Oldenburg: Senioren-Hotline gegen den Terminfrust bei Corona-Impfung

Nein, Psychologen seien sie nicht, sagt Uwe Koch (82), der Vorsitzende des Seniorenbeirats der Stadt Oldenburg. Deshalb hielten sie sich bei allen Telefonaten strikt an ihren Zehn-Punkte-Fragenkatalog. Name, Alter, Krankenkasse, Hausarzt . . . „Wenn wir uns von jedem die persönliche Geschichte anhören würden, dann kämen wir nicht zurecht“, sagt Harry Römer. Der 65-Jährige hat heute Vormittag im Rathaus wieder „Hotline-Dienst“ von 10 bis 13 Uhr. Der Corona-Frust der Senioren sei gleichwohl bei jedem Gespräch deutlich spürbar. „Sie alle haben ihre Erfahrungen mit dem offiziellen Impf-Telefondienst gemacht, sind zig Mal nicht durchgekommen – und bedanken sich tausendmal, dass wir uns der Sache annehmen.“ Vergabe der Corona-Impftermine: Stressfaktor für die Betroffenen: Die am 21. Januar gestartete Hotline des Seniorenbeirats (043 61/49 81 03) vergibt selbst keine Termine. „Aber wir helfen, sie zu bekommen“, fasst Koch zusammen. So werden alle „impfrelevanten Daten“ aufgenommen, in Zukunft inklusive der Pin, die jedem Über-80-Jährigen nun per Post zugehen soll. Die Excel-Tabellen sollen dann den Impfzentren zur Verfügung gestellt werden, um so „das Prozedere zu erleichtern“. Aktuell sei dieses Prozedere nämlich vor allem: umständlich, widersprüchlich, absurd – und für die Senioren ein immenser Stressfaktor. „Da ist eine 91-jährige schwerhörige Frau, die kein Auto hat und eine halbe Stunde in der Impf-Hotline hängt, bevor sie aus der Warteschleife rausfliegt“, berichtet Koch von einem Fall. „Nun könnte ein Virologe sagen, dass diese Frau ja kein großes Infektionsrisiko mehr hat“, so der 82-Jährige. „Aber dann sind wir im Bereich einer vorgezogenen Triage, und das kann doch gesellschaftlich nicht gewollt sein.“ Lesen Sie auch Ostholstein: Hier gilt die bis Mitte Februar verlängerte Maskenpflicht UKSH: Die meisten Corona-Toten starben an einer Lungenentzündung Corona: Pflegeheim-Bewohner im Herzogtum Lauenburg haben Erstimpfung Enttäuschung und Wut bei den Senioren: Aus einer Umfrageaktion des Beirats im Jahr 2020 wissen Koch und seine Mitstreiter genau über die Zielgruppe Bescheid – und auch, vor welche Hindernisse sie die Impfkampagne stellt. „In Oldenburg leben rund 880 Seniorinnen und Senioren, die 80 Jahre und älter sind. Von ihnen verfügen 41 Prozent nicht über ein Auto“, erläutert Koch. Die großen Fragen seien daher: „Wie werden diese Menschen informiert? Wie können sie sich zum Impfen anmelden? Und wie kommen sie hin und wieder zurück?“ Von Bund, Land und Kreis gebe es darauf keine befriedigenden Antworten. „Die Enttäuschung, die Wut und der Vertrauensverlust in den betroffenen Familien ist enorm“, weiß Koch – nicht zuletzt durch die zahlreichen Briefe, die in die „Kummerkästen“ eingeworfen werden. Die von Harry Römer selbstgebauten blauen Kästen, seit einem knappen Jahr an 14 zentralen Punkten der Stadt wie Supermärkten und Apotheken aufgestellt, seien eine wichtige Kommunikationsschnittstelle. „Wir haben es hier mit einer Gruppe von Menschen zu tun, die nicht im Internet ist, die aufgrund von Einschränkungen oft schon Probleme hat mit dem Telefonieren, für die der Gang zur Post bereits eine Hürde darstellt“, so Koch. Im Impfzentrum in Eutin gebe es nicht einmal ein behindertengerechtes WC: Koch zitiert das Schreiben eines Ehrenbürgers der Stadt Oldenburg: Er bittet flehentlich um einen Impftermin für sich und seine Frau, sie hätten kein Auto, seien eingeschränkt mobil. „Ein Mann, der so viel für die Stadt getan hat“, sagt Koch und klingt kurz verzweifelt. „Den vergessen die!“ Für ihn zeigt die Corona-Krise ein strukturelles Problem: „Die Rand- oder Endgruppe der Senioren wird nicht gesehen.“ Personell unterstützt wird die Hotline durch die Behindertenbeauftragte der Stadt, Martina Scheel, sowie von Kräften der Awo und der Sozialverbände. „Die Barrieren auf dem Weg zur Impfung sind viel zu hoch“, kritisiert Scheel. So gebe es im Eutiner Impfzentrum nicht einmal ein behindertengerechtes WC. Und dann die Frage der An- und Abreise: Leicht käme man aus den abgelegeneren Orten mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf insgesamt fünf Stunden Fahrt. Ministerium verweist auf Eigeninitiative und Corona-Nachbarschaftshilfe: Der Wunsch des Seniorenbeirats wären daher mobile Impfteams, die ähnlich wie in den Heimen in Örtlichkeiten der Gemeinden aktiv würden. Oder zumindest eine Unterstützung bei der Organisation von Fahrdiensten, die der Beirat plane. In einer Antwort des Kieler Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage des Landesseniorenrates wurde lapidar auf Eigeninitiative und Nachbarschaftshilfe verwiesen. Informationen fänden sich unter anderem in Sozialen Netzwerken. Für Koch ein Hohn. „Es fehlt“, sagt er, „einfach an organisatorischer Fantasie.“ Von Annika Langhagel