Sandalas am Ostseestrand: Zeichen der Hoffnung

Frühmorgens, wenn sich noch kaum jemand ans Meer verirrt und die Sonne gerade mal über den Horizont lugt, ist sie am liebsten unterwegs. „Dann ist der Strand noch unberührt“, sagt Gosia Finke. Dann nämlich sei die Chance auf eine glatte Fläche im Sand am größten – und die braucht sie für ihre ganz eigene Meditationskunst. Flächen am Strand müssen glatt sein: „Wenn die Wellen den Strand einmal gespült und sich zurückgezogen haben, ist der nasse Sand direkt am Ufer glatt und fest und frei von Spuren“, erzählt die 45-Jährige. „Dann kann ich loslegen.“ Dann zieht Finke sich die Schuhe aus, um keine extra Spuren zu riskieren, nimmt ein Treibholz in die Hand und malt. Kreise um Kreise, Bögen um Bögen, Rundung um Rundung. „Ich vergesse dabei die Zeit“, erzählt die Timmendorferin. „Ich lasse die Gedanken zur Ruhe kommen und konzentriere mich auf den Moment.“ Irgendwann stehe sie auf und sehe die fertige Arbeit, die immer mehr Menschen an der Küste erfreut: Ein Sandala – ein Mandala gemalt im Sand und manchmal bis zu 15 Meter groß. Manchmal bleibt es, manchmal geht es, wenn das Meer seine Wellen wieder an den Strand schickt. „Und das ist auch gut so“, sagt Finke, die sich nicht grämt, wenn ihre Arbeit wieder im Nichts verschwindet. Die meisten Sandalas hält sie auf ihrem Instagram-Account fest, weiß aber: „Nichts ist beständig, vor allem in diesen Tagen nicht.“ Irgendwie passe dieses Bild und das Innehalten in der Natur sehr gut in diese Zeit. Das Wort Mandala stammt aus dem Sanskrit und bedeutet heiliger Kreis. Das geometrische Schaubild besitzt im Hinduismus und Buddhismus eine magische, religiöse Bedeutung und ist immer auf seinen Mittelpunkt (Bindu) konzentriert – dieser symbolisiert die Mitte des Universums. „Meine Stimmung ist deutlich eingetrübt in dieser unsicheren Situation“, schrieb Finke kürzlich auf ihrem Instagram-Account. „Mentales Stoßlüften am Strand beim Sandalazeichnen schenkt mir innere Ruhe und Hoffnung.“ Hoffnung in Zeiten der Krise: Die Body-Workerin, die eigentlich in Timmendorfer Strand eine Praxis für ganzheitliche Massagen und Aromatherapien betreibt und mit ihrer „Happy Soul Schmiede“ sehr erfolgreich Stoffe kreiert, Bilder malt, Rohkostseminare gibt oder Ketten entwirft, hat in Zeiten von Corona noch mehr innegehalten. Wo sie sonst auf Nähe baut, ist nun Abstand angesagt. Wo man sie sonst aufsucht, um sich etwas Gutes zu tun, muss man nun zurücktreten und sich anders „berühren“. Deswegen auch wünsche sie sich sehr, dass die Menschen sich in dieser Zeit „in ihren Herzen nah bleiben und solidarisch miteinander sind“. Zum Glück sei sie eine Art „Kreativseele“, sagt Finke, die sich trotz schwerer Zeiten auf sich selbst verlassen könne. Und so versucht sie weiterhin, Gutes für sich und andere zu tun – so wie sie mit ihren Sandalas Hoffnung in diesen Zeiten schenken will, zeigen will, dass sie da ist, sagen will, dass auch wieder bessere Zeiten kommen. Zeiten der Sicherheit. Ohne Angst. Und mit der Leichtigkeit aus alten Tagen, die Finke sehr vermisst. Bis dahin versucht auch sie, durchzuhalten. Und das kommt offenbar an. „Einige Strandbesucher und Spaziergänger erkennen mich und fragen schon, wann ich das nächste Mal wieder da bin“, berichtet sie. Andere würden sich einfach dazusetzen und ihr beim Zeichnen zuschauen, so als „wollten sie etwas von dieser Ruhe einfangen“, berichtet Finke und zieht noch einen weiteren Kreis in den Sand. „Darüber freue ich mich sehr.“ Alles kommt und geht: Aber das Besondere an ihren Sandalas sei eben, dass man nie wissen könne, wann und wo sie auftauchen. „Die Gezeiten müssen stimmen und die Flächen müssen passen“, erklärt Finke. Meistens finde sich irgendwo zwischen Timmendorfer Strand und Scharbeutz ein Platz, wo sie am meisten unterwegs sei. Allerdings hinterlässt Finke ihre Spuren auch anderswo. Neulich auf Sylt. Kürzlich auf Fehmarn. Immer da, wo sie ans Meer kann. Und trotzdem sei damit nicht gesagt, dass ein fertiges Sandala vom Meer verschont bleibt. „Aber“, fügt Finke leise hinzu, „so ist eben auch das Leben.“ Alles kommt – alles geht. Oft unvorhergesehen – selten für immer. Ist das nicht auch ein beruhigender Gedanke in Bezug auf die Corona-Krise? Von Schabnam Tafazoli