Ostholstein: Andrang im Lockdown bei Tierärzten und Züchtern

Homeoffice, Kurzarbeit, kaum Gelegenheit zu größeren Aktivitäten außer Haus: Da beschäftigen sich viele Hunde- oder Katzenbesitzer eingehender mit ihrem Haustier. Und stellen fest: Mit ihrem Vierbeiner stimmt irgendetwas nicht. Tierärzte in Ostholstein haben schon im ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr registriert, dass ihre Sprechstunden großen Zulauf haben. Züchter wiederum stellen fest, dass viele Menschen sich in dieser Zeit einen Hund zulegen wollen: Die Nachfrage nach Welpen ist immens. Mehr Patienten in der Sprechstunde: In Oldenburg führen Regine Kinkel und Georg Brosow gemeinsam eine Kleintierpraxis. „Wir haben immer gut zu tun. Aber in der Pandemie kommen deutlich mehr Leute“, bestätigt Tierärztin Kinkel. „Die Menschen verbringen jetzt mehr Zeit mit ihren Tieren, fokussieren sich auf sie und sehen eher, dass etwas nicht in Ordnung ist.“ Dafür blieben „Panikanrufe“ am Wochenende aus, wenn dann plötzlich ins Auge falle, dass der Hund humpele oder ähnliches. Tierärztin in Bosau: Mehr Menschen mit Haustier: Deutschlandweit hätten sich Menschen in der Pandemie rund 25 Prozent mehr Tiere angeschafft, sagt Anne Katrin Wroblewski, Tierärztin aus Bosau. „Wer in Berlin in einem Hochhaus wohnt, darf auch bei Ausgangssperre zum Gassigehen ’raus.“ In ihrer Praxis schätzt sie den Anteil der Menschen, die sich erst kürzlich ein Haustier zugelegt haben, auf 15 Prozent. Homeoffice und Homeschooling brächten für Tiere Vor- und Nachteile. „Wenn jemand viel zu Hause ist, kommt es ihm schneller komisch vor, wenn seine Katze viel frisst, aber nicht dicker wird – was ein Zeichen für eine Schilddrüsenüberfunktion sein kann“, sagt die Tierärztin, die beide dann bald bei sich in der Praxis zu Gast hat. Viel Betrieb zu Hause: Stress für Hund und Katze: Dass im Lockdown womöglich die gesamte Familie stets zu Hause sei und sich der gewohnte Rhythmus ändere, mache sich irgendwann auch beim Tier bemerkbar. „Gerade Katzen sind sehr stressempfindlich und isolieren sich dann. Wenn Kinder nach den Schulaufgaben zu Hause herumtoben, ist das ein anderer Geräuschpegel als gewohnt – einige Tiere kommen damit nicht zurecht. Gerade älteren fehlen dann ihre Ruhephasen“, schildert Wroblewski. Bei Hunden äußere sich Stress häufig in vermehrtem Juckreiz an den Ohren. „Sie sind vollkommen gesund, aber der Stress kann zu Übersprungshandlungen führen“, erklärt sie. Ein anderes krasses Beispiel sei ein Hund, der Ende des Jahres nicht mehr ins Haus gewollt habe. „Seine Besitzerin hatte für ein paar Tage alle acht Enkel zu Besuch, im Alter von zwei bis neun Jahren.“ Lesen Sie auch Lockdown in Timmendorf: Das machen die Promi-Cafés "Nord bei Nordwest"-Star Hinnerk Schönemann im Interview: Ich liebe Trecker Homeoffice: Engmaschige Beobachtung der Haustiere: Dr. Theo Spitz und Dr. Angela Schulenburg haben in Eutin eine Kleintierpraxis. Während der Corona-Zeit nähmen Menschen ihre Tiere genauer ins Visier, bestätigt auch Tierarzt Spitz. „Wir bekommen tolle Vorberichte zu Auffälligkeiten und Problemen, mit denen ein Tier zu uns gebracht wird – die wir natürlich hinterfragen. Wer den ganzen Tag zu Hause ist, kann Hund und Katze engmaschiger beobachten und bemerkt dann etwa, wenn ein Tier am Tag laufend zum Trinknapf geht. Wenn man abends von der Arbeit zurückkehrt, sieht man nur, dass der Napf leer ist und macht sich keine Gedanken.“ Haustier nur nach reiflicher Überlegung anschaffen: Im Lockdown einen Welpen anschaffen? „Dass sollte man nur tun, wenn man sich sowieso mit dem Gedanken daran getragen hat, aber nicht aus Langeweile. Man muss von der Normalsituation ausgehen“, sagt Guido Spitz. Wer aber sowieso einen Hund haben wolle, für den sei Corona mit Homeoffice eine Gelegenheit, ein Tier gut kennenzulernen und viel Zeit mit ihm zu verbringen. Tierheim hinterfragt Motive von Interessenten: Im Tierheim Eutin konnte man so auch registrieren, dass im abgelaufenen „Corona-Jahr“ erfreulich viele Schützlinge vermittelt wurden. Dazu merkt Katrin Steuernagel vom Vorstand im Tierschutzverein Eutin und Umgebung aber an: „Wir hinterfragen sehr genau, warum jemand ein Tier zu sich nehmen möchte.“ Die zuletzt gestiegene Nachfrage bestätigt auch Christina Mann aus dem Tierheim in Lübbersdorf und betont: „Auch wir sind keine Anlaufstelle für Kurzentschlossene, sondern vermitteln unsere Tiere nur an ernsthafte, geeignete Bewerber.“ Sie fragt sich angesichts des aktuellen „Hundebooms“: „Was wird aus den Tieren, wenn Corona irgendwann vorbei ist? Kommt dann der große Hundeschwall auf uns zu, weil die Leute keine Zeit mehr haben?“ Züchterin hat „die Warteliste längst abgeriegelt“: Ähnlich besorgt ist Petra Stößel (63). Obwohl sie als erfahrene, im Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) und Deutschen Retriever Club (DRC) organisierte Golden-Retriever-Züchterin heilfroh über die Marktlage sein könnte, stellt sie klar: „Auch wenn die Leute auf der Suche nach Welpen regelrecht verzweifelt sind und ich in all den Jahren noch nicht so viele Telefonate führen und Mail-Anfragen zumeist negativ beantworten musste, bleibe ich meiner Linie treu und habe die Warteliste längst abgeriegelt.“ Drei Hunde-Generationen unter einem Dach: Die 63-Jährige lebt seit 2018 mit ihrem Mann sowie den Hündinnen „Cleo“ (13), „Mellow“ (6) und „Indra“ (3) im ehemaligen Kutscherhaus von Gut Testorf in der Gemeinde Wangels und erklärt: „Wir halten uns weiter an die sinnvolle DRC-Maßgabe, die pro Hündin nur bis zu vier Würfe bis maximal zum achten Lebensjahr vorsieht.“ Und auch wenn der seriöse Welpenmarkt leer gefegt sei, „bleiben wir beim Verkaufspreis von 1500 Euro, der sich mit Wohlfühlpaket – Leine, Halsband, Pfeife und Spielzeug – absolut am unteren Limit bewegt“. Als bundesweit größte Dachorganisation vertritt der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) bundesweit rund 180 Hundezuchtvereine und -sportverbände mit gut 600 000 Mitgliedern. In seinen 158 Rassezuchtvereinen sind nach eigenen Angaben rund 8000 Züchter mit mehr als 250 Hunderassen organisiert. Der VDH ist das einzige deutsche Mitglied der Fédération Cynologique International (FCI), des Weltverbandes für Rassehundezucht mit aktuell 101 Mitglieds- und Partnerländern. Der VDH geht von bis zu 20 Prozent mehr Hunden aus, die 2020 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr gekauft wurden. Seit 2005 ist die Zahl der hierzulande gehaltenen Hunde von 6,5 auf schätzungsweise gut zehn Millionen gestiegen. Die Tierschutzorganisation Tasso e.V. verzeichnete im Jahresverlauf 2020 allein 433 600 zumeist per Chip neuregistrierte Hunde (plus acht Prozent gegenüber 2019). Monats-Spitzenreiter waren der Juni (39 000 Neuregistrierungen/+25%) und der Dezember (36 500 Hunde/+19,5%). Ganz oben in der Tasso-Hitliste stehen mit 111 328 Neuregistrierungen die Mischlinge vor dem Labrador Retriever (22 372), dem Deutschen Schäferhund (13 734), der Französischen Bulldogge (13 657) und dem Chihuahua (12 236). Lau Tasso-Datenbank gibt es in Deutschland insgesamt etwa 9,7 Millionen registrierte Haustiere (5,6 Millionen Hunde, 4 Millionen Katzen) und 6,8 Millionen Tierhalter. Zu den 15 VDH-Landesverbänden gehört als regionale Interessenvertretung der VDH-Nord, der in Schleswig-Holstein und Hamburg aktuell 68 Zucht- und Sportvereine vertritt und online unter www.vdh-nord.de informiert oder per Mail unter gs@vdh-nord.de kontaktiert werden kann. Generelle Informationen über Rassen, Tipps zum Welpenkauf und zur Hundehaltung sowie eine Züchter- und Vereinsübersicht gibt es unter www.vdh.de Die Tierheime in Ostholstein sind derzeit coronabedingt für den Publikumsverkehr generell geschlossen. Nähere Infos und Terminabsprachen unter www.tierheim-eutin.de (Tel. 045 21/736 44) und www.tierheim-luebbersdorf.de (Tel. 043 61/38 84). Kulante Rücknahme im Zweifelsfall garantiert: Der Gefahr, dass ihre Hunde in falsche Hände geraten oder später nicht artgemäß gehalten werden könnten, begegnet Stößel damit, dass sie ihre „Kundschaft“ vor der Abgabe ausgiebig studiert und informiert. Und sie betont: „Notfalls nehmen wir den Hund kulant zurück und kümmern uns um die Weitervermittlung – aber das ist in 16 Jahren erst zweimal passiert.“ Lesen Sie auch Besuchsverbot für Tagestouristen? So sind die Reaktionen an der Ostsee Massenansturm verhindern: Ab Ostern neue Corona-Regeln für Tagestouristen? Urlaub an der Ostsee: Keine Tagestouristen am Wochenende mehr? „Nacht-und-Nebel-Aktionen der Welpen-Mafia“: Was Stößel & Co. unbedingt vermeiden wollen, aber zuletzt immer wieder aus den Medien erfahren müssen: „Kurzentschlossene Hundekäufer landen über Ebay oder sonst wie bei irgendwelchen Zwischenhändlern, die in Nacht-und-Nebel-Aktionen womöglich kranke Tiere von der Welpen-Mafia zumeist aus dem Ex-Ostblock aus dem Kofferraum verkaufen – und das mitunter über normalen Marktpreisen.“ Die 63-Jährige findet: „So etwas darf einfach nicht sein!“ Von Ulrike Benthien und Andreas Oelker