TH Lübeck: Wettbewerb der Studenten um nachhaltigen Städtebau

Er hat überzeugt, der Bau-Prototyp, vor allem in Sachen Nachhaltigkeit und in puncto Architektur. Das ging sogar so weit, dass die königliche Familie in dem innovativen, nachhaltigen Solarhaus mit rund 100 Quadratmeter Wohnfläche nächtigen wollte und dieses Vorhaben auch in die Tat umgesetzt hat. Die Rede ist von dem Beitrag der Technischen Hochschule (TH) Lübeck beim sogenannten Solar Decathlon 2019, der vor anderthalb Jahren in Marokko umgesetzt werden konnte. Jetzt geht dieser studentische Wettbewerb in die nächste Runde – und zwar mit einer Fragestellung, die auch in unseren Breiten höchste Relevanz hat. „So liegt beim jetzt anstehenden ,Solar Decathlon Europe 21’ der Fokus auf dem nachhaltigen Bauen und Leben in der Stadt“, erklärt Heiner Lippe. Der TH-Professor für Architektur ist der verantwortliche Koordinator dieses internationalen Studierendenprojektes. Wettbewerb ist ein Plädoyer für mehr Nachhaltigkeit: Um- und Weiterbau statt Abriss und Neubau laute die Devise des globalen zukünftigen Städtebaus. „Denn der derzeitige Anteil der Baubranche am Rohstoff- und Energieverbrauch ist erheblich. Rund 30 Prozent der globalen CO2 -Emissionen und 40 Prozent des weltweiten Ressourcen-Verbrauchs gehen auf den Bausektor zurück“, plädiert der Experte für mehr Nachhaltigkeit. Entsprechend sollen die 18 nominierten Hochschulteams aus elf Ländern diesmal die Wohnraumerweiterung eines städtischen Quartiers durch Gebäude-Erweiterung, Baulückenschließung oder Aufstockung eines Hauses entwerfen und umsetzen – unter dem Motto „...goes urban!“. Einziges binationales Team beim „Solar decathlon 2021“: „Bei diesen drei möglichen Lösungswegen haben wir uns für die Aufstockung entschieden, da diese Möglichkeit schon häufiger Gegenstand von Diskussionen im Studiengang war“, sagt Lippe. Mit „uns“ meint der Dozent das rund 15-köpfige Studierendenteam aus der Hansestadt sowie die weiteren rund 20 Studentinnen und Studenten von der Technischen Universität Istanbul. „Diese Kooperation ist das Ergebnis der gemeinsamen Zeit in Marokko“, erklärt Urs Seel, „die Türken waren auf dem benachbarten Baufeld, und wir haben uns in der dreiwöchigen Aufbauphase gegenseitig unterstützt. Da sind echte Freundschaften entstanden, weil so eine Baustelle wirklich zusammenschweißt.“ Seel gehört zusammen mit Annika Uven und Paul Tschense zum dreiköpfigen studentischen Koordinierungsstab. Das Trio ist erfahren, da es schon 2019 bei der Finalrunde dabei war. Bachelorstudent Tschense kommt zu dem Schluss: „Da lernt man mehr als in den ganzen Semestern davor.“ Sein Kommilitone fügt hinzu: „Das ist darauf zurückzuführen, dass man am gesamten Entstehungsprozess – vom Entwurf des Hauses bis zum fertigen Wohnen in dem Gebäude – teilnimmt.“ Und auf diese Erfahrungen werde sie später als Architektin sehr gut zurückgreifen können, ist sich Annika Uven sicher – denn die Lerneffekte seien enorm. Lesen Sie auch Lübeck: Schärfere Corona-Regeln in den Kitas TH Lübeck entwickelt Kohlenmonoxid-Bluttests für Rettungskräfte Lübeck: TH und Lübecker Schüler erforschen das Klima Am Ende der anderthalbjährigen Bau- und Planungsphase soll ein komplett bezugfertiges Aufstockungsmodul aus Holz stehen – mit sämtlichen Installationen, Mobiliar et cetera. „Das transportieren wir dann zerlegt per Bahn oder Lkw nach Wuppertal, wo der Contest im nächsten Jahr stattfinden wird und wo wir dann zwei Wochen Zeit haben, um es wieder aufzubauen“, schildert Urs Seel den Ablauf. Praxispartner für das TH-Team ist die „Neue Lübecker“: Die ganze Themenbreite von Recht, Statik, Gestaltung, Energie, Nachhaltigkeit et cetera soll an dem Beispiel durchgearbeitet werden, sagt Heiner Lippe. Und wie beim olympischen Zehnkampf, messen sich so die Teams in zehn inhaltlichen Disziplinen. Als Praxispartner konnte er für sein Team die „Neue Lübecker“ gewinnen. In einer Siedlung in Großhansdorf bei Hamburg verfügt die Wohnungsbaugenossenschaft über neun typische Riegelbauten aus den 1960er Jahren. „Wir werden für so einen Bau den Ausschnitt einer zweigeschossigen Aufstockung als circa 70 bis 110 Quadratmeter großes, voll funktionsfähiges Modul entwickeln“, so der Professor. Insgesamt könne auf diese Weise vor Ort zusätzlicher Wohnraum für 150 bis 200 Menschen realisiert werden. Für die konkrete Umsetzung des Projekts allerdings braucht es einen jahrelangen Vorlauf, da die bürokratischen Hürden für so ein Vorhaben enorm hoch sind. Auf Wettbewerbsgelände in Marokko entstand Technologiezentrum: „Deshalb müssen wir mal sehen, was mit unserem Bau-Prototypen nach Fertigstellung passiert. Möglicherweise entsteht in Wuppertal ja auch etwas großes wie in Marokko, wo auf dem Gelände um die fertigen Wettbewerbsgebäude herum ein Technologiezentrum gewachsen ist“, erklärt der TH-Professor. Von Michael Hollinde