Stiefvater soll 15-jährige Tochter seiner Frau vergewaltigt haben

Das Bild, das die Frau im Zeugenstand – die Geschäftsführerin eines Vereins, der sich um schwierige Jugendliche kümmert – von Mandy mit ihren Worten zeichnet, bringt ein schmächtiges Mädchen zutage. Ein Kind noch, das Hilfe braucht, aber nicht weiß, wie sie sie bekommen kann. Eine 16-Jährige, die mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater im Januar 2015 im Büro der Zeugin sitzt, und die Arme verschränkt. Sie soll ins Heim. Weil es in der Familie Probleme gibt. Weil keine Seite weiß, wie sie mit der anderen umgehen soll. „Wie Jugendliche sich in solchen Fällen benehmen. Sie sitzen da und machen den Eindruck, dass sie das nichts angeht“, erzählt die Geschäftsführerin. Was in Mandy vorgeht, weshalb sie wirklich in die Wohngruppe in der Nähe von Grevesmühlen kommt, das weiß die Zeugin nicht, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Mandy, so beschreibt sie es, sei wie viele andere auch gewesen. „Sie hatte Probleme, wenn sie länger irgendwo etwas machen sollte, beim Praktikum zum Beispiel. Aber sie hat eine gute Entwicklung gemacht in den anderthalb Jahren, die sie bei uns war.“ Mit ihrem 18. Geburtstag Ende 2016 verließ sie die Wohngruppe, verschwand und tauchte unter. Im August 2016 hatte sie ihren Stiefvater angezeigt. Er habe sie vergewaltigt, erzählt sie der Polizei. Die Mühlen der Justiz beginnen sich zu drehen. Vernehmungen, Gespräche, Termine beim Jugendamt. Am Ende zieht Mandy aus der Wohngruppe aus, ändert ihre Telefonnummer, verschwindet. Fotos und Filme auf dem PC des Stiefvaters: Seit Anfang März versucht das Landgericht in Schwerin unter Vorsitz von Richter Armin Lessel herauszubekommen, was in den Monaten passiert ist, bevor Mandy in die Börzower Wohngruppe kam. Die Anklageschrift führt etliche Fälle auf, in denen der 53-jährige Stiefvater das Mädchen, das zu Beginn der Taten gerade einmal 15 Jahre alt war, missbraucht haben soll. Es gibt etliche Fotos und Filme davon. Aufgenommen in den Wohnungen der Familie, die damals im Schönberger Land lebte. Gefilmt vom Stiefvater. Der Angeklagte äußert sich nicht zu den Vorwürfen. Er lebt mit der Mutter von Mandy inzwischen in Schleswig-Holstein. Die Mutter hält nach wie vor zu ihrem Mann. Als im September 2015 Polizisten die Wohnung der Familie auf den Kopf stellen, die Rechner mit den Filmen und Fotos sicherstellen, sagt sie: „Warum tut sie uns das nur an?“ Auch heute, zweieinhalb Jahre später, verdrängt sie den Albtraum. Sie sagt als Zeugin im Prozess aus. Aber erinnern könne sie sich nicht an die Fälle, die die Staatsanwaltschaft beschreibt. Sie habe nichts mitbekommen, erklärt sie. Ihr Blick sucht immer wieder Ronald K. auf der Anklagebank. Draußen, vor dem Gerichtssaal folgt sie ihrem Mann wohin er auch geht, immer einen Schritt hinter ihm. Und Mandy? Das Gericht hatte Mandy, die mittlerweile 19 Jahre alt ist, zum Verhandlungsauftakt vorgeladen. Sie sollte die erste Zeugin in dem bis Mitte April angesetzten Prozess sein. Sie kam nicht. Mehrere Tage dauerte es, bis das Gericht die 19-Jährige erreichte. Sei sei obdachlos im Moment, würde demnächst bei einem Freund einziehen, erklärte sie dem Richter am Telefon. Die Vorladung hatte das Gericht an die Adresse der Wohngruppe in Börzow geschickt. Dort wusste man nicht, wie sie Mandy erreichen konnten. Sie wusste nichts von dem Prozess gegen ihren Stiefvater. Im April soll sie nun ihre Aussage machen. Wiederholen, was sie bereits den Ermittlerinnen erzählt hat. Jede Einzelheit, jedes Detail der Übergriffe. Ob sie geschlafen habe, wo und wie sie gelegen habe. Ob sie etwas gesagt habe, wie ihr Stiefvater sie angefasst habe. Wie er das getan habe. Ob sie noch Jungfrau war. Einfach alles. Denn darauf kommt es an vor Gericht. Und weil ihr Stiefvater schweigt, werden Gericht, Staatsanwalt und die Verteidigung -zig Fragen stellen. Von den Antworten des Opfers hängt es ab, ob Ronald K., ihr Stiefvater, zur Verantwortung gezogen wird. Wurde sie richtig belehrt? Wie kompliziert der Fall und die ganze Aufklärung ist, das hat die Vernehmung der ersten Zeugen vor Gericht gezeigt. Als am 28. August 2016 Mandy im Polizeirevier in Grevesmühlen auftauchte und Anzeige gegen ihren Stiefvater erstattete, war Andrea K. vom Kriminaldauerdienst die erste Polizistin, die sich mit dem Fall und den Einzelheiten beschäftigte. Die 42-Jährige ist eine erfahrene Beamtin, keine Spezialistin für Sexualverbrechen, aber sie weiß, wie sie mit dem Mädchen umgehen muss. Und wie wichtig die ersten Schritte sind. Dass eine unzureichende Belehrung einen ganzen Prozess zum Platzen bringen kann. Denn Mandy müsste nicht gegen Ronald K. aussagen – auch wenn sie die Anzeige erstattet hat. Weil sie mit dem 53-Jährigen verwandt ist, steht ihr ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Die Frage, die nun die Juristen in dem Prozess umtreibt, ist: Hat Andrea K. das Mädchen auch darüber aufgeklärt? Wenn nicht, sind sämtliche Vernehmungsprotokolle obsolet. „Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht aussagen muss“, erklärt die Beamtin vor Gericht. Den genauen Wortlaut könne sie nach dieser Zeit nicht mehr erinnern. „Aber ja, ich habe sie belehrt wie es Vorschrift ist.“ Und ja, das Mädchen habe es auch verstanden. Vernehmung wird auf Video aufgezeichnet: Zweieinhalb Wochen später wird Mandy erneut vernommen, eine Beamtin des Landeskriminalamtes aus Schwerin nimmt das Gespräch auf Video auf. Jetzt geht es um die Details, wie der Sex abgelaufen sei, wann und wo sich die Taten abgespielt hätten. Auch dort sei sie belehrt worden, sagt die Beamtin, Josephine H., vor Gericht. „Ich habe ihr die offizielle Belehrung vorgelesen und sie ihr auch in verständlichen Worten erklärt. Sie wusste, dass sie nicht aussagen muss.“ Vieles deckt sich mit den Aussagen der ersten Vernehmung. Und auch hier wird deutlich, die Mutter könnte gewusst haben, was sich zwischen Mandy und ihrem Stiefvater abgespielt habe. Doch die beteuert vor Gericht ihre Unschuld. Sie habe nie etwas bemerkt. Ronald K. nickt ihr zu im Gerichtssaal und schweigt. Fünf Jahre und drei Monate Haft lautet das Urteil in einem weiteren Missbrauchsprozess, der Anfang des Jahres vor dem Landgericht in Schwerin begonnen hatte. Andy B., arbeitsloser Malergehilfe aus einem Dorf im Klützer Winkel, hatte über Monate hinweg die elfjährige Tochter seiner Ehefrau mehrfach missbraucht. Das Mädchen lebt in einem Heim, gegen die Mutter hat die Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben. Sie soll von dem Missbrauch gewusst haben. B. hatte vor Gericht ausgesagt, dass seine Frau ihn mit dem Mädchen erwischt habe. Aufgehört habe er deshalb jedoch nicht. Aufgeflogen war der Missbrauch, weil der 43-Jährige seinen Nachbarn angezeigt hatte. Der, so Andy B. zur Polizei, soll das Mädchen sexuell belästigt haben. Im Zuge der Ermittlungen kamen die wahren Umstände ans Tageslicht. Weil Andy B. vor Gericht die Taten eingeräumt hatte, musste das Opfer nicht mehr aussagen. Die Elfjährige war im Vorfeld vernommen worden, die Aussagen wurden auf Video aufgezeichnet. Im Rahmen des Urteils hatte das Gericht dem 43-Jährigen eine Entziehung auferlegt. B. ist alkoholabhängig und so schwer erkrankt, dass kaum Aussicht auf Genesung besteht. Von Michael Prochnow

Grevesmühlen - Stiefvater soll 15-jährige Tochter seiner Frau vergewaltigt haben