Corona-Spätfolgen: Schwartauerin und Stephan Weil kämpfen für Aufklärung

Über zehn Monate ist es her, dass sich das Leben von Anngrit M. von einem Tag auf den anderen Tag fast komplett geändert hat. Die 51-Jährige hat sich mit dem Coronavirus infiziert – als eine der ersten Menschen im Kreis Ostholstein. Unter den Folgen der Erkrankung leidet die zuvor so vitale Bad Schwartauerin bis heute. Ein normales Leben ist kaum noch möglich. Denn seit der Viruserkrankung leidet sie unter Fibromyalgie, einem Faser-Muskel-Schmerz. In den Lübecker Nachrichten hat sie ihre Geschichte im Herbst vergangenen Jahres erzählt und seitdem viel Anteilnahme und Unterstützung erfahren. Jetzt ist auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil auf ihre Geschichte aufmerksam geworden. So lief das Gespräch mit dem Ministerpräsidenten: Betreut wird Anngrit M. unter anderem über die Medizinische Hochschule Hannover (MHH), die sich in einer Studie ausführlich mit Folgeerkrankungen der Virusinfektion beschäftigt. Und genau die hat zwischen Anngrit M. sowie drei weiteren Corona-Erkrankten und Stephan Weil den Kontakt vermittelt. Der Politiker hatte die Betroffenen zum Austausch ins Landeshaus eingeladen – aufgrund des Lockdowns wurde das Gespräch dann aber per Videokonferenz geführt. Mit dabei war auch Prof. Dr. Tobias Welte von der MHH. So ergeht es anderen Corona-Erkrankten: Doch auch auf Entfernung war das Treffen für alle Seiten ein voller Erfolg. „Herr Weil hat sich viel Zeit genommen und uns wirklich zugehört. Er war sehr offen und empathisch“, erzählt die Bad Schwartauerin. „Und es war ein gutes Gefühl, sich mal mit Gleichgesinnten austauschen zu können.“ Denn auch die anderen Infizierten haben mit starken Folgen der Corona-Erkrankung zu kämpfen. Ein Mann beispielsweise hat sein Gehör verloren. Ein anderer Patient ist schon bei leichten Belastungen auf Sauerstoff angewiesen. Eine junge Sportstudentin kann kaum noch lernen, weil ihr Kurzzeitgedächtnis stark gelitten hat. Stephan Weil war berührt von den Erzählungen: Das Problem: In den Corona-Statistiken werden sie alle als „Genesene“ ausgewiesen. Zu sehen, wie es aber einigen Menschen nach der Erkrankung wirklich geht, hat den Ministerpräsidenten stark beeindruckt. „Natürlich war mir zuvor bereits bewusst, dass es schwere und lang andauernde Folgeschäden nach einer Covid-19-Erkrankung gibt. Das Ausmaß dieser Folgeerkrankungen und die schweren damit einhergehenden Belastungen für die Betroffenen haben mich dennoch sehr berührt“, sagt er. „Man sieht uns den Schmerz nicht an“: Prof. Dr. Tobias Welte von der MHH berichtete in dem Gespräch zudem, dass bei schätzungsweise zwei bis drei Prozent der Covid-19-Erkrankten ein ausgeprägtes Post-Covid-Syndrom auftritt. Das seien bundesweit 25 000 bis 50 000 Betroffene. Doch viele von ihnen müssen täglich um Verständnis kämpfen, weil man ihnen die Erkrankung nicht auf den ersten Blick ansieht. Das kennt auch Anngrit M.. Auf den ersten Blick wirkt sie munter, gut gelaunt. Was hinter der Fassade ist, sieht kaum jemand auf den ersten Blick. Die Schmerzen, die Ängste, die Sorgen – nur wer einen zweiten Blick wagt und mit der Bad Schwartauerin ins Gespräch kommt, erhält einen Einblick. „Manchmal, wenn ich draußen war, bekomme ich hinterher Anrufe von Bekannten, die mich gesehen haben und es dann erst richtig glauben können“, erzählt die 51-Jährige. Denn selbst normales Spazierengehen oder der Einkauf sind für sie zu einer Herausforderung geworden. Patienten und Ministerpräsident wünschen sich mehr Aufklärung: Alle Beteiligten des Gesprächs waren sich darüber einig, dass das Thema der Langzeitfolgen von Covid-19-Erkrankten stärker als bislang in die Öffentlichkeit getragen werden muss. Deshalb hat Stephan Weil auch nach dem Gespräch in den sozialen Medien darüber berichtet. „Denjenigen, die Corona mit einer harmlosen Grippe vergleichen, würde ich auch ein solches Gespräch mit Betroffenen empfehlen.“ „Aber auch insgesamt muss das Leid von Erkrankten und von Angehörigen Verstorbener eine größere Rolle in der gesellschaftlichen Debatte spielen“, sagt er. „Bei allen wirtschaftlichen Problemen und Existenznöten dürfen wir nicht vergessen, dass Corona vielen Menschen unwiederbringlich die Gesundheit oder sogar das Leben raubt.“ So waren die letzten Monate für die Bad Schwartauerin: Die letzten Monate waren auch für Anngrit M. nicht einfach. Arzttermine, Therapieansätze, Gespräche, eine anstehende Reha: Sie tut alles, um wieder ins Leben zu finden. Trotz der Schmerzen, fast täglicher Migräneanfälle und Atemnot. „Manchmal ist es schon sehr viel, für das man Kraft aufbringen muss“, sagt sie. Aktuell verfolgt sie einen Ansatz der Schmerzlinderung mithilfe von Cannabis. „Weil einfach nichts gegen die Schmerzen hilft“, erzählt sie. Ihre Schmerzärztin unterstützt sie darin. „Ich bin sehr froh, dass ich sie habe“, sagt die Bad Schwartauerin. Außerdem sind Familie, Freunde, Nachbarn und Kollegen ihr eine große Hilfe. Lesen Sie auch „Kein Tag ohne Schmerzen“: Schwartauerin berichtet von den Folgen ihrer Corona-Infektion Uni Lübeck befragt Bürger zu Folgen der Corona-Pandemie Doch auch wenn manche Tage grau erscheinen, hat sie ihren Lebensmut nie verloren. „Ich fühle mich gut unterstützt und versuche, die schönen Dinge zu sehen“, sagt die Bad Schwartauerin. Denn, was ihr wichtig ist: Mit ihrer Geschichte möchte sie kein Mitleid erwecken, sondern lediglich einen kleinen Teil dazu beitragen, das Thema bekannter zu machen. Von Maike Wegner