Leise melodische Klänge füllen den Raum. Martina Zühlke lädt die fünf Männer, die auf Yogamatten vor ihr sitzen, zu einer Reise ein, eine Reise an einen imaginären Strand, wo sie alles Negative mit der Ausatmung dem Meer übergeben und alles Positive einatmen können. Einen solchen Strand werden einige der Teilnehmer für längere Zeit auch weiterhin nur in ihrer Fantasie besuchen können: Sie sind Straftäter, die in der Neustädter Forensik der Ameos Klinik untergebracht sind. Und sie machen Yoga.
Seit einem Jahr bietet Yogalehrerin Martina Zühlke die Kurse für die Patienten der Forensik an. Von den sieben Bewohnern der Station 12 nutzten bisher fünf — zum Teil in wechselnder Besetzung — regelmäßig das Angebot. Mit psychisch kranken Straftätern zu arbeiten, habe ihr keine Angst gemacht, sagt Zühlke. „Es hat weder anzügliche Bemerkungen noch Blicke gegeben.“ Die Teilnehmer hätten sich sehr respektvoll verhalten und seien eher schüchtern gewesen. Die anfängliche Distanz sei mittlerweile einem lockeren und zum Teil auch heiteren Umgang miteinander gewichen.
Was Zühlke bislang nicht wusste: Die Erfahrungen ihres wöchentlichen Yogatrainings werden von der Klinik ausgewertet. „Die Ergebnisse haben uns überrascht“, gibt Dr. Peter Bürkle, Chefarzt der Forensischen Psychiatrie unumwunden zu. Deutliche Verbesserungen hätten die Patienten in punkto körperlicher Beschwerden und emotionalen Belastungen bei sich ausgemacht. Eine leichte Verbesserung sei auch bei der Fitness zu verzeichnen gewesen. Das Yoga habe zu einer verbesserten Selbstwahrnehmung geführt, die wiederum Grundlage für einen besseren Umgang mit sich selbst und anderen Voraussetzung sei. Bürkle: „Yoga hat zu einer besseren Bewältigung des oftmals stressigen Alltages im Maßregelvollzug beigetragen, wobei die Ursachen für den Stress in der Regel im Verhalten des Patienten selber liegen.“
Dass es hierbei nicht um ein „Wellness-Angebot für Straftäter“ geht, hebt Kliniksprecher Jan Dreckmann hervor: Mit der Bereitschaft, durch das Yoga die Achtsamkeit auf die Vorgänge im eigenen Körper und Geist zu lenken, stiegen auch die Chancen, eine Offenheit für weiterreichende Therapieformen zu erzielen, so Dreckmann.
Auch Peter Bürkle betont, dass Yoga lediglich „ein Mosaikstein“ unter vielen bei der Behandlung der Patienten sei: „Ohne medikamentöse Behandlung und ein breit gefächertes Therapieangebot ist eine Heilung alleine durch Yoga natürlich nicht denkbar.“
Das weiß auch Stephan G. (Name von der Redaktion geändert). Von Beginn an bei den Yogastunden dabei, wird der junge Mann derzeitig auf seine Entlassung aus der Forensik vorbereitet. Yoga, sagt er, mache ihm einen Riesenspaß. Es habe nicht nur seine Rückenbeschwerden gelindert und seine Beweglichkeit verbessert, sondern ihm auch geholfen sich „runterzuregeln“. Yoga mache er deshalb auch außerhalb der Übungsstunden von Martina Zühlke, auch wenn „es angeleitet mehr Spaß macht“. Er weiß jedoch auch: „Ohne meine Medikamente geht es nicht.“
Thomas Klatt