Zum Abschied von Linde Fröhlich: „Ich gehe weiter ins Kino, was soll ich denn sonst machen?“

Linde Fröhlich hat 2001 als Nachfolgerin des im vergangenen November verstorbenen Hauke Lange-Fuchs die künstlerische Leitung der Filmtage übernommen, seit 40 Jahren hat sie Festival geprägt. Ende des Jahres geht sie in Rente. Frau Fröhlich, wie fühlen Sie sich bei diesen Filmtagen? Das ist ein komisches Festival. Es gibt unheimlich viel zu tun, ich rede mit ganz vielen Menschen, meist per Telefon oder in Videokonferenzen, und heute hatten wir online auch die Masterclass Dokumentarfilm. Physisch getroffen habe ich immerhin die jungen Festivalblogger und auch meine Kolleginnen und Kollegen. Aber die haben sehr viel zu tun, zum Beispiel an der Hotline bei Streamingproblemen. Kommt da Festivalfeeling auf? Manchmal blitzt ein Funken auf, aber der hält nicht lange an. Das muss komisch sein nach 40 Jahren Filmtage-Erfahrung. Natürlich! Es ist sehr traurig. Wir hatten bis zuletzt gehofft, dass wir auch Live-Veranstaltungen machen können. Wie haben Sie Ihr erstes Festival erlebt? Das war 1979, als das erste Kinder- und Jugendprogramm stattfand. Der damalige Künstlerische Leiter Hauke Lange-Fuchs fand die skandinavischen Kinder- und Jugendfilme so toll. In Deutschland gab es ganz lange gar keine Kinderfilme im Kino. Ich war damals bei der Stadt Lübeck angestellt und habe im soziokulturellen Zentrum gearbeitet und das Kinder- und Jugendfilmprogramm mitorganisiert, das dem Festival vorgelagert war. Wir hatten eine mobile 35mm-Filmprojektion bestellt bei einer Firma, die aus Köln angereist kam und im Stau steckenblieb. Das war alles sehr aufregend bis zum letzten Moment, aber so kam ich zu den Nordischen Filmtagen. Und der Eröffnungsfilm des Kinder- und Jugendprogramms rückte dann, weil ein anderer Film ausgefallen war, kurzfristig auch noch ins Spielfilmprogramm und war der erste Preisträger des LN-Publikumspreises: „Willst Du meinen schmucken Nabel sehen?“ von Søren Kragh-Jacobsen. Dank der Segnungen der neuen Medien kann das Festival in diesem Jahr trotz Corona wenigstens digital stattfinden – wie haben Sie in den Anfangsjahren kommuniziert und Filme ausgesucht? Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Unsere städtischen Telefone waren für das Ausland nicht freigeschaltet und eine Auslandsberechtigung zu erhalten war ein langer Behördenvorgang. Dass es Faxgeräte gibt, hatte mir eine Freundin erzählt, die bei Siemens arbeitete – aber das konnte ich mir damals nicht vorstellen. Aber es gab immerhin ein Telex-Gerät im Rathaus. Linde Fröhlich, Jahrgang 1954, hat nach dem Abitur in Marburg Sozialwissenschaften studiert. 1979 wurde sie Referentin für Film- und Medienarbeit im Lübecker Jugendtreff „Zentrum“. 2001 hat sie die künstlerische Leitung der Filmtage übernommen. Ihr Nachfolger Thomas Hailer, Jahrgang 1959, ist Regisseur und Dramaturg, hat als Kurator für die Berlinale gearbeitet und war im vergangenen Jahr in der Jury der Nordischen Filmtage. Er übernimmt ab Januar für drei Jahre die Künstlerische Leitung der Filmtage. Wie haben Sie Filme ausgewählt? Die damaligen künstlerischen Leiter Hauke Lange-Fuchs und Andrea Kunsemüller sind zu den Filminstituten der skandinavischen Länder gefahren und haben sich Filme angesehen. Ich bin immer schon zu Festivals gefahren. Dann kam der nächste Fortschritt: die VHS-Kassetten. Wenn man am Wochenende zu Hause Filme sehen wollte, ist man Freitag abends mit zwei großen Einkaufstaschen voller Kassetten nach Hause gegangen. Dann kamen die DVDs, und heute haben wir links. Und früher kamen dann die großen analogen Filmrollen. Ja, das war es immer aufregend. Damals haben wir im Koki einen ganzen Raum voller Kopien gehabt. War da immer der richtige Film am richtigen Platz? Nein, es gab immer mal Pannen. Es sind öfter Filme ausgefallen, weil sie nicht rechtzeitig angekommen sind. Oder es kam der falsche Film, sogar noch vor zwölf Jahren beim 50. Jubiläum. Langjährige Filmfreunde durften Filme aussuchen, und Antje Peters-Hirt hatte sich „Children of Nature“ von Fridrik Thor Fridriksson ausgesucht. Sie hat eine Einführung gemacht, und der Film fing an – doch dann war es ein ganz anderer Film, obwohl „Children“ auf dem Karton stand, der Film schwarz-weiß war und auch sechs Rollen und Untertitel hatte, alles wie es sein sollte. Kommen wir zu den schönen Erlebnissen. Woran erinnern Sie sich besonders gern? Ach, das ist schwer, etwas ganz Besonderes herauszuheben. Es sind immer die Begegnungen mit Leuten. Man entwickelt über die vielen Jahre sehr enge Kontakte, die allermeisten Menschen sind wirklich sehr nett und unprätentiös. Und die großen Stars? Liv Ullmann zum Beispiel, die 1998 in Lübeck war und zur Ehrenvorsitzenden der Filmtage ernannt wurde? Liv Ullmann ist eine ganz herzliche und eher scheue Frau. Nach dem offiziellen Programm wollte sie noch eine Tüte Popcorn haben und dann am liebsten ins Hotelzimmer gehen. Sie ist später sehr ungern verreist. Ich habe sie noch ein paar Mal getroffen bei anderen Festivals, es war immer sehr nett mit ihr, zu reden. Haben Sie auch Astrid Lindgren erlebt, die 1987 in Lübeck war? Ja, und das war natürlich ganz wunderbar, der Heldin meiner Kindheit zu begegnen, deren Bücher ich verschlungen hatte. Eine freundliche und damals immer noch sehr wache alte Dame. Lesen Sie auch: Von Lübeck nach Hollywood – Nordische Filmtage als Sprungbrett Thomas Hailer wird neuer Künstlerischer Leiter der Nordischen Filmtage Lübeck Das Spektrum der Filmtage wurde kontinuierlich erweitert, mit 36 000 Besuchen hat das Festival im vergangenen Jahr wieder einen Rekord erreicht. Ist das immer weiter steigerbar? Die Besuchszahlen sind in erster Linie abhängig von den Kapazitäten, die man anbietet: die Dauer des Festivals, Zahl der Kinos und Spielstätten etc. Bei den Nordischen Filmtagen haben wir eigentlich nicht nach Rekorden gesucht, sondern nach neuen Tendenzen. Es fing mit den Kinder- und Jugendfilmen an, ich freue mich auch, dass es das Filmforum bis heute noch gibt, das ich mit ins Leben gerufen habe. Es gab ja im Laufe der Jahre immer Neuerungen, zuletzt die Serien. Man muss offen sein für neue Trends und ich glaube, die Nordischen Filmtage waren immer sehr weit vorne mit ihren Entscheidungen. Und dass die Filmtage so gut angenommen werden, liegt ja auch an den Lübeckerinnen und Lübeckern, die quasi mit dem Festival aufwachsen, viele Lebensgeschichten sind damit verbunden. Es ist wirklich eine sehr besondere Stimmung. Und ich hoffe sehr, dass die durch Corona nicht zerstört wird. Und dass ich weiter ins Kino gehen kann – was soll ich denn sonst machen? Netflix und Amazon Prime gucken? Nein! Ich habe nichts grundsätzlich dagegen, aber ich hatte bisher genug Filme für die Filmtage anzuschauen. Die große Frage ist, was ich künftig gucke. Ja, das ist die Frage. Was gucken Sie dann? Ich werde auf jeden Fall weiter ins Kino gehen. Und sonst? Haben Sie einen Plan? Überhaupt nicht! Ich kann ja zur Zeit nicht mal eine Reise planen. Vielleicht ein Instrument lernen? Nein, ich war immer das schwarze Schaf in einer musikbegeisterten Familie. Aber Stillsitzen ist nicht Ihr Ding. Nein, ich habe mein Leben lang gearbeitet und weiß gar nicht, wie es ist, das nicht zu tun. Ich werde erst mal meine Wohnung aufräumen und renovieren und dann schaue ich mal. Nordische Filmtage 2020: So schauen Sie einen Film online Das sind die Spielfilm-Favoriten der LN-Redakteure Alle aktuellen Berichte zu den Nordischen Filmtagen Lübeck lesen Sie hier Bedeutet der Abschied für Sie nur Wehmut oder auch ein bisschen Erleichterung? Beides. Ich werde sicherlich viele Menschen vermissen. Es wird eine Herausforderung sein, die Tage und den Jahresablauf anders zu gestalten. Aber ich werde jeden Fall aktiv bleiben, anders kann ich mir mein Leben gar nicht vorstellen. Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger Thomas Hailer? Alles Gute und dass die Kinos in Lübeck bestehen bleiben. Thomas Hailer ist sehr kompetent, ein netter Mensch und freier Geist, er wird das sehr gut hinkriegen, und die Lübeckerinnen und Lübecker können sich freuen! Von Petra Haase