Weltradlerin Luisa Rische aus Lübeck: Corona beendet ihre Reise

Während ich mit zwölf Kilogramm Gepäck in zwei grünen Fahrradtaschen die Treppen hinaufspringe, purzeln Claudia und Wolfgang, enge Freunde und ehemalige Arbeitskollegen, die Stufen hinunter. Drei Jahre haben wir uns nicht gesehen. Wir kommen stöhnend zum Stehen, grinsen uns breit an, zögern einen Moment, bevor wir die soziale Distanzierung ignorieren und uns umarmen – wir leben ab sofort und auf unbestimmte Zeit sowieso in einer Wohngemeinschaft. Es bleiben allerdings die einzigen Umarmungen. Ich halte mich an die Abstandsregeln, weil ich erlebt habe, wie es ist, wenn einem die freie Wahl genommen wird. Das LN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Lübeck dienstags bis samstags gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Lockdown in Ecuador: Wie im Gefängnis: Ecuador fühlt sich nach dem landesweiten Lockdown wie ein Gefängnis für mich an, unter fremden Menschen, die, aus Angst um die eigene Gesundheit, gar nicht mehr freundlich auf Ausländer reagieren. Die Entscheidung, die Reißleine zu ziehen, fällt mir leicht. Aber ich schwimme eine Woche lang in einem Strudel der Ungewissheit, ob ich Ecuador überhaupt verlassen kann. Als der Bürgermeister der Stadt Guayaquil die Landebahn des dortigen Flughafens für Rückholflieger blockiert, stelle ich mich mental darauf ein, noch eine lange Zeit in Ibarra bleiben zu müssen. Die deutsche Botschaft in Quito jedoch lässt die Gestrandeten nicht im Stich. Nach Tagen des Wartens, in denen meine Gastgeber aus Angst davor, krank zu werden, sich nur noch durch ein Fenster mit mir unterhalten, bekomme ich einen Tag vor Abflug die erlösende E-Mail. Abschied von Fahrrad „Anton“: Um nach Deutschland mitfliegen zu können, muss ich Abschied nehmen, Abschied von meinem Fahrrad. Ich gebe „Anton“ an meinen Freund Nico aus Cuenca weiter, der alles, was er hat, in seine Fahrradschulen steckt, um Kindern das Fahrradfahren beizubringen. Die Freude, es ihm zu geben, ist größer als die Trauer, „Anton“ zurückzulassen. Mit dem Taxi geht es über die leergefegte Panamericana zum Flughafen. Wir passieren drei Militärkontrollen, die nicht nur die zwei Passierscheine, sondern auch meine Flugerklärung sehen wollen. Die Mautstellen sind dagegen geschlossen. Die Botschaft hat uns darauf hingewiesen, mit Masken zu kommen. Nicht alle sind dieser Aufforderung gefolgt. Ich verteile noch zwei Masken, denn ich habe sechs mit dabei, und ein Desinfektionsspray. Ich mache mir weniger Sorgen um mich, sondern darum, das Virus an meine Freunde zu verteilen. Evakuierung mit dem Rückholflieger: Nachdem alle 233 Mitreisenden eine Erklärung abgegeben haben, freiwillig an der Evakuierung teilzunehmen und im Nachhinein die Kosten für den Flug zu übernehmen, geht es zum Gate. Der Flughafen ist wie ausgestorben, das kabellose Internet rasend schnell. Ich nutze den Moment des Durchatmens, um einigen mitzuteilen, dass ich nach Hause komme. Was zu Hause denn für mich bedeute, wollen sie wissen, Lübeck oder Konstanz? Konstanz, antworte ich. Denn in Konstanz habe ich ein soziales Netz, das mich auffängt. Rückkehr nach 1046 Tagen: Am nächsten Tag landen wir in Frankfurt. In Grüppchen verlassen wir das Flugzeug, um die Abstandsregel einzuhalten, nachdem wir 13 Stunden miteinander gekuschelt haben. Ich wäre gern mit einem Fahrrad noch bis zum Bodensee gefahren, doch ich finde keines. Stattdessen holen mich Dana und Franzi ab, die mich in Neuseeland besucht hatten, und fahren mich bis zur Haustür von Claudia und Wolfgang. Heimlich, still und leise. Nur eine Handvoll Menschen wissen überhaupt, dass ich zurück in Konstanz bin. Alle sind verwirrt, ich am meisten. Dass erst eine weltweite Pandemie ausbrechen musste, um mich wieder nach Hause zu holen, damit hatte wohl niemand gerechnet. Nach 1046 Tagen der reise-bedingten sozialen Distanzierung bin ich aber auch glücklich über die stille Ankunft. Sehnsucht nach dem Leben unterwegs: Wie ich mich verändert habe, erkenne ich erst, als ich wieder zu Hause bin. Ich nutze Leihräder, um dem Trubel zu entkommen, vermisse nach wenigen Tagen mein einfaches Leben, in dem die Sonne meinen Rhythmus bestimmte, meine dreckige Radlerkleidung, meine wechselnden Schlafplätze, meine einfache Ernährung, meine Bäder in eiskalten Flüssen, meine Freiheit, Ich sein zu können, meine Freiheit, mit mir allein sein zu können. Als ich versuche, das anderen zu erklären, stoße ich an meine Grenzen, denn dieses Gefühl verstehen oft nur die, die erlebt haben, was ich allein mit meinem Fahrrad in 21 Ländern auf vier Kontinenten erlebt habe. Luisa Rische radelte seit Mai 2017 um die Welt. 21 Länder auf vier Kontinenten hat die Lübeckerin mit ihrem Rad „Anton“ bereist, bevor der Ausbruch des Coronavirus sie in Ecuador stoppte. Dort lebte sie zeitweise unter Hausarrest. Davor war sie in Ecuador unterwegs. Auf ihrer Route lagen Cusco und Kimbiri. Zuletzt radelte sie nach Huaraz. Vor Südamerika standen bereits Skandinavien, Russland, China, Australien oder Neuseeland auf ihrem Reiseplan. Zuvor berichtete Luisa Rische bereits von ihrer Tour durch Bolivien. Nachdem sie zuvor in Chile unterwegs war und über die argentinische Hochebene radelte. Davor war sie im Flieger von Australien nach Chile gekommen. In Südaustralien hatte sie Sandstürme erlebt. Frühere Stationen ihrer Reise waren die Mongolei oder Silvester in Vietnam. Los ging alles im Mai 2017. Von ihren Erlebnissen berichtet Luisa Rische auch in ihrem Blog. Von Luisa Rische

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