Johannistal in Ostholstein: Spargelbauer in Sorge wegen AKW-Schutt

Auch nach der dritten Video-Konferenz binnen Wochenfrist zum strittigen Thema „AKW-Bauschutt nach Johannistal“ bleiben die Fronten zumindest zwischen direkt Betroffenen und Landesumweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) verhärtet. Zankapfel ist weiterhin der aus Kiel versandte Entwurf einer Zuweisung von bis zu 7000 Tonnen freigemessenem Abfall aus der ersten Phase des Atomkraftwerks-Rückbau in Brunsbüttel auf die von der Gollan-Gruppe betriebene Deponie in Gremersdorf. Nach dem anderthalbstündigen öffentlichen Zoom-Meeting, das in der Spitze von 35 Teilnehmern verfolgt wurde und von den ostholsteinischen Nord-Verbänden der SPD angestoßen worden war, bilanzierte Burkhard Klinke: „Es war uns leider klar, dass der Minister von seiner Position nicht abrückt. Aber immerhin ist uns der erste Schritt dahingehend gelungen, dass auch Nicht-Funktionsträger Infos aus erster Hand erhalten konnten.“ Der Kreistagsfraktionschef der Sozialdemokraten merkte an: „Bleibt zu hoffen, dass Herr Albrecht nun auch in einen echten Bürgerdialog eintritt – und etwa Handzettel oder Info-Flyer an betroffene ältere Bürger verteilt, die nicht im Internet unterwegs sind.“ Für Paul Hay war Letzteres nebensächlich. Der 48-Jährige aus dem Ortsteil Kembs, gut einen Kilometer von der Deponie Johannistal entfernt, war nach der privaten Video-Schalte ziemlich bedient. Er fühlt sich als Alteingesessener der von seiner Familie seit über 300 Jahren betriebenen Landwirtschaft verpflichtet und betreibt mit seiner Frau Theda (44) neben „normalem“ Ackerbau auf insgesamt gut 460 Hektar auch einen Spargelhof nebst Erdbeer- und Kartoffelverkauf. Aussetzung der Zuweisung im Schulterschluss gefordert: Als CDU-Vertreter und stellvertretender Bürgermeister hatte Hay in der Vorwoche bereits einen ähnlichen „informellen Austausch“ mit Albrecht auf digitaler Ebene miterlebt. Und danach hatte sich die Gremersdorfer Gemeindevertretung im Schulterschluss mit Heiligenhafens Bürgermeister Kuno Brandt vehement für ein Aussetzen der parteiübergreifend ungewollten Zuweisung ausgesprochen. „Situation mit strahlendem Abfall wird völlig verharmlost“: Jetzt, nach dem Zuklappen des Laptops am heimischen Esstisch, grollte er: „Ich habe keine neuen Erkenntnisse gewonnen. Die Situation mit dem strahlenden Abfall aus Brunsbüttel wird weiter völlig verharmlost. Zum einen traue ich der Freimessung nicht über den Weg, zum anderen ist völlig offen, was nach der ersten Phase passiert, wenn die ersten 7000 Tonnen hier bei uns abgelagert sind.“ Der Spargelbauer vermutet: „Die Zuweisung an Johannistal ist kein Zufall, sondern Kalkül: Man hofft, hier bei uns in der strukturschwachen Region auf den geringsten Widerstand zu stoßen.“ Die Frist für die Stellungnahme zum im Januar versandten Zuweisungs-Entwurf ist auf Wunsch des Deponie-Betreibers in Johannistal bis zum 9. März verlängert worden. In Abstimmung mit der Gemeinde Gremersdorf ist die Gollan-Gruppe dabei, Rechtsmittel zu prüfen, um sie fristgemäß gegen die „Zwangsbelieferung“ einlegen zu können. In Lübeck, das auf der Deponie Niemark gegen seinen erklärten Willen 12 500 Tonnen freigemessenen AKW-Schutt aus Brunsbüttel aufnehmen soll, wurde von der Bürgerschaft mit der Mehrheit von SPD, CDU, Freien Wählern, Linken und GAL eine mit 90 000 Euro veranschlagte, repräsentative Bürgerbefragung auf den Weg gebracht. Dort wehrt sich auch eine Bürgerinitiative „Lübeck ohne Atomschutt“ mit einer Unterschriftensammlung, Demos und Aufklebern gegen die Zuweisung. Umweltminister vertraut auf „Zehn-Mikrosievert-Konzept“: Das sah und sieht der Grünen-Minister natürlich anders. Auch in seiner dritten Ostholsteiner Video-Runde hatte Albrecht – wie zuletzt auch im Kreistags-Umweltausschuss – immer wieder beteuert, dass nicht recycelbare, freigemessene AKW-Schuttreste eine von externen Sachverständigen attestierte maximale Strahlenbelastung von lediglich zehn Mikrosievert hätten. Diese Dosis würde sich nach fachgerechter Ablagerung auf der Deponie auch nicht erhöhen und sei gesundheitlich unbedenklich – „zumal selbst Trinkwasser mit 100 Mikrosievert strahlen darf und jeder Mensch strahlt“. Lesen Sie auch AKW-Schutt nach Johannistal: Weiter Frust trotz verlängerter Anhörungsfrist AKW-Bauschutt: Kieler Umweltminister teilt gegen Lübecker Politiker aus AKW-Bauschutt soll nach Ostholstein kommen „Keine Entscheidung, von der man zurücktreten kann“: Was der Umweltminister gegenüber der kritischen Zoom-Gemeinde ebenfalls erneut hervorhob: Die mangels Freiwilligkeit erforderlich gewordene Schutt-Zuweisung an die Deponie Johannistal und auch an Lübeck (Niemark soll 12 500 Tonnen aufnehmen) „ist ein verwaltungsrechtlicher Vorgang und keine politische Entscheidung, von der man wieder zurücktreten kann“. Albrecht verdeutlichte: „Ich verstehe Ihre Fragen und Ängste, bin aber dazu gezwungen, bundesrechtliche Vorgaben einzuhalten.“ Insofern sah sich auch Paul Hay genötigt, seinen Frust nach dem Ausloggen noch einmal klar zu äußern und stellte unzweideutig – als Privatmann wie als Gemeindevertreter – klar: „Wir fühlen uns in unserer Existenz bedroht und wollen in unserer eigentlich gesunden Küstenregion keinen strahlenden Schutt ablagern lassen – schließlich hat man ja schon 2016 vergeblich versucht, uns das Ganze als lecker Brot zu verkaufen.“ In Gremersdorf und Umgebung sei man sich einig darüber, dass „das Thema auch coronabedingt zumindest so lange auf Eis gelegt wird, bis dazu im Sommer wieder eine große Präsenzveranstaltung vor Ort stattfinden kann“. Von Andreas Oelker