Lockdown-Lockerungen: Tourismus-Orte bewerben sich als Modellprojekt

Als das Kieler Wirtschafts- und Tourismusministerium verkündete, ausgewählten Bewerbern als „touristische Modellprojekte“ ab dem 19. April zu Lockdown-Lockerungen mit Blick auf Beherbergungs- und Gastronomie-Angebote verhelfen zu wollen, gab’s an der Ostseeküste zumeist positive Reaktionen. Schließlich lastet speziell auf den Betrieben an der Lübecker Bucht nach dem ersten Corona-Jahr ein enormer wirtschaftlicher Druck. So feilt man jetzt auch von Niendorf bis Grömitz sowie in Heiligenhafen und Weissenhäuser Strand angesichts der am 7. April endenden Bewerbungsfrist an den Bewerbungsmappen. Doch nach Studium der umfangreichen Konzept-Vorgaben haben sich einige Interessenten nach Abwägung von Chancen und Risiken entschlossen, kein „Modell“ werden zu wollen. Fehmarn verzichtet nach mehrtägiger Diskussion: Dazu gehört die Insel Fehmarn mit 30 000 Übernachtungseinheiten und 12 800 Einwohnern. Tourismus-Chef Oliver Behncke konstatiert: „Nach mehrtägiger Diskussion und etlichen Beratungsrunden haben sich die Fraktionen in der Stadtvertretung jetzt doch mehrheitlich gegen eine Bewerbung entschieden.“ Maßgeblich dafür sei das auch ohne zusätzliche Anreize zu erwartende, starke Aufkommen von Tagesgästen sowie die pandemische Gesamtlage. Zu viele offene Fragen für Kellenhusen und Dahme: Auch sein Kellenhusener Kollege Raymond Kiesbye bekennt: „Es gibt zu viele offene Fragen mit Blick auf das Testregime, die wissenschaftliche Dokumentation und die Kontrollmechanismen, die in fünf Werktagen nicht zu klären sind.“ Auch wegen zu hoher Belastungen und Anforderungen für die Betriebe sehe man in Abstimmung mit Dahme von einer Bewerbung ab. Dessen Bürgermeister Dieter Knoll (CDU) merkt an: „Als kleinerer Ort mit 1300 Einwohnern haben wir bei 1100 Camping-Stellplätzen und 2500 Ferienwohnungen nicht die Manpower für all die Testungen und Kontrollen.“ Man dürfe „keine Effekthascherei“ betreiben, sondern müsse sich um einen verantwortungsvollen, der Corona-Lage angemessenen, verantwortungsvollen Tourismus und die Einrichtung eines eigenen Testzentrums bemühen. Auch Großenbrode muss abwinken: Auch Großenbrode winkt ab. Bürgermeister Jens Reise (CDG) betont: „Wir haben schon genug damit zu tun, unsere 2200 Einwohner demnächst im Meerhuus mit Impfungen und Tests zu versorgen. Außerdem gibt es bei uns 1300 Zweitwohnsitze und Ferienwohnungen, über 300 Camping-Stellplätze, von denen 80 Prozent dauerverpachtet sind, und 1000 Bootsliegeplätze.“ Es sei fraglich, „ob dafür überhaupt genügend Test-Sets verfügbar sind“. Touristik-Chef Ubbo Voss fügt hinzu: „Unsere Infrastruktur ist mit diesem umfangreichen Konzept überfordert – zumal man nicht weiß, ob sich das Thema angesichts steigender Inzidenz nicht von selbst erledigt.“ Grömitzer Hotel Strandidyll steht Gewehr bei Fuß: Auch in Grömitz mit seinen 15 000 Urlauber-Betten – davon 13 000 in privater Obhut – gibt es vor allem Zweifel an der Praktikabilität der Massentests. So rechnet Olaf Dose-Miekley, Geschäftsführer des Hotels Strandidyll mit 60 Zimmern und Suiten sowie 112 Ferienappartements, vor: „Bei einer 50-prozentigen Belegung im Ort kommen wir inklusive der für Restaurantbesuche obligatorischen Nachweise auf gut 20 000 Tests pro Woche. Zu denen gesellen sich noch mehrfache Tests für 2000 Mitarbeiter in Gastronomie und Hotellerie sowie für unsere 8000 Einwohner und Tagesgäste.“ Trotzdem stellt der Hoteldirektor klar: „Man muss sich die Mühe einer Bewerbung machen. Wir stehen Gewehr bei Fuß.“ Im dreiseitigen „Konzept zur Durchführung touristischer Modellprojekte in Schleswig-Holstein“ stehen das Testen und die Kontaktnachverfolgung im Fokus. Unter anderem wird in Punkt 4 gefordert: Die Bewerber haben darzulegen und zu gewährleisten, dass sämtliche Gäste von Beherbergungsbetrieben a) bei Anreise einen negativen Antigen-Schnelltest oder PCR-Test nachweisen müssen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf, b) in einem Zeitraum, der mit dem jeweils zuständigen Gesundheitsamt abgestimmt ist, nach Ankunft am Beherbergungsort eine weitere Testung vor Ort oder in der näheren Umgebung mittels Antigen-Schnelltest, PCR-Test oder einen begleiteten Selbsttest vornehmen . . . d) ggfs. vor jedem Besuch des Innenbereichs eines gastronomischen Betriebes das negative Ergebnis eines Antigen-Schnelltests oder PCR-Test oder begleiteten Selbsttests als Zugangskriterium vorlegen, der nicht älter als 24 Stunden sein darf, wobei die Testung am Urlaubsort oder in dessen Nähe gewährleistet sein muss, e) entsprechende Testergebnisse auch zur Nutzung bestimmter, von den Bewerbern zu definierender privater oder kommunaler Einrichtungen, als Zugangserfordernis vorzulegen haben... Zudem muss „ein umfassendes, praktikables, die Kapazitäten der Bürgertests nicht belastendes Gesamttestkonzept vorgelegt werden, das die Beherbergungs- und Tagestouristen, die Beschäftigten der touristischen Betriebe und die einheimische Bevölkerung einbezieht“. Laut Punkt 5 haben Bewerber „darzulegen, wie eine IT-gestützte Kontaktnachverfolgung in sämtlichen Beherbergungsbetrieben, gastronomischen Betrieben und weiteren öffentlichen Einrichtungen gewährleistet und eine ggfs. vorzunehmende Weiterleitung der Daten an die örtlichen Gesundheitsämter sichergestellt werden soll“. „Selbst bei Nichtberücksichtigung nichts zu verlieren“: Dazu erklärt Jacqueline Felsmann, Marketing-Leiterin des Grömitzer Tourismus-Service: „Wir bewerben uns mit den Ortsteilen Lenste, Lensterstrand und Cismar und hoffen, dass unser Konzept nach Gegencheck und etwaigen Korrekturvorschlägen seitens Dehoga, Gewerbeverein, politischer Gremien und Ordnungsamt in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt am Dienstag nach Kiel geschickt werden kann.“ Man könne selbst bei einer Nichtberücksichtigung „nichts verlieren, sondern gegebenenfalls später auf so ein Konzept zurückgreifen.“ Bewerbung im Schulterschluss von Niendorf bis Neustadt: André Rosinski spricht als Vorstand der Tourismus-Agentur Lübecker Bucht (Talb) für den größten Ostholsteiner Modellprojekt-Anwärter, da sich die für Scharbeutz, Haffkrug, Sierksdorf und Neustadt „zuständige“ Talb in Kooperation mit der benachbarten Timmendorfer Strand Niendorf Tourismus GmbH bewerben wird. Somit können Betriebe von Niendorf bis Neustadt (inklusive Pelzerhaken und Rettin) mit ihren Gästen auf Lockdown-Lockerungen hoffen. Neustadts stellvertretender Bürgermeister Sebastian Schmidt (CDU) betont: „Das modellhafte Wiederhochfahren des Tourismus kann zum notwendigen Befreiungsschlag für die heimische Wirtschaft führen.“ „Wir setzen auf Strandampel, Luca-App und das UKSH“: Rosinski sagt: „Wir haben im Vorjahr auch als Zielort speziell von Tagesgästen aus Richtung Hamburg und dem Umland schon gute Erfahrungen mit Strandticker und Strandampel gesammelt. Jetzt setzen wir auch auf die Luca-App und die wissenschaftliche Projektbegleitung durch das UKSH.“ Angesichts von insgesamt 27 000 Betten glaubt er: „Da wir bereits mehrere Teststationen in Timmendorf, Scharbeutz und Neustadt in Betrieb haben und ausbauen könnten, sollte der Andrang unter Einbeziehung kontrollierter Selbsttests in gewerblichen Unternehmen zu bewältigen sein.“ Lesen Sie auch Corona in Ostholstein: Luca-App geht an den Start Trotz Merkel-Kritik: Schleswig-Holstein hält an Modellprojekten im Tourismus fest Ostern im Strandkorb: Wo die Saison an der Küste beginnt Heiligenhafen: „Es wäre fahrlässig, sich nicht zu bewerben“: Ähnlich wird die Bewerbungslage in Heiligenhafen beurteilt. Touristikleiter Manfred Wohnrade berichtet: „In Abstimmung mit der Stadt sind wir jetzt im Team des Tourismus-Service dabei, eine Bewerbung vorzubereiten und die notwendigen Unterlagen und Nachweise zusammenzustellen.“ Die Hürden seien sehr hoch, aber da man in den letzten Monaten schon viele Punkte zur Testung und Gästeregistrierung abgearbeitet habe, „kommen uns diese Vorarbeiten jetzt zugute“. Für den stellvertretenden Bürgermeister Folkert Loose (CDU) „wäre es fahrlässig und für unsere Wirtschaft unverständlich, sich nicht zu bewerben.“ Weissenhäuser Strand adaptiert Konzept aus der Schublade: Als Geschäftsführer der Ferienparks Weissenhäuser Strand (3600 Übernachtungseinheiten) hofft David Depenau: „Wir profitieren bei unserer Bewerbung eventuell von der Einzellage und hatten das mit der Gemeinde Wangels abzustimmende Konzept als Adaption aus dem Vorjahr ja quasi schon in der Schublade liegen.“ Von Andreas Oelker