So lief Grevesmühlens Stadtvertretersitzung in der Corona-Krise

Die Bürgerfragestunde fällt zwar nicht aus, aber erstens sind keine Bürger anwesend und zweitens: „Hat jemand Fragen per Mail oder per Post eingeschickt?“, fragt Grevesmühlens Stadtpräsidentin Elvira Kausch. Nein, niemand. Also weiter in der Tagesordnung. Sie sitzt allein mit Bürgermeister Lars Prahler im Rathaussaal und schaut auf das Telefon auf ihrem Tisch. Kommunalpolitik im Rahmen der Corona-Krise. Das Kontaktverbot gilt auch für die Kommunalpolitik. Und trotzdem muss es weitergehen. Im sogenannten Umlaufverfahren. Das heißt, die Abgeordneten tagen nicht zusammen in einem Raum, sondern sitzen zu Hause, stimmen per E-Mail ab und diskutieren per Telefonkonferenz. Und während sich der Kreistag seit Wochen darüber streitet, ob eine Sitzung im Umlaufverfahren stattfinden kann oder nicht, haben am Dienstag die Grevesmühlener Stadtvertreter in der Telefonkonferenz darüber beraten – und anschließend per Mail abgestimmt. Eine Gegenstimme gab es zum Umlaufverfahren, zu wenig, um es zu verhindern. Also Kommunalpolitik 2.0 – die Stadtvertreter erhalten die Unterlagen ohnehin auf elektronischem Weg, per Mausklick stimmen sie ab. Ob das ohne die öffentlichen Debatten demokratisch ist oder nicht, darüber streiten sich die Politiker seit Wochen. Grevesmühlen jedenfalls macht es. Sitzung am Freitagabend um 18 Uhr vom Wohnzimmer aus: Was bedeutet, dass die Stadtvertretersitzung am Freitagabend, normalerweise wird montags getagt, in einem (fast) leeren Saal stattfindet. Anwesend ist ein Techniker des Rathauses, der Bürgermeister, die Stadtpräsidentin und die OSTSEE-ZEITUNG. Auch Bürgermeister Lars Prahler hat das Telefon am Ohr, ein paar Meter trennen ihn von Elvira Kausch. Und damit es keine Rückkopplungen gibt, während er seinen Bericht hält, geht er nach nebenan. Vom Tisch der Rathausküche teilt er den Stadtvertretern mit, was in den vergangenen Tagen geschehen ist und was die Stadtverwaltung in den nächsten Tagen plant. Es geht um die schrittweise Öffnung des Rathauses und die Information, dass die Mitarbeiter im Kundenkontakt einen Mundschutz tragen werden. Um die Tatsache, dass das Ordnungsamt der Stadt bereits die Polizei eingeschaltet habe, weil in den Kleingartenanlagen der Stadt Fahrzeuge mit fremden Kennzeichen stünden und Partys gefeiert würden. Und dass die Fraktionen Telefonkonferenzen nützen können, wenn sie Beschlussvorlagen beraten wollen. Es ist, und das merkt auch Elvira Kausch, schwierig, anhand der Telefonstimme zu unterscheiden, wer sich gerade zu Wort meldet. Sobald zwei Personen reden, versteht ohnehin niemand mehr etwas. Gedankenaustausch, konstruktive Diskussionen? Kaum möglich. Mundschutz zu den Ausschusssitzungen: Das wird gerade dann deutlich, als es darum geht, dass Lars Prahler die Stadtvertreter und Ausschussmitglieder auffordert, bei den Sitzungen, die demnächst in entsprechend großen Räumen stattfinden sollen, einen Mundschutz zu tragen. Erich Reppenhagen (SPD-Fraktion) hält dagegen, dass es dafür keine klare gesetzliche Regelung gebe. Dirk Zachey (CDU) mosert, dass das doch wohl keine Hürde mehr sein sollte in der heutigen Zeit. Zu Not tue es auch ein Schal vor dem Mund. Die Diskussionsteilnehmer können sich nicht sehen. Die Argumente überschneiden sich, Lars Prahler unterbricht die Debatte. „Wir haben eine Sorgfaltspflicht für die Mitarbeiter im Rathaus, daher kann ich nur appellieren, den Mundschutz zu tragen.“ Sven Schiffner (SPD): „Schon aus Respekt den Unternehmern und Einzelhändlern gegenüber, die ums Überleben kämpfen, sollten wir als Stadtvertreter mit gutem Beispiel vorangehen und einen Mundschutz tragen.“ Auch wenn es keine Vorschrift sei, noch nicht. Nach einer knappen halben Stunde ist die Tagesordnung abgearbeitet, Elvira Kausch hat die einzelnen Punkte vorgetragen, die Abstimmungsergebnisse, die per E-Mail eingingen, verkündet. Die Beschlüsse zum Baugebiet am Mühlenblick waren darunter, Haushaltsfragen. Nicht in jedem Fall haben die Stadtvertreter den Haken an der richtigen Stelle gesetzt. Vermutet jedenfalls die Stadtpräsidentin. Es ist die erste Sitzung. Ob es weitere gibt, das weiß niemand. Ob Kommunalpolitik auf diesem Wege funktioniert? Ungewiss. Das LN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Lübeck dienstags bis samstags gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Lesen Sie dazu auch: Streit unter den Kreistagsfraktionen. So eskalierte die Haushaltsdebatte in Nordwestmecklenburg. Von Michael Prochnow

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