Stormarner rettete gefesselter Studentin wohl das Leben

Es steht eine Frage im Mittelpunkt, ohne dass sie an diesem Tag jemand konkret ausspricht. Das zeigen all die anderen Fragen, die der Vorsitzende Richter Christian Singelmann an diesem Montag, dem zweiten Prozesstag, stellt. Es ist der Prozess gegen Berat M. (Name geändert). Dem 43-Jährigen wird versuchter Mord, Vergewaltigung und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Im Oktober vergangenen Jahres soll er eine Lübecker Studentin nachts in seinen Transporter gezerrt und zu einem einsamen Feldweg bei Mönkhagen gebracht haben. Dort soll er sie brutal vergewaltigt und dann gefesselt zurückgelassen haben. Die Fragen, die der Richter nun den Polizisten und dem Retter des Opfers stellt, haben eine klare Richtung. War die gefesselte Frau von der Straße aus zu sehen? Wie kalt war es? Welche Kleidung trug sie? Regnete es? Wie war sie gefesselt? All die Fragen zielen darauf ab herauszufinden, was passiert wäre, wenn der Stormarner Waldemar Jondral nicht zufällig an diesem Feldknick angehalten hätte. Oder präziser: Wäre das Opfer Frauke K. (Name geändert) dort im Gebüsch gestorben? Opfer wurde brutal geknebelt und zusammengeschnürt: Für Waldemar Jondral, der an diesem Tag als Zeuge aussagt, gibt es darauf nur eine Antwort: „Sie hätte das nicht überlebt.“ Eindringlich schildert der 63-Jährige Schlosser aus Elmenhorst, wie er Frauke K. fand und zeichnet so folgendes Bild von dem Morgen des 12. Oktober: Er hält kurz an der Landstraße nahe Mönkhagen. Weil er Wasser lassen muss, geht er ein paar Schritte in den Feldweg hinein. Es sei kein normaler Weg, auf dem Spaziergänger gehen, sondern nur eine Feldzufahrt für Bauern, um den Acker dort zu bestellen, sagt der Zeuge. Es ist kalt und nieselig und sehr ruhig, weil nur wenig Verkehr herrscht. Plötzlich hört er ein merkwürdiges Geräusch. Immer wieder. „Mmmmh!“ „Mmmmh!“. Jondral fragt sich, was das sein könnte und geht immer weiter an dem Knick entlang, bis er plötzlich die gefesselte Studentin sieht. „Die Knoten waren so fest. Ich habe mich gequält, um sie überhaupt befreien zu können“, erzählt Jondral dem Richter. Zuerst habe er ihr den Knebel abgenommen. „Die waren doppelt“, sagt der Retter, und die Empörung ist in seiner Stimme immer noch zu hören. Frauke K. habe ein Handtuch im Mund gehabt, dann noch mehrmals ein weißes Hemd um den Kopf gewickelt, das hinten mit ihren eigenen Haaren fest verknotet war. „Ihre Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden und dann mit den Füßen verschnürt, die auch mit einem Seil zusammengeknotet waren. Mit einem weiteren Seil war sie an ein Gebüsch gebunden“, sagt Jondral. „Sie hätte sich niemals befreien können!“ Mitschnitt des Notrufs: Jondral erzählt, wie er die junge Frau zur Straße bringt. Sie sei zunächst sehr unsicher gegangen, so dass er sie teilweise stützen musste. „Ihre Augen waren blau und an ihrem Mund war Blut. Ihre Kleidung war nass. Und sie war kalt. Wie Eis“, sagt der Stormarner. Frauke K. sei total verängstigt gewesen und habe sich auch nicht zum Aufwärmen in sein Auto setzen wollen. Er gibt ihr schließlich eine warme Jacke. Sie habe sich nicht genau erinnern können, was passiert sei und immer wieder nach der Polizei gefragt, erzählt Jondral. Die hat er zwischenzeitlich gerufen, doch noch ist kein Streifenwagen aufgetaucht. Jondral ruft noch mal bei der Polizei an. Durch die Aufregung fällt es ihm schwer, die genaue Situation und ihren Standort zu erklären, schließlich reicht er den Hörer Frauke K.. Der Mitschnitt des Notrufs wird im Gerichtssaal vorgespielt. „Ich habe eine Ewigkeit geschrien. Mir wurden die Augen verbunden. Können sie uns nicht orten?“, ist die verzweifelte Stimme der jungen Frau zu hören. Angst und Panik in der Stimme sind so intensiv, dass einige Zuhörer im Gerichtssaal sichtlich betroffen sind. Und in der Aufzeichnung des Telefonats ist auch zu hören, wie dem Beamten in der Leitstelle plötzlich der Ernst der Lage richtig bewusst wird. Retter konnte nicht mehr schlafen: Die Aussagen der Polizisten vor Ort stimmen mit der Beschreibung des Retters in den wesentlichen Punkten überein. Der Kern: Die junge Studentin lag offenbar so im Gebüsch, dass sie von der Straße aus nicht zu sehen war. Regen und Kälte hatten ihr bereits zugesetzt. Der 63-Jährige Jondral hat Frauke K. wahrscheinlich das Leben gerettet. Ihn selbst hat der Fall sichtlich mitgenommen. „Wissen Sie“, sagt er in einer Prozesspause, als er draußen eine Zigarette raucht, „im Fernsehkrimi habe ich so etwas schon gesehen, aber wenn Sie selber da sind, da zittern die Hände.“ Er habe immer wieder auch an seine Kinder gedacht, er habe eine Tochter im gleichen Alter. „Ich konnte danach eine Woche fast nicht schlafen und habe kaum gegessen“, erzählt er. Das Erlebte beschäftigt ihn heute noch. Nach seiner Zeugenaussage bleibt er noch im Gerichtssaal, und er will wiederkommen. Wenn das Urteil gefällt wird. Von Sven Wehde

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