Lübecker Psychologin: Darum ist Feiern für Jugendliche wichtig

Dr. Lena Rademacher ist Forscherin am Social Neuroscience Lab der Universität Lübeck. Ihre Forschung spezialisiert sich auf die belohnende Wirkung sozialer Interaktionen zwischen Menschen. Im LN-Interview erzählt sie, wie der Lockdown für junge Menschen problematisch werden kann, wenn sie nicht auf soziale Events, wie Partys gehen können. Frau Dr. Rademacher, warum gehen junge Menschen überhaupt so gerne feiern? Die Gründe dafür können vielfältig und für jeden Einzelnen auch sehr unterschiedlich sein. Jugendliche und junge Erwachsene sind in einer Lebensphase, in der sich die eigene Persönlichkeit entwickelt, eine Loslösung von den Eltern stattfindet und der eigene Platz in der Gesellschaft gefunden werden muss. In dieser Zeit orientieren sich junge Menschen immer weniger an ihren Eltern und mehr an Gleichaltrigen. Beim Feiern bietet sich die Möglichkeit, Leute kennen zu lernen, das eigene Wirken auf andere zu erproben und Kontakte für erste sexuelle Erfahrungen und Liebesbeziehungen zu knüpfen. Durch die Umgebung des Feierns haben Jugendliche eine Art geschützten Rahmen, bei dem sie unter sich sind und verschiedene Verhaltensweisen ausprobieren können und auch mal ihre gewohnte Rolle verlassen können. Natürlich ist Feiern auch mit Spaß und Unbeschwertheit verbunden, die es möglich macht, die Unsicherheiten und Probleme des Alltags zu vergessen, was durch den Konsum von beispielsweise Alkohol unterstützt wird. Auch spielt es eine Rolle, dass man sich sozial eingebunden fühlt und in der Gemeinschaft etwas erleben kann. Was für einen Effekt hat Feiern gehen denn auf die Psyche von jungen Menschen? Das ist schwer pauschal und eindimensional zu beantworten. Teilweise kann das Feiern einen positiven Affekt auf die Psyche haben, zum Beispiel, weil jemand sich als Teil einer Gruppe integriert fühlt und nicht einsam ist oder positive Erfahrungen macht, dass andere ihn oder sie als interessant oder attraktiv wahrnehmen und kennenlernen möchten. Das wirkt belohnend und kann das Selbstbewusstsein stärken. Darüber hinaus kann es von Alltagsproblemen ablenken. Was für Probleme können auftreten, wenn man jungen Menschen das Feiern gehen verbietet? Es gibt bereits Studien, die zeigen, dass Einsamkeit durch die Maßnahmen sozialer Distanz während der aktuellen Pandemie einen Risikofaktor für depressive Symptome darstellt. Generell ist das Erleben sozialer Eingebundenheit ein wichtiger Faktor für den Erhalt körperlicher und psychischer Gesundheit, nicht nur bei jungen Menschen. Personen, die gut sozial eingebunden sind und ein soziales Netzwerk haben, das sie gut unterstützt, werden seltener krank und haben auch bessere Prognosen falls sie erkranken. Wir gehen davon aus, dass das auch durch die besondere Qualität und belohnende Wirkung sozialer Interaktionen vermittelt wird. Also leiden junge Menschen besonders unter dem Tanzverbot? Die sozialen Interaktionen von jungen Erwachsenen und deren soziale Netze lassen sich nicht nur auf das Feiern beschränken. Allerdings sind ausgelassene Feiern, das Treffen in größeren Gruppen und das Kennenlernen neuer Personen wichtige Bestandteile im Leben von jungen Menschen, die auch dazu beitragen, dass junge Menschen sich zusammenfinden und Kontakte aufrechterhalten. Daher kann das Verbot von Treffen in größeren Gruppen und die Maßnahmen der sozialen Distanz Einschränkungen der Lebensqualität bedeuten und könnte langfristig das Wohlbefinden beeinflussen, wenn diese Art von Treffen zuvor ein formierender Bestandteil einer Gruppe von Freunden und Bekanntschaften war. Kann man jungen Menschen dementsprechend überhaupt das Feiern verbieten? Solange die Pandemie sich in einem kritischen Stadium befindet, sehe ich keine wirkliche Alternative zu solchen Maßnahmen, da das klassische Feiern einfach damit verbunden ist, dass man mit einer größeren Anzahl von teilweise auch unbekannten Personen zusammen kommt und dabei die Distanz zu anderen nicht immer einhält. Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, alternative Räume mit geringem Infektionsrisiko zum Feiern gehen zu schaffen? Ich halte es zunächst für grundsätzlich sinnvoll, sich intensiv darüber Gedanken zu machen, wie junge Menschen die Aktivitäten, die für ihr Sozialleben wichtig sind und ihre Gemeinschaft prägen, weiter ausüben können. Tatsächlich wäre es wünschenswert, wenn Alternativen geschaffen werden könnten, insbesondere wenn Sie dabei helfen könnten, belohnende soziale Interaktionen zu erleben, Zusammenhalt zu stärken und möglichen Entwicklungen hin zu sozialer Isolation und Einsamkeit vorzubeugen. Lesen Sie auch Talk statt Lübecker Staffeltag: LN senden am 18. September Stream vom Buni Lübeck: Kommt das Street-Art-Festival? VfB Lübeck startet freien Ticketverkauf Messerstecherei am Holstentor in Lübeck: Polizei fasst Tatverdächtige Von Max von Schwartz