AKW-Bauschutt nach Ostholstein: Camper haben Angst um ihre Zukunft

Blankes Entsetzen auf dem Campingplatz „Blank Eck“ in Neuteschendorf. Die Nachricht, dass auf der nur 1500 Meter entfernten und ebenfalls zur Gemeinde Gremersdorf gehörenden Deponie Johannistal bis Ende 2022 rund 5500 Tonnen freigemessener Schutt aus dem Rückbau des Atomkraftwerks Brunsbüttel abgelagert werden sollen, lässt Sandra (50) und Martin Gabbey (56) besorgt in die Zukunft blicken. Das Inhaber-Ehepaar der Anlage mit 420 Stellplätzen direkt an der Ostsee bekennt einmütig: „Wir haben Angst davor, vom Naturparadies zum Atomerbe zu verkommen.“ Die durch Landesumweltminister Jan-Philipp Albrecht (Grüne) in der Vorwoche verkündete Zuweisung, in deren Kontext auch 12 500 Tonnen auf die Lübecker Deponie in Niemark verfrachtet werden sollen, ist für Martin Gabbey „bittere Ironie“. Der 56-Jährige, der mit seiner Familie auch am „Blank Eck“ lebt, beklagt: „Die Grünen haben uns immer erzählt, wie gefährlich der ganze Atomkram ist – und jetzt lässt der Minister das Zeug quer durchs Land karren und womöglich teuren Sondermüll hier bei uns zu Baumaterial recyceln?“ „Das bringt uns einen Imageverlust und wirtschaftlichen Schaden“: Was Gabbey besonders aufregt: „Wir liegen hier mit eigenem Klär- und Wasserwerk zwischen Landschafts- und Naturschutzgebiet. Unsere Camper kriegen auf die Mütze, wenn sie mal über’n Zaun pinkeln, wir müssen tausend Bauauflagen erfüllen – und das mit dem AKW-Schutt geht einfach so per Verordnung über die Bühne?“ Seine Frau fügt hinzu: „Das bringt uns neben dem Imageverlust auch einen enormen wirtschaftlichen Schaden, wenn Urlauber uns künftig nur noch mit einem benachbarten Atommülllager verbinden und wegbleiben.“ Beide finden: „ Wenn das Zeug freigemessen und angeblich unschädlich ist, kann es doch auch vor Ort in Brunsbüttel gelagert oder recycelt werden.“ Gremersdorfer Urgestein grollt: „So geht das nicht“: Das sieht Gremersdorfs Urgestein Klaus Klinckhammer (76) ähnlich. Der Ex-Bürgermeister (1974 bis 2012) und langjährige CDU-Landtagsabgeordnete (2005 bis 2012 auch Vorsitzender des Umwelt- und Agrarausschusses) aus Neuratjensdorf grollt: „So geht das nicht! Sonst setzen die Grünen immer auf Bürgerbeteiligung, und jetzt will man das alles gegen den bereits 2016 erklärten Willen der Bevölkerung per Verordnung durchdrücken?“ Der 76-Jährige fordert, „dass unser Ministerpräsident sich einschaltet und der AKW-Schutt notfalls auf einem Gelände an der Elbe bleibt, wo Gemeinden wie Brokdorf dank der Kernkraftwerksbetreiber auch jahrzehntelang Gewerbesteuer-Millionen scheffeln konnten“. Geflügelhof-Betreiberin: „Für uns alle ist das ein herber Schlag“: Wiebke Albert (60), die mit ihrem Mann Jürgen in Altgalendorf einen Geflügelhof nebst Bauernmarkt betreibt, pflichtet dem Ex-Bürgermeister bei und sagt: „Für uns alle in dieser Tourismusregion ist das ein herber Schlag, wenn man so etwas übergestülpt bekommt, ohne genauer informiert oder gefragt zu werden.“ Die 60-Jährige kann andererseits nicht nachvollziehen, „dass vermeintlich harmloser Schutt auf teure Deponien verbracht werden muss, wenn man ihn vor Ort recyceln und als Baumaterial wiederverwenden könnte“. Thilo Gollan: „Fühlen uns missbraucht und enteignet“: Dazu stellt Thilo Gollan, zu dessen gleichnamiger Firmengruppe auch die Deponie Johannistal gehört, klar: „Wenn wir denn die 5500 Tonnen tatsächlich aufnehmen müssen, ist eine dauerhafte Ablagerung verpflichtend vorgesehen. Es wird kein Recycling geben.“ Zudem betont er: „Auch wenn der vom AKW versandte, offiziell unbelastete Schutt ja eigentlich gängiges Material wie Bodenaushub, Gebäudereste, Asphalt und Dämmstoffe umfasst, wollen wir ihn eigentlich nicht haben.“ Man arbeite seit 1987 im Konsens mit der Gemeinde und fühle sich durch die Zuweisung „irgendwie missbraucht und enteignet, zumal wir als private Betreiber haftbar sind und beim Land einen mittleren einstelligen Millionenbetrag als Sicherheit hinterlegen müssen“. „Prüfen alle Rechtsmittel gegen diese Zuweisung“: Insofern bekräftigt auch Axel Guttmann als Geschäftsführer der Abfallverwertungsgesellschaft (AVG) Johannistal: „Wir sind weiter dabei, alle Rechtsmittel gegen diese Zuweisung nach Paragraf 29 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes zu prüfen und werden sie dann auch einlegen, obwohl wir nach unserer jüngsten 7000-Quadratmeter-Erweiterung alle technischen Voraussetzungen zur Ablagerung erfüllen könnten.“ Lesen Sie auch Ostholsteiner Müll soll zu Wasserstoff werden Windpark Grömitz: Alt-Anlagen sollen weiter Ökostrom liefern Geflügelpest in Ostholstein: Virus bei Wildgans aus Neustadt nachgewiesen Grünen-Fraktionschef: „Info-Angebote nie aufgegriffen“: Unterdessen verweist Jens Johannsen als Grünen-Fraktionschef im Ostholsteiner Kreistag darauf, dass Minister Albrecht Bürgermeister und Betreiber nicht nur vorab informiert, sondern seit 2016 immer wieder Gespräche auch mit Gemeindevertretern geführt habe. Zudem habe dieser „persönlich bei der Vorstellung der Ergebnisse der Qualifizierung im September 2019 an alle betroffenen Gemeinden einen Brief geschrieben, in dem nicht nur die Entsorgung auf den jeweiligen Deponien dargelegt wird, sondern explizit angeboten wird, vor Ort ausführlich darüber zu informieren“. Obwohl dieses Angebot vor Ort nie aufgegriffen und das Ministerium dazu auch nie kontaktiert worden sei, stehe Albrecht „jederzeit für Informationsrunden zur Verfügung und freut sich, die Grundlagen der Zuweisung den verantwortlichen Menschen vor Ort darzulegen“. Den Vorwurf des CDU-Landtagsabgeordneten Peer Knöfler, der „einfach den Joker des Anweisungsrechts zu ziehen, ohne breitschichtige Aufklärungsarbeit zu leisten“ als „grobes Foulspiel“ bezeichnet hatte, kontert dessen ostholsteinische Grünen-Kollegin Marlies Fritzen so auch mit den Worten: „Ein vermeintliches Foulspiel ist hier nicht zu erkennen. Vielmehr ist die Frage, ob Herr Knöfler für seine Schwalbe nicht die Rote Karte verdient hat.“ SPD fordert Beantwortung offener Fragen: Allerdings konstatiert auch Gabriele Freitag-Ehler, stellvertretende Kreisvorsitzende und Kreistagsabgeordnete der SPD, nach einem Treffen der Nord-Ortsvereine: „Wir waren mehr als überrascht, von der Zwangszuweisung des Bauschutts durch Minister Albrecht aus der Presse zu erfahren. Damit wurden alle Beteiligten vor vollendete Tatsachen gestellt, eine vorherige Kommunikation oder gar Beteiligung der Bevölkerung fand nicht statt.“ Somit dürfe es niemanden wundern, dass die Sorge in den umliegenden Gemeinden um Johannistal groß sei. „Die SPD vor Ort, im Kreis und Land“ fordere nun vom Ministerium Antworten auf die Fragen: „Was genau wird vor Ort deponiert – und wieviel und wie lange? Warum ist Johannistal besonders geeignet? Wie liefen die Gespräche mit dem Deponiebetreiber und warum wurden die Menschen in den Gemeinden nicht aufgeklärt?“ Von Andreas Oelker