TH Lübeck: In Lübeck entsteht Deutschlands schnellste E-Ladesäule

„Vorsicht, Hochspannung!“ steht an dem metallenen Schrank, versehen mit einem Blitz-Warnsymbol. Dies ist er also, der Prototyp, der die Grundlage legen könnte für eine neue Dynamik und Akzeptanz der Elektromobilität in Deutschland. „Unser vorrangiges Ziel ist es, ein E-Auto innerhalb eines Zeitraumes aufladen zu können, der mit einem klassischen Tankstopp bei einem Verbrenner von weniger als zehn Minuten vergleichbar ist“, postuliert Professor Roland Tiedemann. Technologie für die schnellste Ladesäule bundesweit: Und der Experte für Leistungselektronik an der Technischen Hochschule (TH) Lübeck ist sich zusammen mit seinem Kollegen Clemens Kerssen sicher, mit diesem „Forschungsladesystem FE-alpha“ die Lösung gefunden zu haben. „Wir haben damit die Technologie für die schnellste Ladesäule Deutschlands entwickelt“, resümieren sie. Ein Blick in das Innenleben des knapp zwei Meter hohen Schaltschranks offenbart dann, welch’ Kopf- und Tüftelarbeit in FE-alpha steckt. „Wir haben zwei Hauptstränge hier drinnen – einmal der schnelle Leistungspfad für den Hochleistungsgleichstrom-Ladepunkt nach dem europäischen Combined Charging System und einmal ein AC Ladepunkt mit 22 Kilowatt Ladeleistung, dazu diverse weitere elektrotechnische Bauteile und Baugruppen“, beschreibt der stellvertretende Fachgebietsleiter Kerssen den Aufbau des „Wunderwerks“. Insgesamt gebe es vier Komponenten, die „die notwendige Nahrung für das Auto aufbereiten“, resümiert er. Mehr verrät er aber bewusst nicht. Ein Display ist auch bereits von außen integriert – damit Autofahrerin oder -fahrer genau wissen, für wie viel Geld sie getankt haben und wie teuer die erhaltene Stromleistung im Vergleich zum Benzin-Äquivalent ist. Fachgebiet gibt es seit 2012 auf dem TH-Campus: Seit 2012 gibt es nun das Fachgebiet Elektromobilität und Leistungselektronik, kurz EMLE, auf dem TH-Campus, mit rund zehn wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeitern. Und EMLE hat etwas geschafft, was Kenner als Durchbruch bezeichnen würden. „Worüber andere dauernd geredet haben, haben wir einfach angepackt. Und unsere kleine, flexible Truppe kann locker mit einem Großkonzern mithalten“, sagt Tiedemann selbstbewusst. Lübeck – das ist mehr als Königin der Hanse, Weltkulturerbe und Marzipan. In der Universität wird auf Weltniveau geforscht, an der Technischen Hochschule (TH) entstehen preisgekrönte Lösungen für Probleme nah am Praxisalltag. Betriebe wie Dräger, Brüggen oder die Stadtwerke setzen auf innovative Technologien, die die Konkurrenz aufhorchen und staunen lassen. In der Serie „ Lübeck next “ berichten wir in loser Folge über solche Erfolgsgeschichten. Über Rezepte und Ideen, die Lübeck voranbringen, fit machen für die Zukunft. Es gebe bei FE-alpha jetzt technische Lösungen, über die er wohl schon seit 15 Jahren nachgedacht habe. „Und die größte Herausforderung war, das komplexe Gesamtsystem zum Laufen zu bringen“, betont der Fachmann. Die sogenannte Ladepunktleistung sei das Entscheidende, sodass jedes Auto in einer festgelegten Zeit auf seine Kosten komme. Nun soll dieses System Richtung Industriestandard schrittweise auf eine Ladeleistung von einem Megawatt hochskaliert werden. Denn FE-alpha verfügt in der aktuellen Auslegung über „runde 100 Kilowatt Leistungskraft“, wie die Entwickler anmerken, und funktioniere reibungslos. Mit entsprechenden Steckern ausgestattet, haben die Lübecker TH-Forscher bereits E-Autos anschließen und laden können. Lesen Sie auch Recycling: An der TH Lübeck startet Labor für Innovatives Bauen Lübeck: Junior-Campus der TH geht wegen Corona digitale Wege Sensoren kontrollieren Raumklima im Holstentor Wohlgemerkt ist das aber erst ein Viertel der im nächsten Entwicklungsschritt vorgesehenen Gesamtleistung von 400 Kilowatt. „Lediglich der Ladestrom bedarf einer Optimierung in Verbindung mit einem Elektrofahrzeug bei noch höheren Ladeleistungen“, erklärt Clemens Kerssen. TraveNetz baut Testgebäude für leistungsstärkeres Ladesystem: Jetzt ginge es darum, die Leistungen zu erhöhen. Damit werden die Bauteile des Prototyps auch andere Dimensionen annehmen, sodass auf dem Betriebsgelände des Kooperationspartners, der TraveNetz GmbH an der Geniner Straße, eigens ein richtiges Testgebäude entsteht. Diese 400 KW Ladeleistung wird in dem Forschungsprojekt namens „Power 400“, das mit insgesamt 2,5 Millionen Euro von der EU und dem Land Schleswig Holstein gefördert wird, in der Hansestadt aufgebaut. Dazu hat man sich mit weiteren schlauen Köpfen zusammengetan. So entwickeln unter anderem Forscher aus dem Fraunhoferinstitut für Siliziumtechnologie (ISIT) in Itzehoe passende, potente Batterien als Puffer- und Zwischenspeicher. E-Lkws und E-Busse sollen auch mal volltanken dürfen: „Denn wir wollen Ladestationen konzeptionell so gestalten, dass jederzeit eine Vielzahl von Elektrofahrzeugen gleichzeitig und schnell geladen werden können, ohne das dadurch öffentliche Stromnetze destabilisiert werden“, begründet TH-Professor Tiedemann. Mit ein wenig Geschick könnte man das Leistungsvermögen sogar noch weiter erhöhen auf das Zehnfache – um zum Beispiel E-Lkws und E-Busse zu laden. Von Michael Hollinde