Schönberg: Betreiberin eines Fitnessstudios fürchtet um Existenz

Seit 2011 hat Anett Milech-Decker viel Arbeit, Geld und Leidenschaft in ihr Fitnessstudio „Fija“ gesteckt. Sie kümmerte sich um immer mehr Kunden, beschäftigte immer mehr Mitarbeiter, mietete weitere Räume. Jetzt ist Anett Milech-Decker der Verzweiflung nahe – ohne eigenes Verschulden. Sie sagt: „Ich weiß nicht, wie lange ich es überlebe.“ Was für die Schönbergerin besonders bedrückend ist: „Man hat keine Möglichkeit, dagegenzusteuern.“ Die 48-Jährige, ihre Mitarbeiter und über 300 Kunden sind von massiven Einschränkungen betroffen, die die Landesregierung seit Ausbruch der Corona-Pandemie über Fitnessstudios verhängt. Bekommt die Betreiberin des Studios „Fit in jedem Alter“ einen finanziellen Ausgleich für die massiven Verluste? „Die staatlichen Hilfen wurden als unkompliziert, unbürokratisch und sofort angepriesen. Nichts da“, antwortet Anett Milech-Decker. Dann nennt sie ein Beispiel: Erst Ende Dezember erhielt sie die Chance, die November-Hilfe zu beantragen. Dann kam ein Abschlag und das war’s erst einmal. Was wann gezahlt wird: Für die Betreiberin des Fitnessstudios in Schönberg ist das völlig unklar. Die Kosten laufen weiter: Sie erläutert: „Die Kosten laufen aber natürlich weiter.“ Deshalb kann die Schönbergerin nur noch eine Mitarbeiterin beschäftigen. Und die musste sie in Kurzarbeit schicken. „Das ist ganz schlimm“, bedauerte Anett Milech-Decker. Die Mitarbeiterin hatte gerade ihre Ausbildungen abgeschlossen. Die Chefin sagt: „Ich bin froh, dass sie sich weiter engagiert.“ Reha-Sport in kleinen Gruppen ist das Einzige, was Anett Milech-Decker und ihre Mitarbeiterin noch anbieten dürfen – weil es medizinische Leistungen sind. Für die Mitglieder ist das Studio komplett geschlossen. Anett Milech-Decker sagt: „Sie ärgern sich natürlich. Sie sind immer fit gewesen, haben der Krankenkasse nie auf der Tasche gelegen.“ Kundin: „Es ist wie eine kleine Familie.“: Bettina Grünhagen aus Schönberg ist eine Betroffene. Wegen Beschwerden in einer Schulter hatte sie bereits einen Operationstermin. Anett Milech-Decker machte für die 55-Jährige, was sie allen Kunden bietet: einen individuellen Trainingsplan. Bettina Grünhagen berichtet über das Ergebnis: „Ich habe keine Probleme mehr mit der Schulter.“ Die OP nicht mehr nötig, aber: „Ich brauche die Übungen, um dem Alltag standzuhalten.“ Bettina Grünhagen lobt, Anett Milech-Decker sei sehr bemüht – aber auch die anderen Mitarbeiter. Dann erklärt sie: „Nicht nur der Sport fehlt einem jetzt, sondern das ganze Umfeld. Es ist wie eine kleine Familie. Man fühlt sich gut aufgehoben.“ Auch ihr Mann Udo vermisse die Zeit im Schönberger Fitnessstudio. Es sei traurig, dass die Arbeit so sehr eingeschränkt wird. Anett Milech-Decker sei „eine glatte Eins.“ Lesen Sie auch Fitnessstudios: Eine Boombranche bangt wegen Corona um ihre Zukunft Fit zu Hause: Experten von Fit X in Rostock zeigen die besten Übungen Corona in MV: Fitnessstudios und Kosmetiksalons bleiben zu Sie arbeitet seit 1994 als Fitnesstrainerin, seit 2007 auch als Reha- und Präventionstrainerin. Im November 2011 eröffnete sie das Studio in der Dassower Straße. Seitdem kaufte sie zahlreiche medizinisch geprüfte Geräte. Schwerpunkt der Arbeit: gesundheitsorientiertes Training mit der Zielgruppe 40 plus. Jetzt wäre im Fitnessstudio Hauptsaison: Anett Milech-Decker eröffnete das Studio auf 80 Quadratmetern. Als immer mehr Kunden kamen, erweiterte sie auf 220. Im Oktober 2019 mietete sie einen Pavillon dazu. Sie berichtet: „Wir konnten ihn fünf Monate nutzen – bis 16. März 2020.“ Dann kam der erste Lockdown. Jetzt wäre für das Fitnessstudio Hauptsaison, die Zeit der guten Vorsätze. Doch die Arbeit wurde in voller Fahrt ausgebremst. Anett Milech-Decker betont: „Besonders schlimm ist es, weil die Politiker sagen: ,Bleiben Sie zu Hause, machen Sie sich es auf der Couch gemütlich.‘ Gerade jetzt, wo wir doch alle Gesundheit brauchen.“ Die Schönbergerin sagt: „Wir sind enttäuscht als Gesundheitsbranche, dass wir diejenigen waren, die als Erste schließen mussten.“ Fitnessstudios würden Gesundheit produzieren. Anett Milech-Decker fragt: „Wo soll man sich sonst gesund und sich fit halten, wenn man nicht in Sportstätten darf?“ Die Fitnessbranche in Deutschland beschäftigt 217 400 Arbeitnehmer. „Auch diese sind Betroffene der behördlichen Schließungen“, betont der Arbeitgeberverband. Er hat das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgefordert, ein Nothilfeprogramm aufzulegen. Das Ziel: Insolvenzen in diesem Jahr verhindern. Über 300 Mitglieder hatte das Fitnessstudio in Schönberg. Einige Monate buchte Anett Milech-Decker die Beiträge nicht ab: während der beiden Monate des ersten Lockdowns, dann wieder im November und Dezember. Schließlich fragte sie Mitglieder, ob wieder abgebucht werden darf. Allen ist freigestellt, ob sie zahlen oder nicht. Die Schönbergerin weiß, dass einige Mitglieder von Kurzarbeit betroffen sind. Bei denen, die es erlauben, bucht sie ab. Alle Rücklagen sind aufgebraucht: Hintergrund ist die finanzielle Not, in die Anett Milech-Decker ohne eigenes Verschulden geraten ist. Sie erläutert: „Alle Rücklagen sind weg und die staatlichen Hilfen kommen nicht. Ich bin völlig aufgeschmissen, stecke schon mein privates Vermögen mit rein.“ Es sei richtig bitter, sagt die Schönbergerin. Für sie ist Fitness- und Gesundheitstrainerin nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Dann lobt Anett Milech-Decker die vielen treuen Mitglieder. Manche melden sich immer wieder, sagen „Hallo“ oder nette Worte wie: „Haltet die Ohren steif“. Fitness-App für zu Hause: Das Studio in Schönberg bietet seinen Mitgliedern eine besondere App. Die Betreiberin hat sie zusammen mit einem Start-up-Unternehmen gestaltet. Die App ist für Kunden und neue Interessenten gedacht. Anett Milech-Decker erklärt: „Wir stellen jede Woche ein Homeworkoutprogramm zur Verfügung: gymnastische Übungen, aber auch Übungen für diejenigen, die mit mehr Power trainieren wollen und auch Übungen, die sich besonders gut zum Abnehmen eignen.“ Dazu gibt’s Neuigkeiten aus dem Studio. Für die Nutzer ist die App kostenfrei. 2019 organisierten Anett Milech-Decker und ihre Mitarbeiter den ersten Fitness- und Gesundheitstag mit zahlreichen Aktionen in der Palmberghalle. Den Erlös, fast 500 Euro, spendete Anett Milech-Decker dem Verein „Badeteich Schönberg“. Im vorigen Jahr wollte sie zum zweiten Fitness- und Gesundheitstag einladen. Die behördlichen Bestimmungen verhinderten es. Für 2021 kann die Schönbergerin keinen Fitness- und Gesundheitstag vorbereiten. Sie weiß nicht, wie es weitergeht. „Wir haben keine Planungssicherheit.“ Über den Autor Von Jürgen Lenz