Lübecks Weltradlerin Luisa: Hausarrest in Ecuador

Der Horizont steht still. Als mir die Freiheit, mich mit meinem Fahrrad uneingeschränkt durch diese Welt bewegen zu können, genommen wird, lerne ich dieses Privileg vielleicht zum ersten Mal zu schätzen. In Ecuador haben die Menschen die Entscheidung, zu Hause zu bleiben, um sich gegenseitig zu schützen, nicht selbst getroffen. Es ist das Militär, das den landesweiten Hausarrest durchsetzt. Ich hätte es kommen sehen können. Doch als mir zwei Tage vor Beginn des Hausarrests im Norden von Quito erst die Casa del Ciclista, dann ein Gastgeber von Warmshowers, Feuerwehr und Kirche die Tür vor der Nase zuschlagen, begreife ich immer noch nicht, was gerade passiert. Ich radle weiter. Um die Grenze nach Kolumbien zu erreichen, um in das Land einzureisen, das aufgrund eines Drogenkriegs einst unbereisbar war. Doch das Virus holt mich ein und überholt mich. Notstand und Hausarrest in Ecuador: Als ich auf dem Hof des australischen Auswanderers Graham in Ibarra ankomme, mit einem unterernährten Welpen in meinem Helm, der orientierungslos über die Straße lief, sind die Grenzen längst geschlossen. Das kommt in meinem Kopf allerdings gar nicht an, denn ich freue mich erst einmal darüber, dass eine Familie in der Nachbarschaft den Welpen aufnimmt. Erst als mein Handy im Internet eingeloggt ist, erst als ich eine Nacht darüber geschlafen habe, holen mich die weltweiten Nachrichten nach und nach auf den Boden der Realität zurück. Während ich durch die analoge Welt gefahren bin, die ständig wechselnden Horizonte bewunderte, den ständigen Regen verfluchte, hat die ecuadorianische Regierung den Notstand ausgerufen und Hausarrest verordnet. Stillstand. Die Welt hat sich in in der Zeit meiner digitalen Abwesenheit verändert. Zurück in die nördliche Hemisphäre: In meinem Kopf bewegt sich alles wie in Zeitlupe, während das Virus im Zeitraffer zuschlägt. Gerade noch bin ich am Chimborazo vorbeigefahren, dem höchsten Berg der Welt vom Erdmittelpunkt aus gemessen, am Cotopaxi, einem der meistbestiegenen aktiven Vulkane, über den Äquator zurück in die nördliche Hemisphäre. Und plötzlich sitze ich fest. Katja Dobat allerdings hat eine Idee. Die Familie Dobat lebt seit vier Jahren in Cuenca, Christoph ist der Leiter der deutschen Schule in der Stadt in Zentral-Ecuador. Dass sich unsere Weg gekreuzt haben, war mal wieder Zufall. Ich war auf dem Weg aus der Stadt heraus, als ein Ecuadorianer seinen Kopf aus seinem Auto streckte und mich mit wild fuchtelnden Armen zum Stehen brachte. Nico hatte tausend Fragen an mich, deshalb schlug ich vor, einen Tag bei ihm zu bleiben und all seine Fragen über das Radreisen zu beantworten. Am Nachmittag nahm er mich mit zu seiner Fahrradschule, die an das Schulgelände der Deutschen Schule grenzt. Dort lernte ich Katja und Christoph sowie ihre Kinder Valentin und Antonia kennen. Auf Grahams Farm in Ibarra: Ich blieb einen Monat in Cuenca. Erst eine Woche bei Nico und seiner amerikanischen Frau Erin, dann lebte ich bei den Dobats. Obwohl es in den Beinen juckte, weiterzufahren, fiel es mir nicht schwer zu bleiben. Ich fühlte mich wie zu Hause, die Dobats gaben mir das Gefühl, zur Familie zu gehören, keine Belastung im Familienalltag zu sein – ich wünschte, der Notstand wäre damals, im Februar ausgerufen worden. Doch Katja lässt mich auch 600 Kilometer entfernt nicht allein und vermittelt mir den Kontakt zu den deutschen Auswanderern Petra und Johannes, die in Nueva Loja am östlichen Grenzübergang nach Kolumbien leben. Petra willigt sofort ein, mich auf ihrer Finca aufzunehmen. Doch die Distanz von 340 Kilometern scheint unüberwindbar. Denn wer dabei erwischt wird, den Hausarrest zu verlassen, dem drohen ein bis drei Jahre im Gefängnis. Mit Graham einige mich darauf, für drei Dollar die Nacht auf seiner Farm in Ibarra zu bleiben. Graham selbst bekommt keine Genehmigung, seine 77-jährige, alleinlebende Schwiegermutter aus Ecuador, die fünf Autostunden entfernt lebt, zu sich nach Hause zu holen. Hiobsbotschaften aus Kolumbien: In meinem Hausarrest in Ibarra kommt die nächste Hiobsbotschaft aus Kolumbien. Antonin, mein französischer Gefährte in Bolivien und Peru, ist auf seinem Fahrrad überfallen und ausgeraubt worden. Er hat sich an der Schulter verletzt. Doch es gehe ihm schon wieder besser, physisch und mental, schreibt er. Es ist die dritte Überfall-Geschichte aus Kolumbien, die ich innerhalb von wenigen Tagen höre. Oliver aus Slowenien ist in seinem Zelt ausgeraubt worden und musste nach Hause fliegen, um einen neuen Pass zu beantragen. Anja und Barbara, mit denen ich in Peru und in Ecuador einige Tage gereist bin, erzählen mir von einem Radler, der nicht nur überfallen, sondern fast noch entführt worden wäre, um anschließend seine Familie zu erpressen. Die Angreifer haben ihm seine Freiheit gelassen, aber sonst alles genommen. Coronavirus ist in Südamerika angekommen: Das Coronavirus stellt seit Monaten die Welt auf den Kopf, doch in Südamerika und auf meiner Reise ist es erst in dieser Woche spürbar angekommen. Wie es für mich weitergeht, weiß ich nicht. Mein Visum läuft im nächsten Monat aus, meine Versicherung einen Monat später. Das Virus scheint unaufhaltsam weiter zu wüten, und die Geschichten aus Kolumbien bestärken mich nicht in meiner Überlegung, Wochen und Monate in Ecuador auszuharren, um dorthin einzureisen. Freunde aus Konstanz schreiben: „Wäre lustig, wenn du während Corona wiederkämest. Dann machen wir eine Quarantäne-WG auf, und jeder, der dich treffen will, braucht einen Passierschein.“ Luisa Rische radelt seit Mai 2017 um die Welt. 35 Länder will die Lübeckerin mit ihrem Rad „Anton“ bereisen. Zurzeit ist sie in Ecuador unterwegs. Auf ihrer Route lagen Cusco und Kimbiri. Zuletzt radelte sie nach Huaraz. Vor Südamerika standen bereits Skandinavien, Russland, China, Australien oder Neuseeland auf ihrem Reiseplan. Zuvor berichtete Luisa Rische bereits von ihrer Tour durch Bolivien. Nachdem sie zuvor in Chile unterwegs war und über die argentinische Hochebene radelte. Davor war sie im Flieger von Australien nach Chile gekommen. In Südaustralien hatte sie Sandstürme erlebt. Frühere Stationen ihrer Reise waren die Mongolei oder Silvester in Vietnam. Los ging alles im Mai 2017. Von ihren Erlebnissen berichtet Luisa Rische auch in ihrem Blog. Von Luisa Rische

Mit dem Fahrrad um die Welt - Lübecks Weltradlerin Luisa: Hausarrest in Ecuador