"Nord bei Nordwest"-Star Hinnerk Schönemann im Interview: Ich liebe Trecker

Spannend-schräge Geschichten aus Schleswig-Holstein, knifflig-komische Kriminalfälle vor rauer Küstenkulisse, liebenswert-schrullige Figuren mit starkem Charakter und herben Charme – „Nord bei Nordwest“ ist ein Unikat in der deutschen Fernsehlandschaft und kann seit Jahren auf eine treue Fangemeinde zählen. Seit 2014 spielt Hinnerk Schönemann den Titelhelden Hauke Jacobs, der nach dem (Film-)-Tod seiner früheren Kollegin vor dem Neuanfang steht. Herr Schönemann, Sie spielen in „Nord bei Nordwest“ den früheren LKA-Ermittler Hauke Jacobs, der im fiktiven Ostseedorf Schwanitz als Tierarzt und Polizist arbeitet. Was unterscheidet diese Krimireihe von ähnlich ironisch angehauchten TV-Formaten? Ich glaube, uns macht vor allem aus, dass wir immer ein bisschen unberechenbarer bleiben und ein bisschen schwärzer sind als andere. Wir haben manchmal einen absurderen Humor. Von mir aus könnte unser Humor sogar noch etwas schwärzer sein. Da ist noch reichlich Luft nach oben (lacht). Unsere Geschichten sind jedenfalls skurriler, die Fälle und die Figuren deutlich schräger als in vergleichbaren Formaten. Und was wäre für Sie ein künftiges „No go“? Ich fände es furchtbar, wenn wir irgendwann ins Liebliche oder schlimmer noch Kitschige abrutschen würden. Dass wir viele Freiheiten haben und nicht in einem so engen Korsett sind, zeichnet ja gerade den besonderen Charme von „Nord bei Nordwest“ aus. Das ist auch vom Sender sehr mutig. Auch die liebevoll gestalteten und gleichzeitig leicht verschrobenen Nebenfiguren – wie zum Beispiel das schrullige Bestatter-Pärchen – sind eine ganz wichtige Konstante. Und solche absurden Alleinstellungsmerkmale wie zum Beispiel, dass Hauke mit seinem Hund Holly auf einem alten ausrangierten Hausboot lebt. Seit 2014 ermittelt Hinnerk Schönemann in der quotenstarken Krimireihe „Nord bei Nordwest“ als Polizist und Tierarzt (alle Folgen in der ARD-Mediathek). Der Sohn eines Ärzteehepaars reiste mit seiner Familie 1988 aus der DDR in den Westen aus. Nach Schauspielstudium in Berlin, Theaterjahren in Hamburg und ersten Filmrollen kam der Fernseh-Durchbruch als Ermittler Eddie in der Comedyserie „Dr. Psycho“ (2007) sowie als Kommissar Simmel in der Krimireihe „Marie Brand“ (2008). Für seine Rolle als Inselpolizis t in „Mörder auf Amrum“ wurde der gebürtige Rostocker (*geb. 30.11.1974) mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet (2010) und für seinen Part als Elektriker in „Der mit dem Schlag“ mit dem Deutschen Schauspieler-Preis (2017). Weitere TV- und Kino-Filme mit Hinnerk Schönemann u.a.: „Finn Zehender“, „Das Leben der Anderen“, Steven Spielbergs „Gefährten“, „Neue Vahr Süd“, „Tatort: Franziska“, „Die Drei!!!“ und die Netflix-Comedyserie „How to sell Drugs Online (Fast)“. Der Schauspieler arbeitet auch als Landwirt auf seinem Bauernhof in der Nähe von Plau am See, wo er seit 2008 lebt. Mit seiner Frau hat er eine gemeinsame Tochter (*2020). Aus früheren Beziehungen stammen zwei Söhne (*2013 und *2016). Schönemann engagiert sich als Botschafter bei der Stiftung „RobinAid“ und als Jury-Mitglied des Filmwettbewerbs „Klappe gegen Rassismus“. ple Welchen Einfluss hat die Ostseekulisse auf den großen Erfolg der Serie? Einen entscheidenden: Unsere Kriminalfälle spielen in einer eigentlichen Urlaubsregion, in einer wunderschönen Landschaft mit Dünen und Meer. Und diese Kulisse bildet einen spannenden Kontrast zu den Verbrechen, die sich hier ereignen. In „Nord bei Nordwest“ holen wir die große weite Welt des Schwerverbrechens in die kleine Welt eines Dorfes, in die von Schwanitz, wo fast New Yorker Verhältnisse herrschen. Ich finde, das ist eine ziemlich gute Kombination (lacht). All das zusammen führt zu einem hohen Wiedererkennungswert. Viele Zuschauer kennen Sie auch als Kommissar Jürgen Simmel aus der ebenfalls sehr beliebten Krimireihe „Marie Brand“. Was unterscheidet Ihre beiden Filmfiguren? Hauke Jakobs ist erwachsener als Simmel, er muss mehr Verantwortung tragen. Deshalb ist er keine so einfache Rolle für mich, sondern etwas schwieriger darzustellen und somit eine größere Herausforderung. Weil ich in meinem Spiel sonst gerne offensiver bin, witziger und schneller als Hauke. Eher so wie Simmel, der viel kindischer ist und mehr nach außen gerichtet. Hauke ist hingegen ein Einzelgänger und gehört zu der eher wortkargen Spezies Mensch. Am liebsten weilt er ganz allein mit seinem geliebten Hund Holly auf seinem Hausboot. Trotzdem liebe ich Hauke über alles, so wie ich auch Simmel liebe. Beide Figuren sind im Laufe der Jahre zu einem großen Teil meines Lebens geworden. Lesen Sie auch: Wo liegt Schwanitz: Das sind die wahren Drehorte von „Nord bei Nordwest“ „Nord bei Nordwest“: So gehen Dreharbeiten trotz Corona In Ostholstein gedreht: Diese Filme laufen 2021 „Nord bei Nordwest“ läuft schon seit 2014. Können Sie Ihrer Rolle noch neue Facetten abgewinnen? Erst mal lasse ich mich gerne davon überraschen, was sich unsere beiden wirklich tollen Drehbuchautoren in jedem Film wieder Neues einfallen lassen. Denn jeder neue Fall führt dazu, dass auch Hauke immer wieder neu reagieren muss. Und da ich selber gerne intuitiv und situativ reagiere, kann ich oft nicht voraussagen, was dann entsteht. Manchmal überrasche ich mich also selber, und das macht großen Spaß. Mit dieser Rolle kann ich mich immer wieder neu ausprobieren, wofür ich sehr dankbar bin. Und da sich Hauke inzwischen als verdeckter Ermittler nicht mehr verstecken muss, bietet sich mir ein großes Potenzial. Ich muss nicht nur entweder den guten Tierarzt oder den kauzigen Alleingänger spielen. Inwieweit hat der Tod seiner Polizeikollegin Hauke Jacobs verändert? Der Tod von Lona Vogt hat ihn schwer getroffen. Hauke konnte Lonas Tod nicht verhindern und braucht lange, um ihn zu verarbeiten. Er will jetzt einfach nur alleine sein, möchte seine Ruhe haben und um Lona trauern können. Doch dazu bleibt ihm kaum Zeit, weil ihm, dem Polizisten, nun ein Mord unterstellt wird. Auch muss er erst noch mühsam Vertrauen aufbauen zu seiner neuen Kollegin Hannah Wagner, die er zunächst gar nicht will und ihr deshalb sehr feindselig begegnet. Auch dass diese fremde Person jetzt in Schwanitz mitmischt, passt ihm gar nicht. Dass zu spielen, wie Hauke die Neue völlig ablehnt und ihr das Leben schwer macht, war für mich schauspielerisch toll. Und wie schlägt sich die Neue in dieser Situation? Hannah bietet Hauke kräftig Paroli. Allerdings ist sie kein Ersatz für Lona, sondern sie hat einen ganz eigenen Charakter und eine ganz eigene Geschichte. Damit man die beiden Frauen nicht miteinander vergleicht. Und ich finde, das ist sowohl unseren Autoren als auch Jana Klinge ganz prima gelungen. Hannah Wagner kommt aus der Großstadt Kiel, ist ehrgeizig und direkt. Sie ist unabhängig, ungebunden und sehr ambitioniert. Um ihren Platz in Schwanitz zu behaupten, muss sie kämpfen. Sicherlich keine leichte Aufgabe für Jana Klinge, die Henny Reents nach deren Serienausstieg als Dorfpolizistin ersetzt . . . Für Jana war es natürlich nicht einfach, als Neue in ein Format zu stoßen, das schon so lange besteht und das von ihrer Vorgängerin sowohl spielerisch als auch visuell stark mitgeprägt worden war. Auch ihre Rolle musste erst ihren Platz in der vertrauten Konstellation zwischen Hauke Jacobs und seiner Tierarzthelferin Jule Christiansen finden. Doch es hat funktioniert: Ab jetzt lösen wir die Fälle gemeinsam und bestehen die Abenteuer Seite an Seite. „Die Neue“ bereichert „Nord bei Nordwest“. Wenn sich zwei Antipole begegnen, gibt es immer Reibereien, aber das bringt frischen Wind und neue Spannung mit sich. Mit Jana hat sich viel verändert. Wir sind anders geworden. So wie im echten Leben ja auch alles ständig im Wandel ist. Sie selber haben im Leben auch schon viele Veränderungen erlebt, sind aus der Großstadt Berlin in ein kleines Dorf aufs Land gezogen. Warum? Ich hab’ eigentlich schon immer auf dem Land gewohnt, hier steht auch mein Elternhaus. Also das Haus, in das meine Eltern nach ihrer Zeit aus Ost-Berlin gezogen sind. Das ist meine Heimat. Vom Gefühl her war ich schon immer einer, der vom Dorf kommt. Und der in der Großstadt Hamburg nur zur Schule gegangen ist und später dort studiert hat. Nach meiner Ausbildung habe ich schnell gemerkt: Ich brauche die Stadt wirklich nicht. Ich brauche nicht den lauten Trubel. Deshalb bin ich vor zwanzig Jahren dort wieder hingezogen, wo ich am besten atmen kann, und das ist auf dem Land. Zum Arbeiten brauche ich die Stadt, und das ist toll. Aber ich bin so froh, wenn ich wieder hier draußen bin. Auf Filmpartys und roten Teppichen sieht man Sie also gar nicht? Nur, wenn es für einen Film wirklich unbedingt sein muss. Auch weil ich kein Typ für Small Talk bin. Ich kann mich nicht mit einem Glas Sekt oder Wein irgendwo hinstellen und mit irgendjemand über irgendeine Belanglosigkeit unterhalten. Ich weiß auch gar nicht, worüber ich mich da unterhalten sollte. So was liegt mir überhaupt nicht. Aber ich hab’s in der Vergangenheit probiert, und gelitten. In den so genannten sozialen Medien bin ich übrigens auch nicht unterwegs. Da war ich noch nie vertreten. Das gibt mir nichts, und es würde mich auch wahnsinnig machen. Auch Hauke Jacobs ist kein großer „Schnacker“. Wie viel steckt von Ihnen selber in dieser Rolle? Hauke ähnelt mir schon in vielen Punkten. Der ist vielleicht zu 20 bis 30 Prozent so, wie ich privat bin. Also auch etwas verschlossener. Allerdings kann ich auch anders: Wenn ich drehe, dann benutze ich das Set als Bühne. Dann kann’s für mich gar nicht schnell und laut genug sein. Dann unterhalte ich die Leute und drehe richtig auf. Dann liebe ich es sogar wuselig und genieße es, mich dort auszupowern. Weil das zu meiner Arbeit als Schauspieler gehört, weil ich das für mein Spiel brauche. Und wie sind Sie nach Drehschluss? Dann bin ich ein ganz anderer Mensch. Da mache ich einen ganz klaren Cut. Dann will ich nur noch meine Ruhe haben, auch nicht mit Kollegen ein Bier trinken. Ich wüsste nach Drehschluss auch gar nicht mehr, worüber ich mich länger als fünf oder zehn Minuten unterhalten sollte, da hätte ich gar keinen Gesprächsstoff. Dafür fehlt mir nach einem langen Drehtag auch einfach die Kraft. Stimmt die Geschichte, dass Ihr Schauspielkollege Ulrich Tukur Sie doch mal zu einem Feierabendbier genötigt hat? Mein erstes Bier in der Welt (lacht). Er hat mich nach Dreharbeiten für den Film „Der Stellvertreter“ in Rumänien in so einer berühmten Bar zu einem Heineken-Bier überredet, das ich dann geext habe, damit er endlich Ruhe gibt. Sie leben seit 2008 auf einem Bauernhof in Ihrer mecklenburgischen Heimat. Arbeiten Sie dort auch landwirtschaftlich? Ich mache Heu und schlage im Winter Kaminholz, das ich auch selber zum Heizen nutze. Auch sonst gibt es auf so einem Hof immer reichlich Arbeit. Ich liebe das, wenn ich auf dem Trecker sitze. Die Landwirtschaft ist für mich ein prima Ausgleich zum hektischen Filmleben. Das Leben als Bauer fühlt sich für mich normal an. Und es ist ein guter Weg, geerdet zu bleiben. Auch die Leute hier behandeln mich wie einen von ihnen. Ich bin ein Teil unseres Dorfs und kein Paradiesvogel. Halten Sie auf Ihrem Hof Tiere? Wir haben drei Pferde, aber nur, um die Wiese kurz zu halten. Und wir haben zwei Hunde, die Familienmitglieder sind, und ein paar Hühner. Überhaupt hatte ich schon immer Tiere. Ich hab schon als Kind Schildkröten und Koi-Karpfen gezüchtet und das ziemlich exzessiv betrieben. Aber als es dann mit der Schauspielerei losging, bin ich eines Morgens aufgewacht und hab mich gefragt: Warum hab’ ich eigentlich diese ganzen Tiere? Schließlich habe ich sie schweren Herzens abgegeben, weil ich erkennen musste, dass ich sie nicht artgerecht halten konnte. Weil ich als Besitzer auch die Verantwortung dafür trage, dass es ihnen wirklich gut geht. Deshalb würde ich heute keine Exoten mehr halten. Auch wenn ich diese Tiere immer noch liebe, aber sie sollen da leben, wo sie hingehören. Sie sind inzwischen dreifacher Familienvater. Was wollen Sie Ihren Kindern noch mit auf den Lebensweg geben? Auf jeden Fall Respekt vor allen Lebewesen, vor der Natur und unserer Umwelt. Meine Kinder sind zwar noch klein, aber sie würden zum Beispiel niemals etwas achtlos auf die Straße werfen. Sie würden es in ihre Taschen packen und zu Hause in den Mülleimer werfen. Da haben sie jetzt schon eine große Sensibilität. Was mir selber ebenfalls ganz wichtig ist: Verantwortungsbewusstsein und Solidarität, dass man sich als Teil eines Ganzen begreift. Von Claudia Pless