Lockdown in Eutin: Einzelhändler wollen Geschäfte öffnen

Warum dürfen Blumenläden und Gartenbaucenter öffnen? Und warum dürfen Lebensmittelmärkte typische Produkte des Einzelhandels verkaufen, der jedoch auch nach dem 1. März weiter geschlossen bleiben muss? Für die Wirtschaftsvereinigung Eutin (WVE) ist das Maß nach den jüngsten Beschlüssen der Politik voll. „Eine große Ungerechtigkeit“ konstatiert ihr 1. Vorsitzender Hans-Wilhelm Hagen. WVE-Chef: Kritik an 35er-Inzidenz für Einzelhandel: „Die kleinen Einzelhändler im Mittelstand beschäftigen viele Mitarbeiter“, erinnert Hagen. „Und vor allem, sie bilden aus. Das sollte man nicht vergessen.“ Ihm ist völlig unverständlich, warum der Einzelhandel im Norden jetzt erst bei einer Inzidenz von unter 35 wieder Kunden empfangen darf statt bei unter 50 wie bislang vorgesehen. „Warum können nicht ein oder zwei Kunden in einen Laden kommen?“, fragt sich nicht nur der WVE-Chef. Lesen Sie auch Corona-Regeln missachtet: Bußgelder für Hunderte Bürger in Ostholstein Eutin: Aufklärungsbataillion bewältigt die Corona-Amtshilfe SH: Wie sich die Corona-Krise auf die Arbeit auswirkt Stefan Knorr (Weingeist Eutin) verweist auf eine Verordnung, die besagt, dass Supermärkte keine fremden Dinge listen sollten. Die werde aber beispielsweise zum Valentinstag komplett unterlaufen, indem Discounter Blumensträuße offerierten und das auch noch flächendeckend bewerben würden. Sylke Becker („Hygge 14“) beklagt, dass in anderen Lebensmittelmärkten Non-food-Bereiche nicht abgeflattert seien und „sich da jede Menge Leute tummeln“. In wieder anderen lägen direkt vor dem Kassenbereich Herren-Sweatshirts. „Da wird der Textilbereich im Discounter abgefertigt“, sagt Sylke Becker, „ich fühle mich von den Beschlüssen veräppelt.“ Kunden und Geschäftsleute sind frustriert: „Es gibt Hygienekonzepte. In kleinen Läden sind sie viel besser zu überprüfen als in großen“, sagt Stefan Knorr. Regine Mix, Inhaberin von „Cable Car Clothiers“, sagt: „Uns wäre ja schon geholfen, wenn wir einen Kunden zurzeit in den Laden lassen dürften. Jetzt stehen die Kunden draußen und möchten kaufen, können aber nicht. Das ist für sie frustrierend und für uns gleich doppelt.“ WVE-Vorstandsmitglied: Ausgleichszahlungen bleiben aus: Eine mangelnde Perspektive beklagt Tim Phillip Dreyer, WVE-Vorstandsmitglied und Inhaber des Herrenmodegeschäftes „piconaja men“. „Für uns ist kein Öffnungsdatum in Sicht. Und ich kenne keinen einzigen Kollegen, der schon Ausgleichsgelder erhalten hat. Es gibt doch Überbrückungshilfen – dann müssen die auch mal ausgezahlt werden“, fordert er. Click & Collect, von der WVE auf ihrer Internetseite ( www.wv-eutin.de ) als Shopping-Möglichkeit im Lockdown beworben, sei die einzige Möglichkeit, derzeit Kontakt zum Kunden herzustellen, so Hans-Wilhelm Hagen. „Wenn das erlaubt ist, warum ist dann nicht auch gestattet, dass ein einzelner Kunde in den Laden kommt und Kleidung anprobiert?“ Bei Click & Collect gebe ich ja Sachen zur Auswahl mit, und der Kunde kommt zum Bezahlen oder zur Rückgabe wieder vorbei. Dabei gibt es ja Doppelkontakt. Das verstehe ich nicht“, sagt Tim Phillip Dreyer. Er habe seit dem 16. Dezember „fast keine Umsätze, aber einige schlaflose Nächte“ gehabt, berichtet er und ist enttäuscht: „Wir bekommen keine Unterstützung.“ Regine Mix sagt: „Wir wollen einfach nur Geschäfte machen und nicht dem Staat auf der Tasche liegen.“ Dem Einzelhandel werde doppelte Last aufgebürdet, findet Birgit Hamann („Individuelle Strandkörbe“), „denn wir müssen private und gewerbliche Ladenmieten wuppen. Ministerpräsident Daniel Günther sollte sich mal dafür einsetzen, dass uns die Vermieter entgegenkommen.“ „Ich bin ein Eutiner“: Festspiele stiften Einkaufstaschen: Hans-Wilhelm Hagen ruft alle Betriebe in Eutin auf, sich für die Click-&-Collect-Aktion auf die Homepage der WVE setzen zu lassen. „Auch damit setzen wir ein Zeichen, dass wir gemeinsam handeln“, sagt er. Den Ausdruck von Verbundenheit werden Händler und Kunden auch dank der Eutiner Festspiele vermitteln. Geschäftsführer Falk Herzog schenkt der WVE 10 000 Papiereinkaufstaschen. Sie sind mit einem Carl Maria von Weber-Bildnis des Hamburger Künstlers Johannes Nawrath im Stil von Andy Warhol bunt bedruckt und tragen die Aufschrift: „Ich bin ein Eutiner“. „Die Taschen sollten in der Spielzeit 2020 für Jubiläumsveranstaltungen zur 200. Wiederkehr des Weber-Konzerts in Eutin und der Uraufführung der Oper ,Der Freischütz’ genutzt werden“, sagt Falk Herzog. „Vielleicht motiviert der Slogan, bewusst in Eutin einzukaufen.“ In einer Videokonferenz am Dienstag, 16. Februar, von 17 bis 18.30 Uhr können Einzelhändler mit Fachleuten der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck über deren Gespräche mit der Politik und ihre aktuellen Stufenpläne in der Corona-Pandemie diskutieren. Mehr Infos über die WVE unter https://wv-eutin.de/. Von Ulrike Benthien