Fehmarn: So hielt der Bürgermeister die Stadt in der Corona-Krise zusammen

Es war ein ganz gewöhnlicher Sonntagnachmittag für Jörg Weber, als er am 15. März 2020 daheim auf dem Sofa saß und den Fernseher einschaltete. Der bis dahin entspannte Tag nahm eine jähe Wendung. Der Bürgermeister erinnert sich noch gut: „Ich sah in den Nachrichten, dass in Schleswig-Holstein die Inseln abgesperrt werden sollen.“ Zuerst habe er gar nicht glauben können, was er da hörte. Als Verwaltungschef hätte er davon doch schon längst wissen müssen. Dennoch stellte sich ziemlich schnell heraus, „dass es tatsächlich so war und ich nur nicht rechtzeitig informiert wurde“, berichtet Weber und wirkt dabei noch heute ein wenig fassungslos. Schon am nächsten Morgen sollte also die Zufahrt vom Festland über die Fehmarnsundbrücke abgeriegelt sein. Auch über den Fährhafen in Puttgarden durfte von da an niemand mehr auf die Insel. Die Sperrung war eine von vielen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus Sars-CoV-2, die die Kieler Landesregierung mit der ersten Corona-Verordnung erlassen hatte. Rechtsgrundlage für die Verordnung war das Infektionsschutzgesetz. „Das war schon eine skurrile Situation“: So mussten also schleunigst Grenzposten sowie Ausnahmeregelungen für Berufspendler her – und nicht zu vergessen: Auch die Bürger mussten umgehend informiert werden. So trommelte Weber noch am Sonntagabend alle Mitarbeiter zur ersten Krisensitzung zusammen. Mit dabei waren die Gemeindeverwaltung, die Wasserschutzpolizei und die Feuerwehr. „Das war schon eine skurrile Situation. Die Sperrung der ganzen Insel ist gar nicht so leicht zu organisieren“, sagt Weber rückblickend. Am Anfang waren viele Fragen offen: Wie ist es mit den Zügen? Wer führt die Kontrollen durch? Wie wird die Arbeit fortgesetzt? Das Krisenmanagement erforderte laut Weber eine große Umstrukturierung, alle mussten plötzlich überall mit anpacken. „Wir hatten von heute auf morgen ganz andere Aufgaben zu erledigen“, so der Bürgermeister. Und das ohne Schulungen, ohne Vorbereitung. Am 16. März 2020 ist es soweit: Um 6 Uhr morgens werden alle Inseln Schleswig-Holsteins abgeriegelt, darunter auch Fehmarn. Wer auf die Insel will, benötigt eine Genehmigung. Ausgenommen sind Personen, die auf Fehmarn arbeiten, die medizinische, geburtshelfende und pflegerische Versorgung sicherstellen oder Waren anliefern. Außerdem darf auf die Insel, wer aufgrund eines Verwandtschaftsverhältnisses ersten Grades, als Ehegatte oder Lebenspartner einen Bewohner mit erstem Wohnsitz auf der Insel pflegt. Alle Urlauber müssen abreisen. Die Polizei kontrolliert fortan an der Fehmarnsundbrücke, wer auf die Insel kommt. Nach rund vier Wochen Sperrung berichten die Beamten, dass täglich zehn bis 15 Autofahrer abgewiesen werden. Auf der Insel ist es inzwischen leer – keine Touristen und geschlossene Geschäfte. Die knapp 13 000 Einwohner sind wochenlang allein unter sich. Erst Anfang Mai darf Fehmarn seine Grenze wieder öffnen. Da Touristen in Gebieten an der Nordseeküste sowie in Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor verboten sind, reisen zahlreiche Urlauber über Himmelfahrt und Pfingsten nach Fehmarn. Mit ihnen kehrt auch das bunte Treiben auf der Insel zurück. Viele Leute haben freiwillig mitgeholfen: Kurzfristig habe er über 40 Homeoffice-Plätze samt Technik für seine Angestellten eingerichtet und einen Schichtdienst in sämtlichen Ämtern eingeführt. Das nötige Equipment kaufte die Gemeinde direkt auf Fehmarn, um den Einzelhandel zu unterstützen. „So haben wir das Geld immerhin auf der Insel gelassen“, erinnert sich Weber. Noch heute ist er stolz auf diese Entscheidung. Stolz ist er aber auch auf seine Mitarbeiter. „Es gab nicht einen Tag, an dem ich jemanden verpflichten musste“, sagt er. „Leute aus allen Fachbereichen haben sich freiwillig beteiligt und mitgeholfen.“ An die Einhaltung von Arbeitszeiten und ein freies Wochenende sei dabei in den ersten Wochen des Lockdowns oft nicht zu denken gewesen. Weber und seine Kollegen richteten Bürger-Hotlines ein, hielten Videokonferenzen ab und unterstützten die Polizei bei den Grenzkontrollen. Hand in Hand schafften sie es, die Herausforderungen zu meistern. Ein Bürgerbrief mit Fingerspitzengefühl: Die Aufgaben eines Bürgermeisters beschränken sich aber nicht nur auf die Organisation von Verwaltungsangelegenheiten. „Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass mir der Kontakt zu den Bürgern fehlt“, erzählt Weber. Normalerweise sei er viel in der Stadt unterwegs, ob auf öffentlichen Veranstaltungen oder auf der Straße. Dabei tausche er sich regelmäßig mit den Menschen aus und erfahre so, was sie bewegt. Im Lockdown war das plötzlich nicht mehr möglich. Doch Weber hatte eine Idee: „Ich habe mich dazu entschieden, einen Bürgerbrief zu schreiben, den ich dann in den Tageszeitungen und sozialen Medien veröffentlicht habe“, berichtet er. So erfuhren die Bürger wöchentlich aus erster Hand, was in den vergangenen Tagen geschehen ist und was in den folgenden ansteht. Dafür habe er viel positives Feedback bekommen. Ein wenig Vorsicht brauchte es dennoch: „Man muss ganz viel Fingerspitzengefühl beweisen, weil man nicht auf Nachfragen oder falsche Vermutungen reagieren kann“, erklärt der Bürgermeister. „Ganz schlimm war es mit Beerdigungen“: Wenn Weber nicht gerade seinen Bürgerbrief verfasste, konferierte oder am Kontrollposten vor Ort war, beantwortete er die persönlichen Anfragen der Fehmaraner – Wie versorge ich mich und meine Familie? Wer darf mich besuchen? Wie kann ich Ostern feiern? „Ganz schlimm war es mit Beerdigungen“, erzählt Weber bedrückt. Viele Leute hätten ihn um Sondergenehmigungen gebeten, damit Familienangehörige zur Beisetzung eines Verstorbenen auf die Insel dürfen. Diese konnte aber nur der Kreis Ostholstein in Eutin erteilen. Zudem bekam Weber zahlreiche Nachrichten von Gewerbetreibenden, die mit Existenzängsten kämpften. „Dass ich ihnen nicht helfen konnte, ist mir sehr nahe gegangen“, bedauert er. 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Gekippt sei die Gemütslage einiger Leute erst, als die Grenze im Mai wieder geöffnet wurde. „An Pfingsten wurden wir regelrecht überrollt“, so Weber. Viele Menschen hätten deshalb Angst gehabt. Ortskontrollen, Beschilderungen und Höhenbegrenzungen auf Parkplätzen sollten den Touristenansturm im Sommer unter Kontrolle halten. „Trotzdem hat man gerade in den sozialen Medien gemerkt, dass der Ton etwas rauer wurde.“ Erst gen Herbst entspannte sich die Lage allmählich, seit Beginn des Teil-Lockdowns ist es wieder sehr ruhig geworden. „Wir hatten eben kein Corona-Handbuch“: Über die Frage, was er aus der Krise mitnimmt, muss Weber eine Weile nachdenken. Dann antwortet er mit einem Schmunzeln: „Vieles.“ Einerseits habe er gesehen, dass er sich auf seine Mitarbeiter immer verlassen könne. „Sie sind da, wenn ich sie brauche.“ Denselben Zusammenhalt beobachtete er auch in der Bevölkerung. Die Solidarität habe ihn beeindruckt. „Es kamen viele gute Impulse. Wir haben uns alle gegenseitig unterstützt.“ Durch den ständigen Austausch sei zudem die Zusammenarbeit von Behörden, Polizei und Feuerwehr gewachsen. „Davon werden wir auch in Zukunft profitieren.“ Schließlich fügt er noch eine wichtige Erkenntnis hinzu: „Es gibt immer noch Dinge, die uns überrollen können, die nicht planbar sind.“ Das habe das Krisenmanagement zu einer besonders großen Herausforderung gemacht. „Wir hatten eben kein Corona-Handbuch.“ Von Rabea Osol