdruck bringen und solchen, die durch die Technik und die Betrachtung einen Moment angehalten werden möchte, um sich auf ihr Inneres zu konzentrieren. Im vergangenen Jahr hat Eller eine ganze Reihe Sportler vom VFB Lübeck, VFL Bad Schwartau oder den Footballern Cougars mit Lübeck vereint. In diesen Tagen hat er erfahren, dass er seine Arbeiten beim nächsten Hansekulturfestival ausstellen darf. „Darüber freue ich mich sehr.“ Obwohl Eller als studierter Grafik-Designer auch Filme macht und andere Kampagnen betreut und durchaus auch das digitale Handwerk beherrscht, liegt ihm vor allem die analoge Fotografie und der Blick auf das Besondere am Herzen. In seiner Wohnung stapeln sich Filme, Filmdosen, alte Kameras und Fotografien. „Reizüberflutung“ in Lübeck: Entwickelt werden die Fotos von einem Profi-Labor in Süddeutschland, erzählt Eller, denen er seine Arbeit schickt. Das Gefühl, der Spannung, wenn die Bilder zurückgeschickt werden, sei kaum zu beschreiben, sagt er. „Es fühlt sich an wie Weihnachten, wenn die Post mit den Bildern kommt und man im ersten Moment nicht weiß, wie sie aussehen.“ Und diese Momente bestätigen ihn. Wo sich heutzutage mit sämtlichen Hilfsmitteln Bilder und mit einfachsten Effekten mit dem Handy machen lassen, geht Eller das Gefühl der Wertschätzung gegenüber einem Motiv verloren. Es ist nicht so, dass er die Technik nicht beherrscht. Ganz im Gegenteil. „Die Möglichkeiten der heutigen Zeit sind Fluch und Segen zugleich. Dessen will ich mir bewusst sein.“ Deshalb auch hat Eller sein Büro für Grafikdesign, Film und Foto auch „Reizüberflutung“ genannt. Eine kreativer, beinah mahnender Titel, um innezuhalten. Designer Patric-Pablo Eller auf der Hanseart Dias haben noch immer ihre Fans Die kleinste analoge Kamera der Welt kommt aus Travemünde Von Schabnam Tafazoli

Analoge Kunst - Lübecker Fotodesigner hält Momente der Reizüberflutung fest