Lübecker Uniforscher Prof. Rolf Hilgenfeld entschlüsselt Coronavirus

Seit er von seiner Reise nach China zurück ist – das ist nun vier Wochen her –, hat Uni-Professor Rolf Hilgenfeld sein Lübecker Institut quasi nur noch verlassen, um zu Hause ein wenig Nachtruhe zu finden. „Wir verbringen seitdem hier bis zu 18 Stunden täglich im Labor“, sagt der Leiter des Instituts für Biochemie. Mit dem „wir“ schließt er seine Arbeitsgruppenleiterin Dr. Linlin Zhang mit ein. Dieses hohe Arbeitspensum ist nötig, weil sich die Lübecker Wissenschaftler auf der Zielgeraden wähnen. Virus kann sich nicht mehr vermehren: Denn wie schon 2003 – beim Sars-Ausbruch – ist es Hilgenfeld und seinem Team gelungen, die wichtige dreidimensionale Struktur eines Enzyms des tückischen Virus mit Hilfe von Kristallisation und Röntgenstruktur-Analyse aufzuklären und den bereits früher von der Arbeitsgruppe hergestellten Wirkstoff auf der Basis dieser Struktur zu verbessern. Ein Enzym ist quasi ein Steuerelement, und wenn man dieses lahmlegen kann, kann man dem Virus sprichwörtlich ein Bein stellen. So verhindert im konkreten Fall der Wirkstoff, den die Forscher im Labor „zusammenbauen“ können und dessen Effizienz noch im Tierversuch bestätigt werden muss, die Vermehrung des Übeltäters in der menschlichen Zelle. Die Zeit drängt ebenfalls, weil die Ergebnisse möglichst schnell in einer Publikation in einem hochrangigen Wissenschaftsjournal münden sollen. Schließlich wollen die Lübecker als erste mit dieser Erfolgsmeldung in der Wissenschaftswelt erscheinen. „Ich denke aber, dass wir das Mitte der nächsten Woche geschafft haben“, so Hilgenfeld. Bisher gibt es weltweit kein einziges Medikament; in China wird aktuell untersucht, inwieweit Arzneien, die bisher gegen Ebola und HIV eingesetzt werden, auch dem aktuellen Coronavirus zu Leibe rücken könnten. Soziale Medien sorgen für Fehlmeldung in China: Eigentlich wollte der Biochemiker die Substanz auf seiner jüngsten Reise von Kollegen in China testen lassen. Doch leider gelang dies auf Grund der angespannten Situation im Reich der Mitte nicht. Lesen Sie auch: Uni Lübeck: Dem Coronavirus auf der Spur Im China selbst stand der Uni-Forscher ebenfalls im Blickpunkt des Interesses. Denn über soziale Medien wurde dort irrtümlicherweise millionenfach kommuniziert, dass sein Wirkstoff bereits als Medikament bei Patienten eingesetzt werden könne. „Da musste ich vier bis fünf Tage lang in TV- und Zeitungs-Interviews vieles gerade rücken“, betont er. Anfragen von Patienten nach Medikament: In etlichen Mails sei er sogar von Patienten um das Medikament gebeten worden. „Meine Botschaft war und ist: Ein Wirkstoff ist noch lange kein Medikament; bis dahin gehen noch mehrere Jahre ins Land“, hebt er hervor. Schließlich müsse die Substanz noch eingehend auf ihre Toxizität getestet werden – „erst an Mäusen, dann an freiwilligen Gesunden, schließlich an Kranken. Das bedeutet, dass unser Wirkstoff sicherlich nicht mehr beim jetzigen Ausbruch zum Einsatz kommen wird“. Pharmaunternehmen zeigt Interesse: Das Hauptproblem bei der Entwicklung von Wirkstoffen gegen neu aufkommende Viren sei, dass dann, wenn man so weit sei mit der klinischen Prüfung, es keine Patienten mehr gebe. „Dann ist der Ausbruch vorbei, und man wartet viele Jahre bis zum nächsten Ausbruch“, merkt er an. Immerhin interessiere sich inzwischen ein Pharmaunternehmen für die Entdeckung. „Aber bis zum fertigen Medikament vergehen nun wohl noch zwischen fünf bis zehn Jahre“, prognostiziert er sehr vorsichtig. Erst Anfang der Woche saß er bei einer Pressekonferenz in Berlin auf dem Podium, zusammen mit unter anderem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Es ging um den aktuellen Stand zur Forschung am Coronavirus. Denn die Expertise von Rolf Hilgenfeld ist weltweit anerkannt, seit er im Jahr 2003 dabei half, das Sars-Virus, an dem damals vor allem in Asien etwa 800 Menschen starben, zu bekämpfen. Prof. Rolf Hilgenfeld wird Ende des Monats die Leitung des Instituts für Biochemie der Lübecker Universität an seinen Nachfolger abgeben. Allerdings wird er als Senior-Professor weiter forschen. Vor mittlerweile 17 Jahren kam der Wissenschaftler auf den Uni-Campus. Besondere Verdienste erwarb er sich in der Erforschung des Sars-Virus und des Zikavirus. Sars (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) ist eine hochansteckende Infektionskrankheit, an der 2003 etwa 8000 Menschen erkrankten. Neben China waren die Metropolen Toronto und Singapur am stärksten betroffen. Hilgenfeld erforscht insbesondere die Enzyme der Coronaviren, die bei der Vermehrung entscheidend sind, mithilfe der so genannten Röntgenstrukturanalyse. Diese „Schrittmacher“ sollen dann gezielt durch Wirkstoffe lahmgelegt werden, damit sich die Erreger im Körper nicht mehr fortpflanzen können. Der gebürtige Göttinger wusste nach eigenen Angaben schon in der neunten Klasse, dass er Chemie studieren möchte. „Der Spaß am Experimentieren war bei mir schon früh ausgeprägt, was bei meinen Eltern nicht immer gut ankam. So habe ich mal die Küche abgefackelt, als ich auf dem Herd Seife herstellen wollte.“ Nach seinem Studium in Göttingen und Freiburg arbeitete er am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in seiner Heimatstadt, promovierte in Berlin und war danach neun Jahre in der Chemischen Industrie bei Hoechst tätig. Von 1995 bis 2002 war er Professor für Strukturelle Biochemie an der Universität Jena. Dann kam er nach Lübeck. Mit dem Entwurf des Diabetes-Medikamentes „Lantus“ gelang ihm ein bahnbrechender Erfolg. Dieses modifizierte Insulin ist über 24 Stunden lang wirksam, also viel länger als normales Humaninsulin, das der Typ-I-Diabetiker tagsüber etwa alle sechs Stunden neu spritzen muss. Der Erreger der Lungenkrankheit Sars war – ähnlich wie heute – ein bis dahin unbekanntes Coronavirus. Den neuen Erreger bezeichnet man mittlerweile als Sars-ähnliches Coronavirus (Sars-Cov-2). Die Erkrankung infolge des neuen Virus heißt seitdem Covid-19. Eine bittere Erkenntnis aber bleibt: „Hätte sich 2003 beim Ausbruch von Sars eine Pharmafirma für unsere Entdeckung interessiert, dann wäre mittlerweile ein Medikament auf dem Markt, dass uns bei der jetzigen Epidemie effektiv geholfen hätte. Leider ist die Industrie immer erst interessiert und investiert in die Entwicklung, wenn es sehr viele Krankheitsfälle gibt, so dass man einen großen Umsatz erwarten kann“, resümiert der Wissenschaftler. 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Von Michael Hollinde

Covid-19 - Lübecker Uniforscher entschlüsselt Coronavirus-Enzym