Malente: Bewährung für den Lkw-Fahrer nach Tod einer Radfahrerin

Um das schreckliche Ende einer fröhlichen Radtour ging es am Dienstag vor dem Amtsgericht Eutin: Wegen fahrlässiger Tötung musste sich dort ein Lkw-Fahrer verantworten. Er hatte in Malente beim Überholen eine Radfahrerin mit seiner Sattelzugmaschine touchiert. Die 56-jährige Ostholsteinerin stürzte und starb später an schweren Kopfverletzungen. Der Fahrer wurde zu sechs Monaten auf Bewährung und 3000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, darf seinen Führerschein aber behalten. Beide E-Bike-Fahrerinnen trugen Helme: Es soll eine schöne Tour werden an diesem Donnerstag im Juni 2020: Anja M. (56) und ihre Schwägerin Petra M. (57, Namen geändert) radeln zu einem Obsthof nahe Malkwitz, wollen dann mit ihren E-Bikes über Malente Richtung Bosau weiterfahren. Die beiden Ostholsteinerinnen sind versierte Fahrradfahrerinnen, nehmen sich gern auch längere Strecken vor und tragen Helme. Sie radeln mitten durch Malente, Anja M. vorneweg, die Schweizer Straße entlang, dann die Lütjenburger Straße. Einen Radweg gibt es dort nicht. Hinter ihnen nähert sich ein Lkw, überholt die Frauen kurz hinter der Ampel an der Kellerseestraße. Auf Höhe des Discounters in der Lütjenburger Straße verengt sich die Straße, die Sattelzugmaschine schert wieder ein, zu früh – das Heck trifft Anja M. Sie stürzt auf die Straße, erleidet trotz ihres Helms schwere Kopfverletzungen. Ein Rettungshubschrauber bringt die 56-Jährige in die Lübecker Uniklinik. Dort stirbt Anja M. vier Tage später. Anklage gegen Lkw-Fahrer: „Er hätte nicht einscheren dürfen“: „Fahrlässige Körperverletzung“ lautet die Anklage gegen den osteuropäischen Lkw-Fahrer, den 53-jährigen Milosz R. (Name geändert), vor dem Eutiner Amtsgericht. Er hätte erkennen müssen, dass er die Radfahrerin noch nicht ausreichend überholt hatte, trägt Staatsanwältin Sabine Schuchard vor, „und er hätte an dieser Stelle nicht einscheren dürfen“. Er habe den Unfall gar nicht bemerkt, lässt Milosz R. über seinen Verteidiger erklären: „Ich habe nichts mitbekommen.“ Tatsächlich hat der Lkw-Fahrer nach dem Unfall nicht angehalten, die Polizei suchte tagelang nach Fahrzeug und Fahrer, unter anderem auch mit öffentlichen Zeugenaufrufen. Ja, er wähle diese Strecke öfter, wenn er Richtung Stade wolle, räumt Milosz R. ein, „aber nicht immer“. Er streite nicht ab, den Unfall verursacht zu haben, sagt er zu Prozessbeginn, doch er könne nicht etwas gestehen, von dem er nicht genau wisse, ob er es getan habe. Das Unfallopfer hinterlässt drei Kinder und drei Enkel: Petra M. hat bei dem Unfall einen Schock erlitten, erinnert sich nicht mehr an alles. „Der Lkw fuhr zunächst sehr dicht hinter uns“, berichtet sie tieftraurig vor Gericht. „Ich dachte noch: Der sitzt mir gleich im Fahrradkorb.“ Dann habe der Lkw sehr, sehr eng überholt. „Meine Erinnerung setzt dann wieder ein, als Anja auf der Straße lag“, erklärt Petra M. mit Tränen in den Augen. „Ich weiß nicht, wie sie gefallen ist, und ich weiß nicht, wie ich zu ihr gekommen bin.“ Aus dem Zuschauerbereich verfolgt die Tochter des Unfallopfers den Prozess, auch sie ist erschüttert. Anja M. hinterlässt insgesamt drei Kinder und drei Enkel. Präzise sind die Angaben eines 59-jährigen Autofahrers, der am Unfalltag hinter dem Lkw durch Malente fuhr. „Nach der Ampel hat der Lkw zum Überholen angesetzt“, sagt der Zeuge, „und dabei hat er die Linksabbieger-Spur des Gegenverkehrs genutzt.“ Der Abstand zur hinter Anja M. radelnden Petra M. sei noch verhältnismäßig groß gewesen. „Aber dann wird die Straße ja enger, und ich habe gesehen: „Sch..., das passt nicht“, beschreibt der Mann die Situation. Nachdem Anja M. gestürzt ist, betätigt er sich als Ersthelfer. Das Kennzeichen der Sattelzugmaschine merkt er sich nicht, nur, dass der Lkw die Farben Weiß und Grün aufweist. Angeklagter fürchtet um seinen Führerschein: Wenige hundert Meter hinter der Unfallstelle ist vor einem Autohaus eine Kamera installiert. Die Aufnahmen vom Unfalltag zeigen einen Lkw, der so aussieht wie der von Milosz R. Der Angeklagte kommt offenbar ins Grübeln, berät sich mit seinem Verteidiger. Es sei wohl doch eindeutig, dass es sein Lkw ist und dass er den Unfall verursacht hat, lässt Milosz R. schließlich erklären. „Er möchte das aufarbeiten, hat aber Angst, dass er seinen Führerschein verliert, den er für seinen Beruf braucht“, erklärt der Rechtsanwalt. Lesen Sie auch Malente: Radfahrerin stirbt nach Kollision mit Lkw Radfahrer von Lastwagen überrollt und getötet Tödlicher Unfall in Lübeck: LKW-Fahrer übersieht Radlerin (72) „Menschen distanzieren sich häufig von großer Schuld“, sagt Staatsanwältin Schuchard, die sich mehrfach an die Angehörigen von Anja M. wendet. Die Aussage der Schwägerin habe Milosz R. wachgerüttelt, er wolle die Verantwortung übernehmen und das Geschehen mit einem Verkehrspsychologen aufarbeiten, „damit er niemanden mehr gefährdet“. Neben den sechs Monaten Haft auf Bewährung beantragt sie die Zahlung von 10 000 Euro an die Hinterbliebenen. „Als Ausgleichszahlung“, so die Staatsanwältin. „Ein Leben kann man nicht zurückgeben.“ Amtsrichter Rathje verurteilt Milosz R. schließlich zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und zur Zahlung von 3000 Euro. Der Vorfall sei schrecklich für die Angehörigen, erklärt er. „Doch egal welche Strafe es gibt – das bringt die Person nicht zurück.“ Von Sabine Latzel