„Künstler am offenen Fenster“: Mit Rock’n’Roll gegen den Lagerkoller

Ehrenamt: Etwas tun, mit dem man nichts verdient und es sich trotzdem auszahlt – mit glücklichen Gesichtern anderer zum Beispiel. Davon gab es am Pfingstsonntag viele in und an der Seniorenwohnanlage des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) „Uns Hüsing“ in Klütz. Vor Ort war Musiker Christian Matthies von der Band „Revoc“, der den Senioren ein einstündiges Konzert bot. Ehrenamtlich. Ohne Gage. Dahinter steckt das neueste Projekt der Mitmachzentrale des DRK: „Künstler am offenen Fenster“. Diese Idee hat sich mit der Corona-Krise nicht nur in Nordwestmecklenburg etabliert. Ein Kopf der Nordwestmecklenburger Mitmachzentrale ist Christina Braatz, die seit März dabei ist. Die Institution selbst gibt es seit September 2014 im Landkreis. Seitdem hat sich das DRK auf die Fahnen geschrieben, ehrenamtliches Engagement zu vernetzen. Abwechslung zu Pfingsten: „Sehr schön war es für mich in den vergangenen Wochen mitzuerleben, dass es so viele Menschen gibt, die sich während der Krise für andere Menschen ehrenamtlich eingesetzt haben“, freut sich die zweifache Mutter. Christian Matthies ist einer von ihnen und mittlerweile der zweite, der sich an dem Projekt „Künstler am offenen Fenster“ beteiligt. Vor einigen Wochen ermöglichte Einrichtungsleiterin Anke Witt auch Rüdiger Schwatinski einen Auftritt an der Wohnanlage. Am Sonntag nun schenkte der junge Sänger Matthies aus Christinenfeld ein wenig Abwechslung zu Pfingsten. Das LN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Lübeck dienstags bis samstags gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Für ihn selbst bedeutet die Corona-Krise ein Umdenken in seiner Lebensweise. Beruflich ist der 37-Jährige in Wismar im IT-Bereich tätig und war bis vergangene Woche im Homeoffice. Sein Nebenerwerb als Musiker ist seit März komplett weggebrochen. „Es ist eine harte Zeit“, meint er – und noch ist kein Ende abzusehen, wann es für ihn wieder normal laufen könnte. Hatte er sonst mehrere Auftritte im Monat, wird er dieses Jahr im Vergleich zum vergangenen nicht einmal auf 50 Prozent seiner Konzerte kommen, rechnet er. Trotz aller Sorgen war es für den Sänger ein Bedürfnis, sich im Klützer Seniorenheim ehrenamtlich zu engagieren. Schlager, deutscher Pop, Rock’n’Roll – er hatte einiges im Repertoire und nicht gedacht, dass es gerade Rock’n’Roll sein wird, der die Senioren begeistert. Margrit Gribnitz erhob sich aus ihrem Elektromobil und wagte zu einem gecoverten Song von Elvis Presley sogar ein Tänzchen. „Oh, das sind Jugenderinnerungen. Da konnten wir uns noch bewegen“, sagte sie mit einem Lachen. Für das Konzert reiste sie extra aus Wismar an. Drei Stunden war sie mit ihrem 6 km/h schnellen Elektromobil unterwegs. „Es war eine Überraschung für meinen Lebenspartner“, erklärt die 75-Jährige. Peter Schneekluth (78) freute sich sehr darüber und gemeinsam genossen sie die Darbietungen von Christian Matthies bei strahlendem Sonnenschein. Wann bekomme ich eine Ehrenamtskarte? „Ehrenamtlich aktiv zu sein, ist ein Schritt vorwärts, vom guten Willen, das Gute zu tun“, umschreibt Carina Braatz. „Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement sind ein wichtiger und wertschätzender Teil in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben.“ Nur werde es deutlich schwieriger, Menschen zu finden, die sich ehrenamtlich einsetzen. Gemeinsam mit Maike Frey gehört es zur Aufgabe von Carina Braatz, die landesweite Ehrenamtskarte bekannter zu machen. Für die setzte sich der Landtag ein. Seit 2017 ist sie beschlossene Sache, seit diesem Jahr nimmt die Idee Form an. Der Landtag hat im Jahr 2017 die flächendeckende Einführung einer Ehrenamtskarte in MV beschlossen. Mit dieser erhalten ehrenamtlich Tätige Vergünstigungen. Unter anderen bieten landeseigenen Schlösser und Museen Eintrittskarten zum ermäßigten Preis an. Aber auch kommunale Einrichtungen hat das Land schon mit ins Boot holen können. In der Regel spart der Karteninhaber zwei Euro. Die Anträge einer solchen Ehrenamtskarte werden von den jeweiligen Mitmachzentralen in den Kreisen bearbeitet. Die Mitmachzentrale in Nordwestmecklenburg ist in Grevesmühlen (Maike Frey, August-Bebel-Straße 18, Telefon: 03881/ 75 878 37) und in Wismar (Carina Braatz, Hans-Grundig-Straße 34, Telefon: 03841/71230) zu finden. Kontakt per Mail: mitmachzentrale@drk-nwm.de Mehr als 600000 Menschen engagieren sich in Mecklenburg-Vorpommern ehrenamtlich. Eine Ehrenamtskarte ist an besondere Bedingungen verknüpft. „Sie wird unter anderem ausgegeben, wenn sich eine Person in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich mindestens fünf Stunden in der Woche beziehungsweise 250 Stunden im Jahr freiwillig und ohne Bezahlung für das Gemeinwohl einsetzt“, erläutert Carina Braatz. Auch Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahre können eine solche Karte bekommen. Die müssen dann ein Jahr lang diese Bedingung erfüllt haben. Entsprechende Anträge können über die beiden Mitmachzentralen in Nordwestmecklenburg – Grevesmühlen und Wismar – gestellt werden. Nach Aussage von Carina Braatz und Maike Frey seien bereits mehrere in Nordwestmecklenburg eingereicht worden. Weitere Projekte der Mitmachzentrale: Mit dem Konzert von Christian Matthies und einem weiteren von Rüdiger Schwatinski in Boltenhagen am 2. Juni soll es das mit „Künstler am offenen Fenster“ nicht gewesen sein. „Künstler oder auch Pflegeeinrichtungen können sich gern an uns wenden und wir vermitteln. Es können ebenso gern Lesungen angeboten werden“, schlägt Christina Braatz vor. Ein weiteres Vorhaben ist ein Projekt mit dem Namen „Silver Surfer“. Es bezeichnet nichts anderes als Internet-Nutzer im Seniorenalter und wird bereits in mehreren Landkreisen Mecklenburg-Vorpommerns angeboten. Wie bediene ich ein Handy oder Tablet? Wie nutze ich WhatsApp oder Facebook? Welche Bedeutung haben die verschiedenen Apps auf meinem Gerät? Um das alles verständlich anderen Senioren beizubringen, werden Freiwillige – ältere Menschen – gesucht, die sich zu einem sogenannten „Silver Surfern“, also speziellen Senioren-Technik-Botschafter ausbilden lassen. „Dafür hat uns als Kreisverband des DRK der Landesverband zehn Tablets zur Verfügung gestellt, an denen Freiwillige geschult werden, um es dann an andere Senioren weiterzugeben“, verdeutlicht Carina Braatz. Umgesetzt werden soll das für die Senioren-WG in Klütz und die beiden DRK-Wohnanlagen in Boltenhagen und Herrnburg. „Unser Ziel ist es, das Projekt auch nach Grevesmühlen zu holen.“ Lesen Sie auch: So gut läuft das „Silver Surfer“-Projekt in Neubukow Miro Zahra aus Nordwestmecklenburg bekommt den Helene-Weber-Preis Trotz Corona: Opeltreffen an der Wohlenberger Wiek soll stattfinden Neuer Song, neues Video: So besingt Sänger Matze Buhse aus Grevesmühlen sein Leben Autorenpaar aus Grevesmühlen lernt sich auf Plattform für Schriftsteller kennen Von Jana Franke

Covid-19 - „Künstler am offenen Fenster“ in Klütz: Mit Rock’n’Roll gegen den Lagerkoller