Autobahn 1: Lockdown-Alltag auf der Raststätte Neustädter Bucht

Morgendliche Tristesse auf dem weitgehend verwaisten Terrain der Autobahn-Tankstelle Neustädter Bucht. Am nieselig-nebeligen Januarvormittag bei Temperaturen knapp überm Gefrierpunkt verteilen sich immerhin ein paar pausierende Lastwagen-Gespanne aus Bulgarien, Litauen, Polen, Rumänien, Dänemark und den Niederlanden auf den weitläufigen Stellflächen. Dort vertritt Karsten Müller aus der Oberpfalz mit seinem gelben Sattelzug die deutschen Trucker-Farben. Der 43-Jährige ist mit seinem Gefährt, dessen Auflieger mit Rohren und Schläuchen für den Spezialtiefbau beladen ist, vom bayrischen Neumarkt aus gestartet und legt nach durchfahrener Nacht auf der einzigen Ostholsteiner Autobahn-Raststätte eine obligatorische Ruhepause ein. Auf seiner Tour gen Kopenhagen – via Puttgarden und Rødby – gönnt sich der gebürtige Hallenser sogar eine XXL-Auszeit von 20 Stunden: „Ich werde wohl erst morgen früh gegen sechs Uhr weiterfahren. Denn ich habe keinen Zeitdruck, zumal ich in Dänemark nicht früher entladen kann.“ Trucker: XXL-Auszeit mit Fernsehen und Doseneintopf: Die Standzeit im ziemlich trostlosen „Lockdown-Areal“ weiß der verheiratete zweifache Vater sich trotz geschlossener Raststätten-Gastronomie problemlos zu vertreiben: „Erstmal wird geschlafen, dann schließe ich mich per Handy mit Kollegen und meiner Frau kurz und schalte den Fernseher an. Außerdem mache mir später noch eine Dose Eintopf warm.“ Mit der Schließung der Restauration „kann und muss man sich halt arrangieren“, sagt Müller und merkt an: „Im Vergleich zum ersten Lockdown im letzten Frühjahr, wo etliche der geöffneten Sanitäranlagen mitunter wohl tagelang nicht gereinigt wurden, sieht’s jetzt auch hier schon deutlich besser aus. Und wenn nicht, hilft eine Tank-&-Rast-Hotline, wo man sich zeitnah um Reklamationen kümmert.“ Nichts zu reklamieren hat sein holländischer Kollege Sjoerd Pool: Der 51-Jährige ist von Heerenveen aus mit einer Ladung von 100 Fahrrädern in Richtung Dänemark unterwegs. Er setzt seinen 15-Meter-Truck nach nächtlicher Acht-Stunden-Pause in Bewegung, um nachmittags rechtzeitig in Glostrup anzukommen. Vor der Abfahrt in Richtung Fehmarn sagt er: „Duschen brauchte ich hier nicht, Essen und Trinken gibt’s nachher auf der Fähre – und teuer tanken musste ich auch nicht, da mein 500-Liter-Tank ja zu Hause an der firmeneigenen Tankstelle aufgefüllt wurde.“ Die Autobahn-Tankstellen Neustädter Bucht Ost (Richtung Norden) und West (Richtung Süden) entlang der A 1 liegen mitsamt Raststätten, Sanitäranlagen und Parkflächen auf dem Gebiet der Gemeinde Sierksdorf. Betreiber ist die Tank-&-Rast-Gruppe, die mit ihren Partnern sowie in Eigenregie ein bundesweites Servicenetz von rund 360 Tankstellen, 400 Raststätten und 50 Hotels unterhält. Beide Tankstellen an der Neustädter Bucht sind im Gegensatz zur geschlossenen Raststätten-Gastronomie auch im Lockdown rund um die Uhr geöffnet. Dort erhalten Fernfahrer sowie alle anderen Reisenden kalte und warme Gerichte sowie Getränke zum Mitnehmen. Auch die sanitären Anlagen sowie die Fernfahrerduschen sind in beiden Fahrtrichtungen rund um die Uhr geöffnet. Auf mitunter deutlich höhere Kraftstoffpreise an Autobahntankstellen hat Tank & Rast nach eigenen Angaben „keinen Einfluss“. Ein Tank-&-Rast-Sprecher erklärt: „Die Kraftstoffpreise dort werden allein von den Mineralölanbietern festgesetzt. Diese entscheiden auch nach eigenem Ermessen darüber, welche Margen sie erzielen wollen und inwieweit sie Kostenschwankungen auf die Verbraucher umlegen.“ Allerdings habe auch Tank & Rast „ein Interesse an erschwinglichen Kraftstoffpreisen, da diese mehr Kunden zum Halt an unseren Raststätten bewegen“. Auf der letzten Rille bis zur Autobahn-Tankstelle: Dieses Glück hat Stephanie Hagen (46) nicht. Die Neustädterin gehört mit ihrem schicken Kombi zu den wenigen privaten Treibstoff-Kunden an der auch ob ihrer hohen Spritpreise spärlich frequentierten Raststätten-Tankstelle und räumt ein: „Ich hab’s auf der letzten Rille bis hierher geschafft. Da ich von einem Arzttermin aus Lübeck komme und vorher nicht auf die Tankanzeige geachtet hatte, durfte ich jetzt für 51 Liter Super knapp 84 Euro bezahlen. Aber was soll’s? Auch wenn das Tanken abseits der Autobahn auch in Neustadt natürlich viel billiger ist, hatte ich ja keine andere Wahl . . .“ Keine andere Wahl hat auch Isabelle Steingräber (25). Die Pharmareferentin aus Frankfurt am Main steuert ihren Leihwagen auf einen der beiden Frauenparkplätze neben der geschlossenen Gaststätte und eilt in den Sanitärtrakt. Vor der Weiterfahrt nach Oldenburg berichtet sie: „Gut, dass wenigstens die Toiletten an den Autobahnen im Lockdown weiter geöffnet sind, denn ich bin allein seit März bestimmt an die 20 000 Kilometer aus beruflichen Gründen gefahren.“ Zudem findet sie wichtig, „dass man sich notfalls an den Tankstellen einen Kaffee zum Mitnehmen organisieren kann – gegessen wird sowieso woanders“. 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Aber getankt wird natürlich meistens in Stockelsdorf, wo man pro Liter 20 bis 30 Cent weniger bezahlen muss als hier an der Autobahn.“ Von Andreas Oelker