„Theater ist sinnlos, wenn keine Zuschauer kommen dürfen“, sagt Lübecks Theaterchef Caspar Sawade im Interview

Caspar Sawade leitet das Theater Lübeck als geschäftsführender Direktor seit August vergangenen Jahres. Zuvor war er als kaufmännischer Geschäftsführer für das Theater Görlitz-Zittau verantwortlich. Im Sommer das Leben zurück: Wie blicken Sie auf das neue Jahr? Die Hoffnung ist, dass unser Leben im Sommer irgendwann zurückkehrt. Und als Theaterdirektor? Es fehlt ja so viel. Hier im Haus vermissen die Kollegen die Möglichkeit, miteinander umzugehen. Das fehlt am meisten. Aber wir sind ohne Zuschauer natürlich auch unseres Zwecks beraubt. Theater ist sinnlos, wenn keine Zuschauer kommen dürfen. „Das halte ich für zu heikel“: Wann können Sie wieder öffnen? Wir haben den Plan, Anfang Februar wieder zu proben. Wir könnten es eigentlich auch jetzt tun, aber ich halte das für zu heikel und die Belegschaft auch. Deshalb haben wir am 16. Dezember die Proben eingestellt. Wir haben so viele Stücke vorgeprobt, aber man muss sie ja auch irgendwann spielen, und darauf freuen wir uns sehr. Theater Lübeck schließt bis 31. Januar 2021 Corona-Schließung: Lübecks Theaterszene in Aufruhr Lübecks Theaterchef Caspar Sawade zur neuen Saison: „Tickets werden Mangelware“ Wird alles aufgeführt, was geprobt wurde? Natürlich, wir proben und erarbeiten Inszenierungen ja für unser Publikum. Laut Ihrem Programm wäre der nächste Termin nach dem Lockdown die Premiere von „Eine kurze Chronik des künftigen China“ am 5. Februar. Das wird an diesem Termin nicht stattfinden können. Wir hoffen, ab Anfang März wieder spielen zu können. Theater braucht nun mal einen gewissen Vorlauf, und den haben wir uns auch gegeben. Wir können immer schlecht die Beschlüsse der Ministerpräsidenten abwarten und dann fünf Tage später reagieren. Das Regieteam und die Gäste müssen Zeit haben, das Programm muss gedruckt und beworben werden, hierzu braucht es einen gewissen Vorlauf. „Einige verzweifeln schier“: Sie sagten im August, es gebe eine „gewisse Coronamüdigkeit“. Wie ist jetzt die Stimmung im Haus? Schwer zu sagen, wir haben ja momentan keinen Kontakt. Aber es ist sehr individuell, wie Menschen damit umgehen. Einige verzweifeln schier, andere finden einen Weg, etwas zu tun. Das Theater beschäftigt etwa 300 Menschen. Sind davon noch viele in Kurzarbeit? Momentan bis auf einige wenige fast alle. Das wird im Januar auf jeden Fall noch so bleiben und sich im Februar langsam ändern. Wir mussten aber niemanden entlassen, und auslaufende Verträge wurden auch verlängert. Wie steht das Theater finanziell da? Eigentlich ganz solide. Das liegt an der besonderen Kostenstruktur und daran, dass wir derzeit nichts gemacht haben, was viel Geld gekostet hätte. Völlig sinnlos, nicht zu spielen: Ist es denn so, dass Sie besser fahren, wenn Sie nicht spielen? Es kommt drauf an. Die meisten Mittel stammen ja von der öffentlichen Hand und decken im Wesentlichen unsere Personalkosten. Den Rest erwirtschaften wir selber. Wenn die Personalkosten jetzt teils durch das Kurzarbeitergeld gedeckt werden, fahren wir nicht unbedingt besser, können aber solide wirtschaften. Aber als Theater nicht zu spielen ist natürlich vollkommen sinnlos. Dafür sind wir ja nicht da. Haben Sie Hilfsgelder erhalten? Bisher noch nicht. Unser Steuerberater ist dabei, Mittel zu beantragen. Aber das zieht sich ein bisschen und wird auch mit dem Kurzarbeitergeld verrechnet. Wir denken, dass wir für den Dezember etwas bekommen. Das wären auch Gelder aus dem 1,2-Millionen-Kulturhilfefonds der Stadt? Nein, der ist für freie Theater gedacht. Da würde ich mich auch nicht beteiligen wollen. Wir hatten auch Menschen, die uns Geld spenden wollen, aber ich glaube, das ist derzeit bei freien Künstlern besser aufgehoben. Vorschüsse und Abschläge: Aber auf der Homepage des Theaters kann man Kontodaten finden, wenn man spenden möchte. Natürlich. Wir nehmen es gerne, und wir haben ja auch Gäste, also freischaffende Künstler, die auf Honorarbasis arbeiten und nicht kurzarbeitergeldberechtigt sind. Deren Verträge so zu gestalten, dass sie auch überleben können, also mit Vorschüssen oder Abschlägen, dafür brauchen wir natürlich Geld. Da haben wir auch eine soziale Verantwortung. Wird etwas beibehalten werden nach der Pandemie? Desinfektionsmittelspender etwa? Das halte ich ohnehin nicht für schlecht. Das hilft ja auch bei einer normalen Grippe. Aber dass etwa dauerhaft weniger Zuschauer in die Säle gelassen werden, das wird es nicht geben. Um Gottes Willen! Theater braucht ausverkaufte Vorstellungen, nicht nur wegen der Einnahmen, sondern auch wegen des gesamten Erlebnisses. Die Zuschauer sind ja ein großer Teil davon. Ohne sie geht es nicht. Die Energie eines Zuschauerraums kann man durch nichts ersetzen. Kein Onlinetheater mehr: Wird es weiter Onlinetheater geben? Nein. Wir sind der Auffassung, nicht wirklich professionell gutes Onlinetheater so produzieren zu können, dass es im Netz, wo alles verfügbar ist, richtig sinnvoll wäre. Theater findet im Theater statt, das ist durch ein Onlineangebot nicht zu ersetzen. Ist es vorstellbar, dass man künftig nur mit einer Corona-Impfung Einlass erhält? Das halte ich für schwierig. Ich habe zwar wenig Verständnis dafür, dass Impfgegner auf eine Gleichbehandlung hoffen, aber zum jetzigen Zeitpunkt kann ich mir das nicht vorstellen. Vielleicht später, aber das ist schwer. Andererseits haben ja wir auch eine Masernimpfpflicht. Eine Feier, wenn die Pandemie vorüber ist: Wäre das denn rechtlich möglich? Ich glaube fast ja. Aber wir werden irgendwann in der Bevölkerung genug Geimpfte haben, und dann geht es ja auch wieder in die private Verantwortung. Ich hoffe, dass wir das alles vielleicht irgendwann im September überwunden haben und dann ein großes Theater- oder deutschlandweites Fest veranstalten können. Wir brauchen als Land, als Stadt, als Kommune einen Endpunkt, an dem man sagt: Jetzt haben wir es hinter uns. Wir haben ganz viel nachzuholen an Begegnungen, Diskussionen und all diesen Dingen, die unser Leben ausgemacht haben. Es gibt da noch keine konkreten Pläne, aber mein privater Wunsch wäre ein bundesweiter einmaliger Feiertag, an dem man Karneval, Silvester und alles andere nachfeiert. Wir brauchen etwas, auf das das Land zusteuert. Wir müssen uns ja auch wieder versöhnen und in die Augen schauen. Und ich glaube, das kann man am besten, wenn man einmal gemeinsam feiert. Wir als Theater wären gerne dabei. Von Peter Intelmann