Eutin: Neuer Hüter für das Stadtarchiv gesucht

Das Dachgeschoss des Eutiner Rathauses mit über 8000 Akten, historischen Plänen und Zeichnungen ist 20 Jahre lang Rainer Millmanns Reich gewesen. Nun hört der Hüter des Stadtarchivs auf. Der 77-Jährige verabschiedet sich mit dem Appell an Verwaltung und Politik, „dem Gedächtnis der Stadt“ einen angemesseneren und sichereren Platz zu geben. Angst um das „Gedächtnis der Stadt“ im Falle eines Feuers: Wer ins Stadtarchiv will, muss in den dritten Stock des Rathauses steigen. Bei der letzten Treppe sollte besondere Vorsicht gelten. Barrierefreiheit wird hier oben immer ein Fremdwort bleiben. „Das ganze Haus ist ein Holzbauwerk. Wenn es hier mal brennt, ist das Archiv verloren“, sagt Rainer Millmann. Gleich drei Feuerlöscher hat er vorsichtshalber zwischen den Regalreihen deponiert. Sorge macht ihm auch, dass es im Sommer extrem heiß unterm Dach wird und die verschiedenen Papiere und Pappen leiden. „Die Naturtinten, die früher verwendet wurden, sind zudem lichtempfindlich“, sagt der Archivar, der mit Neid auf die Stadtarchive in Neustadt und Plön blickt. „Die Unterlagen werden in Eutin nicht so aufbewahrt, wie es erforderlich ist. Das Archiv ist zu klein, es gibt keinen Besucherraum“, zählt er die Missstände auf. Interessierte, die in Eutin Akten einsehen wollen, sitzen an einem kleinen Tisch mitten zwischen den Regalen und Schränken. „Ich kann sie aber nicht permanent im Auge haben“, sagt Rainer Millmann. Und so habe er bisweilen – manchmal erst viel später – feststellen müssen, dass Besucher Artikel ausgeschnitten oder ganze Seiten aus Akten herausgerissen hätten. Älteste Urkunden stammen aus dem Jahr 1256: „Dies ist das Gedächtnis der Stadt. Es wird stiefmütterlich behandelt“, findet Rainer Millmann. Einige der ältesten, auf Pergament abgefassten Urkunden aus dem Jahr 1256 hat er vorsichtshalber ins Landesarchiv nach Schleswig gebracht. Dazu zählt beispielsweise die, die die Erteilung der Stadtprivilegien wie das Marktrecht durch den regierenden Fürstbischof dokumentiert. Auch einige andere wertvolle Schriften aus dem 13. und 14. Jahrhundert hat Millmann nach Schleswig geschafft. Lesen Sie auch: Der Wochenmarkt: Hier gibt es immer Zeit für einen privaten Schnack Eutin - „Bedeutende Bürger sollten mit Gedenktafeln geehrt werden“ Die Tätigkeit als Stadtarchivar übt Rainer Millmann ehrenamtlich aus. Nach 40 Berufsjahren als Marineoffizier hat der gebürtige Berliner ein Versprechen seiner Frau gegenüber eingelöst: „Sie stammt aus Eutin. Wir haben uns kennengelernt, als ich vor vielen Jahren an der Marineunteroffiziersschule Plön war. Ich gehe überall mit dir hin, hat sie damals gesagt. Aber wenn du dich zur Ruhe setzt, gehen wir nach Eutin zurück. Und so war es.“ 20 Jahre im Eutiner Stadtarchiv: Im Jahr 2000 kam Rainer Millmann nach Ostholstein und suchte hier eine Beschäftigung. „Für Geschichte habe ich immer ein Faible gehabt“, schildert er. Die Einarbeitung im Stadtarchiv sei ihm leichtgefallen, „das ging innerhalb kürzester Zeit“. Seitdem verwaltet er alle Zeitungen seit dem Jahr 1847 bis heute, angefangen beim Anzeiger für das Fürstentum zu Lübeck. Er verwahrt alte Gerichtsprotokolle sowie Zeichnungen von Gemarkungen und Grundstücken der Stadt. „Bis 1870 gab es keine Straßennamen in Eutin, die Stadt war in vier Quartiere eingeteilt“, berichtet der Archivar. Auch Standesamtsnachweise seit 1869/70 (zuvor war das Kirchenarchiv in Gleschendorf zuständig) lagern in Eutin. Er habe noch die bekannten Heimatforscher Ernst-Günther Prüß und Klaus Langenfeld kennengelernt, „die viel dazu beigetragen haben, den Eutinern ihre Geschichte nahezubringen“, sagt Rainer Millmann. Im Eutiner Archiv habe auch der kanadische Historiker Professor Lawrence D. Stokes zu Eutin und seiner Rolle im Nationalsozialismus geforscht. Der Hamburger Literaturwissenschaftler Dr. Henry Smith stützte sich bei seinem Buchprojekt „Historische Häuser in Eutin“ auf Dokumente aus dem Stadtarchiv. Fundgrube für Schüler, Studenten und Familienforscher: „Die Heimatforscher sind zurzeit so gut wie ausgestorben. Aber es kommen häufig Schüler zu mir, die für Hausarbeiten Unterlagen einsehen, insbesondere aus der Zeit zwischen 1933 und 1945“, sagt Rainer Millmann. Auch viele Studenten aus Kiel nutzten den Eutiner Fundus, vor allem seitdem es dort den Lehrstuhl für Regionalgeschichte gebe. „Es ist schön, wenn man den jungen Leuten auf die Sprünge helfen kann“, findet der 77-Jährige. Die meisten Besucher, die ins Stadtarchiv kämen, seien private Familienforscher. Allerdings manchmal mit falschen Vorstellungen, sagt Rainer Millmann. Er nennt das Google-Vorstellungen: „Einen Begriff in den Raum werfen, und dann ist alles da.“ Nach 20 Jahren zwischen Tausenden von Akten sagt der Archivar nun: „Es reicht.“ Bei der Stadt liegen bereits mehrere Bewerbungen für seine Nachfolge vor. Wer sich dafür interessiert, könne sich aber noch beim Fachdienst Personal, Organisation und IT melden, sagt Stadtsprecherin Kerstin Stein-Schmidt. Von Ulrike Benthien