Psychologin: So geht man mit Verlust am besten um

Am Donnerstag musste der erste Teil des eingestürzten Hauses in Travemünde abgerissen werden. Für drei von insgesamt fünf Wohnungen gab es keine Rettung mehr. Die Mieter durften das einsturzgefährdete Haus nicht mehr betreten und mussten ihre Möbel und andere wichtige Gegenstände zurücklassen. Dieses gravierende Ereignis hinterlässt seine Spuren. Die leitende Psychologin des Ambulanzzentrums in Lübeck, Gesau Rau, erzählt im Interview darüber, wie man mit diesem Verlust am besten umgehen kann und dass man in solch einer Situation auch immer etwas Positives sehen sollte. Frau Rau, was bedeutet es aus psychologischer Sicht für die Menschen, die nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Gegenstände verloren haben, und was kann diese Situation in ihnen auslösen? Das ist aus psychologischer Sicht natürlich ein gravierendes Lebensereignis, weil Dinge und Gegenstände aus der eigenen Lebensgeschichte etwas sind, was ganz viel Wert und Bedeutung hat. Ein Ereignis, das einem so unkontrolliert diese Sachen wegnimmt, kann zu einer enormen Verunsicherung führen. Viele dieser Dinge haben das Leben bisher ausgemacht, durch den Verlust geht auch ein Stück Identifikation verloren. Was kann das für Folgen haben? Ich würde jetzt nicht davon ausgehen, dass so ein Ereignis Grund für die Entstehung einer psychischen Erkrankung ist. Zumindest nicht der alleiniger Auslöser. Es besteht die Möglichkeit, dass nach einem traumatischen Lebensereignis eine akute Belastungsreaktion erfolgt, Symptome hierfür sind Schlafstörungen, erhöhte Schreckhaftigkeit oder unkontrolliertes Wiedererleben der Situation. In der Regel gehen diese Symptome innerhalb der ersten Wochen von ganz alleine wieder zurück. Wenn die Symptome anhalten, kann eine posttraumatische Belastungsstörung entstehen. Dieses geschieht in aller Regel jedoch nach dem Miterleben von lebensbedrohlichen Ereignissen, wie einem schweren Zugunglück oder einem Überfall. Auch wenn diese Situation nicht alleiniger Auslöser für die Entstehung einer psychischen Erkrankung, wie zum Beispiel einer Depression ist, so stellt es natürlich ein einschneidendes Lebensereignis dar und dieses kann wie ein letzter Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Psychische Erkrankungen haben in aller Regel multimodale Entstehungsbedingungen. Man geht davon aus, dass es biologische Komponenten gibt, die Genetik spielt eine Rolle. Die Lebens- und Lerngeschichte spielt eine Rolle und eben die Lebensereignisse, die dann vielleicht wie ein alleiniger Auslöser wirken, aber es ist aber immer ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Natürlich hängen an den Gegenständen viele Erinnerungen. Schafft man es, diese Erinnerungen irgendwie zu lösen? Ich glaube es geht nicht um Lösen, sondern es geht eher um Bewahren. Und sich vielleicht bewusst machen: Auch wenn diese Gegenstände nicht mehr da sind, man trägt sie trotzdem im Herzen. Das ist so ein bisschen wie der Verlust eines geliebten Menschen. Es geht nie darum, Erinnerungen auszulöschen, sondern es geht immer darum, zu akzeptieren, dass sie nicht mehr da sind. Akzeptanz ist der Schlüsselbegriff dafür. Was kann der Mensch tun, damit es ihm besser geht? Darüber zu sprechen ist für viele Menschen die beste Möglichkeit der Entlastung. Da ist es aber ganz unterschiedlich, was jeder Einzelne braucht. Es geht darum zu gucken, was brauche ich jetzt und was hilft mir, die Situation zu verarbeiten. Für den einen ist vielleicht das Gespräch das beste Mittel, für den anderen eher Ablenkung oder Aufmerksamkeitslenkung auf andere Dinge. Man sollte achtsam mit sich sein und nicht einfach über seine Bedürfnisse hinweggehen. Das, was dann gebraucht wird, ist auch in Ordnung. Da gibt es kein Richtig oder Falsch. Ab wann sollte man sich Hilfe holen? Anzeichen für eine erhöhte Belastung können Schlafstörungen, permanentes Grübeln über die Situation, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, oder auch Konzentrationsstörungen sein. Dann sollte man einen Arzt oder Psychologen aufsuchen. Kann man aus diesem eher negativen Ereignis trotzdem etwas Positives sehen? Eine Frage die ich dabei sehr hilfreich finde, ist: „Was war mir von diesen Dingen wirklich wichtig?“ Und es kann auch etwas Entlastendes haben, einfach diese Situation als etwas Befreiendes zu sehen, auch wenn das natürlich nicht freiwillig war. Jetzt kann man sich noch einmal neu sortieren und überlegen, was wirklich wichtig für das Leben ist. Lesen Sie auch Erneut leer stehenden Haus in Lübeck besetzt Priwall: Schafe sollen helfen die Dünen zu schützen Lübecks schlechte Gehwege – und kein extra Geld von der Stadt Von Jule Arista Runde