Riesiges Bällebad in der Lübecker Petrikriche: Eine Ausstellung, die viel ins Rollen bringt

Sie ruhen, sie rollen. Schaffen Abstand und Nähe und bilden Grenzen und Wege, die vor allem innerlich ganz viel in Bewegung bringen: Was auf den ersten Blick aussieht wie ein riesiges Bällebad in der Petrikirche, ist eine neue Ausstellung des Projektionskünstlers Christoph Faulhaber namens „Para Social“. Verspielt und tiefsinnig zugleich. In Zusammenarbeit mit der Overbeck-Gesellschaft und der Kirche konfrontiert der in Hamburg lebende Künstler die Besucher ab Freitag mit einem Raum voller Fragen, denen man selbst nachgehen darf. Was sind Grenzen? Wer definiert sie? Was ist öffentlicher Raum? Wie verschieben sich Wahrnehmung und Dimension? Wer bestimmt über Abstand und Nähe? Was löst das für ein Gefühl aus? Sicherheit oder Unbehagen? Wie offen ist offen, und wie sperrig ist sperrig? Der Fragenkatalog ist endlos und die Kunst verspielt einfach. 70 Bälle im gesamten Kirchenraum: 70 Bälle in rot, gelb, blau, orange und grün verteilen sich im gesamten Kirchenraum von St. Petri. Jeder Gummiball, gute drei Meter im Durchmesser groß, ist ein Objekt für sich. Mal stehen die Bälle zusammen, mal rollen sie auseinander, mal kommen sie auf einen zu, mal entfernen sie sich – es liegt im Auge und in der Hand des Betrachters, wie sich dieses Zusammensein gestaltet. „Profan, poppig, kitschig“, wie Faulhaber sein Bälleprojekt beschreibt, „verschieben sich Grenzen im Raum auf ihre eigene Art und hinterfragen Macht und Ohnmacht.“ Das Spiel zwischen Bedrängung und Befreiung sei auf diese Art ganz besonders erfahrbar. Abstandskunst in Zeiten von Corona: Besucher können sich durch leichtes Anstoßen der Riesenkugeln ihren Weg durch die Bälle bahnen und erfahren, wie sich die Dimensionen anfühlen. Den bestehenden Hygienemaßnahmen entsprechend dürfen sie mit Handschuhen und Maske durch den Raum gehen, die Bälle anfassen, schieben und rollen, wie sie mögen. Eine interaktive Erlebniskunst, befreiend und bedrohlich – und ganz aktuell in der Corona-Krise eine auch kreative Auseinandersetzung mit dem Thema „Social distancing“. „Kreativität ist auch in diesen Zeiten möglich“, sagt Kurator Oliver Zybok von der Overbeck-Gesellschaft. „Die Ausstellung verdeutlicht interaktiv, was eine Gesellschaft ausmacht, wie sich Kontexte verschieben und wie unterschiedlich Wahrnehmungsebenen sind.“ Der Direktor der Overbeck-Gesellschaft kennt Faulhaber schon seit vielen Jahren, ist begeistert von seinen Projekten – und noch begeisterter, die Ausstellung so kurzfristig nach Lübeck geholt zu haben. Christoph Faulhaber(48) Hamburger Künstler, Performer, Filmemacher und Autor, ist vor allem durch seine gesellschaftskritischen Projekte bekannt, die immer wieder großes Aufsehen erregen. Mal sitzt er als schick gekleideter Bettler vor einem Designer-Laden, mal hinterfragt er das Fotografieren im Öffentlichen Raum, in dem er sich vor eine Botschaft stellt und diese ablichtet. Seine Aktionen werden oft mit Polizeieinsätzen beendet, Stipendien ihm wieder entzogen und Gerichte damit beschäftigt, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Faulhaber wird nicht nur in Deutschland vom Staatsschutz sondern auch in den USA vom FBI überwacht. Dabei geht es dem mehrfach ausgezeichneten Künstler weniger um das bewusste Provozieren, wie er sagt, sondern immer wieder um den öffentlichen Raum und seine Grenzen. Diesen stellt Faulhaber gern als umkämpften Bereich verschiedener Interessen, Ort der Überschneidung privater und politischer Begegnung und Bühne für die Auseinandersetzung damit dar. Seine international gefragten Arbeiten und Projekte waren schon in New York, Paris und Prag zu sehen. Mehr Infos: www.christophfaulhaber.de Anlehnung an Corona-Krise: In Zusammenarbeit mit St. Petri und Pastor Bernd Schwarze war ein passender Raum für das Riesenbällebad gefunden. „Gerade in dieser gotischen Architektur, die immer nach Größe und Weite strebte, ist das eine ganz besondere Art, die Frage nach Dimensionen und Raum neu aufzuwerfen“, schwärmt Schwarze. Auch die Anlehnung an die aktuelle Corona-Krise und die Möglichkeit, Kunst auf Abstand zu erleben, sei etwas ganz Besonderes in dieser Zeit. Deswegen auch finden die Beteiligten den Namen der Ausstellung „Para Social“ so treffend: Das Präfix „Para“ steht für „zwischen, gegen, durch“. Irgendwo zwischen den Bällen also, kann man sich gegen bestehende Hindernisse – im Kopf wie auch vor Augen – den eigenen Weg durch das Gefüge bahnen. So jedenfalls hat sich das der Künstler gedacht, der einmal mehr Fragen auf seine Art und Weise in den Raum werfen möchte. Fragen wie Bälle. „Para social“ wird ab Sonnabend, 25. Juli, bis zum 30. August, täglich von 11-17 Uhr in St. Petri zu sehen sein. Der Eintritt ist frei. Zur Eröffnung am Freitag, 24. Juli, wird es zwei identische Veranstaltungen geben, um 15 und um 17 Uhr, da die Anzahl der Gäste gemäß des Sicherheitskonzeptes begrenzt ist und allen Kunstinteressierten eine Teilnahme ermöglicht werden soll. Informationen dazu gibt es auf www.st-petri-luebeck.de. Anmeldungen für die Teilnahme bitte telefonisch unter 0451-3977324 oder per E-Mail an astender@kirche-LL.de Ab Sonnabend ist keine Anmeldung notwendig. Coronabedingt wird strengstens darauf geachtet, dass nicht mehr als 15 Besucher gleichzeitig durch den Ausstellungsraum gehen. Handschuhe werden am Eingang zur Verfügung gestellt, Masken sind selbst mitzubringen. Kuratiert wurde die Ausstellung von Oliver Zybok und ist eine Kooperation mit der Overbeck-Gesellschaft und dem Kunstverein Lübeck. Von Schabnam Tafazoli