Eutin: Das bleibt nach der Reinigung im Klärwerk im Abwasser

Sie sind nicht zu sehen und stellen doch eine große Gefahr in unserem Abwasser dar: Medikamentenrückstände, Pflanzenschutzmittel, Desinfektionsmittel, Konservierungsstoffe. Die Eutiner Kläranlage ist vom Bundesumweltministerium als eine von 29 kommunalen Kläranlagen für ein deutschlandweites Monitoring ausgewählt worden. Dokumentiert werden sollte, welche Stoffe im Abwasser enthalten sind und in welcher Konzentration sie trotz Behandlung im Klärwerk in die Gewässer gelangen. Studie umfasste Messungen über ein Jahr: Ein Jahr lang wurden in Eutin vom Zulauf und Ablauf, also vom ankommenden und gereinigten Abwasser, über einen sogenannten Probennehmer Proben gezogen. Aus mehreren Einzelproben innerhalb von 24 Stunden wurde eine Mischprobe gebildet. Über sieben Tage wurden diese Mischproben in eine Edelstahlmilchkanne abgefüllt und eingefroren. Pro Woche entstanden so sieben Schichten übereinander in einem Gefäß. In gefrorenem Zustand wurden die Kannen in Transportkisten nach Karlsruhe verschickt. Auch frische Schlammproben gingen regelmäßig dorthin. Dieses Prozedere erstreckte sich über zwölf Monate, vom November 2017 bis Oktober 2018. Im Labor in Karlsruhe wurden die Proben aufgetaut und analysiert. Über die konventionellen Methoden hinaus seien die Analyseverfahren verfeinert und sogar neue Verfahrenstechniken entwickelt worden, sagt Anja Kuhlmann, Abwassermeisterin und Chemielaborantin im Eutiner Klärwerk. „Was bei uns im Abwasser ankommt und uns wieder verlässt, wissen wir. An der Studie hat uns interessiert, welche verbotenen Stoffe noch ’rausgehen – solche, die wir in unserem eigenen Labor nicht erfassen können, weil wir nicht die Instrumente haben und es den Kostenrahmen sprengen würde.“ Die Auswertung in Karlsruhe sollte ein Jahr dauern, habe sich aber bis zum Sommer 2020 hingezogen, erklärt Boris Sobotta, Leiter der Stadtentwässerung. Grund war unter anderem, dass beim Bundesumweltministerium mehrfach das Personal wechselte. Eingeleitetes Wasser: Sauberer als Ehmbruchgraben selbst: Die Ergebnisse des deutschlandweiten Monitorings sind den Eutinern vor wenigen Wochen zugegangen. „Wir liegen bundesweit im guten Durchschnitt“, sagt Anja Kuhlmann. Dass das Klärwerk erfolgreich arbeitet, lasse sich auch daran erkennen, „dass das Wasser, wenn es alle Reinigungsstufen durchlaufen hat und in den Ehmbruchgraben eingeleitet wird, eine bessere Qualität aufweist als das Wasser im Graben selbst“, sagen die beiden Fachleute. Vom Ehmbruchgraben gelangt das Wasser über die Schwentine in den Großen Eutiner See. Antibiotika & Co: Deutliche Arzneimittelreste in Abwässern: Aber auch wenn Rückstände unterhalb der erlaubten gesetzlichen Grenzwerte lägen, bedeute dies doch nicht, dass sie nicht Einfluss auf die Natur und damit letztlich die Gesundheit der Menschen nähmen, sagt Boris Sobotta. So seien beispielsweise Materialschutzmittel und Konservierungsstoffe sowie Arzneimittel problematisch. Die meisten Antibiotika hätten einen Abbaugrad von 60 Prozent, sagt er. „Das heißt im Umkehrschluss: 40 Prozent gehen aus der Anlage wieder heraus, davon sind dann Fische und Mikroorganismen betroffen und somit auch wir.“ Lesen Sie auch Curavid in Eutin: Neue Praxis für Strahlentherapie eröffnet 2022 Wohnungen, Häuser, Bauland: Hier wird 2021 in Ostholstein gebaut Ostholsteiner Wasser: Frisches Nass aus 110 Metern Tiefe Kontrastmittel sind im Klärwerk kaum abbaubar: Das Schmerzmittel Ibuprofen lasse sich zu 90 Prozent in der Kläranlage herausfiltern, das dagegen häufig verschriebene Diclofenac kaum zurückhalten. „Am schlechtesten ist Kontrastmittel abbaubar“, sagt der Leiter des Klärwerks, und regt in Hinblick auf die Strahlentherapiepraxis an, die im kommenden Jahr am alten Güterbahnhof entstehen soll, darauf hinzuwirken, dort gleich Aktivkohlematten zu installieren. Aktivkohle könne Medikamentenrückstände binden. In der Filtration, am Ende des Reinigungsprozesses im Klärwerk, ehe das Wasser in den Ehmbruchgraben eingeleitet wird, hält jetzt Anthrazitquarz feinste Stoffe zurück. Den könne man sicher gegen Aktivkohle tauschen, sagt Boris Sobotta. Doch die Entwicklung stecke noch in den Kinderschuhen. Seit 1956 betreibt die Stadt Eutin ihre Kläranlage in Fissaubrück. Sie wurde in vier Bauabschnitten, 1968, 1972, 1984 und 1993, jeweils an den Stand der Technik angepasst. 1999, so wird im Flyer des Klärwerks erläutert, sei die „weitergehende Abwasserreinigung“ fertiggestellt worden. Dies geschah im Rahmen eines Dringlichkeitsprogramms der schleswig-holsteinischen Landesregierung zur Reinerhaltung der Nord- und Ostsee. Fachleute mahnen gesetzliche Vorgaben an: Das Land habe Kläranlagen ebenfalls auf Medikamentenrückstände untersuchen lassen. Die Eutiner Anlage war auch in diesem Pilotvorhaben eingebunden. Unterm Strich steht bei beiden Forschungsprojekten: „Die gesetzlichen Vorgaben fehlen. Es muss ein Umdenken auf Bundes- und Landesebene stattfinden. Wir brauchen grüne Politik“, sagt Boris Sobotta. Es müsste Geld für Forschung lockergemacht werden, Anlagen müssten umgerüstet werden. „Über Gesetzesebene müssten Verbote von Stoffen in die Wege geleitet werden“, fordert Anja Kuhlmann. Sie weiß aber auch: „Für eine Substanz, die verboten wird, kommen zig andere schädliche nach.“ Von Ulrike Benthien