Ostholstein: So leiden Jugendliche unter dem Lockdown

Es ist ein Klischee: die Jugendlichen, die jetzt – durch den Lockdown mehr denn je – nur noch am Handy hängen. „Auf jeden Fall ist das so“, sagt Leonie und lacht. „Ich bin echt nur am Handy oder am Macbook.“ Notgedrungen, denn lieb ist das der sportlichen 16-Jährigen selbst nicht. Doch wenn sowohl Schule als auch Kontaktpflege über digitale Medien laufen – was soll man machen? „Das ist schon relativ anstrengend.“ Mal in die Disco gehen, zu einem Konzert, am liebsten von Pink, oder einfach durch die Stadt bummeln und shoppen: Leonie weiß genau, worauf sie nach dem Lockdown Lust hätte. Mutter arbeitet, Bruder in der Notbetreuung: „Man fühlt sich schon einsam manchmal“: Leonie ist tagsüber allein zu Hause, denn ihre Mutter arbeitet, ihr kleiner, fünf Jahre alter Bruder ist in der Notbetreuung des Kindergartens. „Ich fühle mich schon wirklich einsam manchmal“, gibt sie zu. Seit Sommer 2020 ist sie zurück in Oldenburg, die Familie lebte vorher lange in der Schweiz. Zum Glück habe sie hier trotz der Corona-Beschränkungen bereits eine gute Freundin gefunden, mit der sie sich an den Wochenenden treffe. „Ich kenne auch Leute, die haben eh wenig Kontakte, und die Eltern erlauben ihnen gar keine Treffen“, sagt Leonie. „Da ist man dann schon ziemlich allein.“ Von ungefähr 8 bis 13 oder 14 Uhr widmet sich Leonie den Videokonferenzen und Arbeitsmaterialien der Wagrienschule. Nachmittags stehen meist Sporteinheiten auf dem Programm. Leonie ist Stürmerin in der B-Jugend des Oldenburger Sportvereins, kickt, seit sie fünf ist, und trainiert normalerweise drei Mal die Woche. „Jetzt schicken wir eben unsere Jogging-Resultate in die Whatsapp-Gruppe“, sagt sie. Wie sehr vermisse sie das Spiel mit dem Ball. Für etwas Alltag sorgt ihr Minijob beim Finanzamt, „Akten sortieren und so etwas“. Da sie dafür dort ein eigenes kleines Büro hat, darf sie zwei Mal die Woche zum Arbeiten kommen, „mit Maske und Abstand“. Der Führerschein liegt durch den Lockdown wieder auf Eis: Ob Corona ihr schon Pläne durchkreuzt hat? Reisen, ja, erzählt Leonie, vor allem in die Schweiz, die schwer vermissten alten Freunde besuchen. Und auch den Führerschein: Sie ist eigentlich dabei, Motorrad und Auto parallel zu lernen. „Eigentlich wäre ich damit Ende letzten Jahres durch gewesen.“ Nun steht sie in Whatsapp-Kontakt mit ihrem Fahrlehrer. „Er war zuletzt optimistisch, meinte, er könne mich jetzt bald zur Theorieprüfung anmelden.“ Corona, das ist vor allem auch ein ewiges Warten darauf, dass etwas weitergehen kann. „Man hat sich eben daran gewöhnt“: Viktor klingt ein wenig desillusioniert. „Es muss ja sein“, hört man oft, wenn man sich mit ihm unterhält, oder auch „es geht eben nicht anders“. Der 15-Jährige besucht die zehnte Klasse der Wagrienschule – es ist sein Abschlussjahrgang. Jetzt, um 14 Uhr, ist er mit dem Homeschooling noch nicht ganz durch. Fast immer wollten die Lehrer die Ergebnisse des Tages direkt zugeschickt bekommen, „über die Plattform iServ läuft das bei uns“, erzählt Viktor. „Man hat sich daran gewöhnt. Aber das Beste ist es nicht.“ Lesen Sie auch Lübecker Depenmoor: Räumung der Drogeninsel Ischgl immun gegen Corona: Neue Studie aus Innsbruck liefert neue Erkenntnisse SH: Corona-Testungen von Lehrern und Erziehern starten nächste Woche Die Schule vermissen – ein ganz neues Gefühl: Ja, er vermisse es, in die Schule zu gehen, so weit sei es schon gekommen, sagt er und lacht. Und: Er vermisse seine Freunde. „Wir versuchen, uns zu treffen, immer nur mit einer Person. Einfach klönen, chillen . . .“, berichtet er. Ansonsten zocke er auch online Playstation mit seinen Kumpels. Viktor ist in Oldenburg Vorsitzender des Kinder- und Jugendbeirats, dort ist auch sein bester Freund aktiv. Allein: „Wir haben jetzt seit Monaten kaum etwas gemacht.“ Seit Monaten nicht mehr mit Freunden gekickt: Ein weiteres Hobby, das Fußballspielen, ist auch Corona-bedingt unmöglich geworden. Viktor kickt gern privat, mit Freunden – alles nicht erlaubt. Positiv betrachtet sei die Stimmung zu Hause immerhin nicht angespannt. Und: Sein Notenschnitt sei besser als in den Jahren zuvor. Woran das liegen könnte, weiß er nicht. Ein angenehmer Nebeneffekt der Pandemie, denn bei vielen sei es eher so, dass der Wegfall der mündlichen Note den Schnitt drücke. „Dafür werden bei den Abschlussprüfungen nur zwei statt sonst drei Fächer abgefragt, und wir bekommen eine halbe Stunde mehr Zeit.“ Worauf er sich am meisten freut, seien die Besuche bei seinen Verwandten in Kasachstan. Ein bis zwei Mal im Jahr fahren er und seine Familie dorthin, zuletzt war es Anfang 2020 möglich. Grenzenlose Freiheit – ja, sie erscheint im Moment noch sehr weit weg. „Die Tage sind ja alle gleich“: Es gebe Morgende, sagt Domenik aus Ahrensbök, da hätte er große Lust, einfach im Bett liegen zu bleiben. „Man kann ja eh nicht viel machen, die Tage sind alle gleich . . . so denke ich dann“, erzählt der 20-Jährige. Doch sobald seine anderthalbjährige Tochter ihn wecke und zu ihm ins Bett hopse, bekomme er wieder Lust, etwas zu unternehmen. Kita zu, Spielplätze gesperrt: Was tun mit dem Kleinkind? Der Alleinerziehende lässt sich für Jesmin Pia immer wieder etwas einfallen, denn: „Man merkt ihr an, dass sie darunter leidet, keine anderen Kinder zu treffen – die Kita hat ja geschlossen, und auch viele Spielplätze sind gesperrt. Hauptsächlich beschäftigen wir uns zu Hause.“ Der Schnee der vergangenen Wochen kam daher gerade recht: „Schlittenfahren und im Schnee herumkrabbeln“, das seien echte Höhepunkte gewesen. Corona-Lockdown: Mit Videotelefonaten gegen das Alleinsein: Was er am meisten vermisse seien die Treffen mit Freunden. In einer Gruppe etwas zu unternehmen, „mit sieben, acht Leuten Fahrradfahren zum Beispiel“. Oder einfach zusammen zu sitzen, zu reden. Über Videotelefonate versuche er, seine Freundschaften zu pflegen. „Zum Glück gibt es das heutzutage.“ Mit einzelnen Personen treffe er sich auch draußen auf Abstand, etwa zum Spazierengehen. Eine kleine Abwechslung gibt es in seinem Alltag: Der Hobbymaler hilft im Ahrensböker Jugendzentrum, die Wände mit seiner Kunst zu verschönern und die Räume zu renovieren. „Da ist ja momentan nichts los und ich kann in Ruhe arbeiten.“ Es seien willkommene kleine Fluchten aus dem häuslichen Alltag mit Kleinkind. Ansonsten hoffe er auf positive Nachrichten von der Bundeswehr, wo er sich für eine Ausbildung als Sanitäter beworben hat. Schon Ende des Jahres könnte es losgehen – dann, wenn alles hoffentlich wieder „normal“ ist. Online-Training ersetzt nicht das gemeinsame Handballspiel: Tilde hat ein Hobby, das in ihrem Alltag viel Raum einnimmt – und das sie nun seit bald einem Jahr nicht wirklich ausüben kann. „Das Handballspielen fehlt mir sehr“, sagt die 15 Jahre alte B-Jugend-Spielerin der HSG Wagrien. Drei Mal die Woche Training, dazu ein Spiel am Wochenende: Das ist Tildes Pensum, wenn nicht gerade Pandemie herrscht. „Ein Mal die Woche bietet der Trainer eine freiwillige Videokonferenz an, als Workout“, erzählt die junge Oldenburgerin. Zusätzlich versuche sie, wie ihre Teamkolleginnen auch, sich individuell fit zu halten. Doch: „Das Zusammensein und das Zusammenspielen als Team, überhaupt der Teamgeist sind dadurch absolut nicht zu ersetzen.“ Quälende Phasen der Langeweile: „Was soll ich machen?“: Ja, das Handballtraining fehle ihr tatsächlich noch mehr als die Schule. Die Schülerin der Freiherr-vom-Stein-Schule in Oldenburg fühlt sich beim Homeschooling recht gut und abwechslungsreich betreut. „Das bekomme ich organisiert, damit komme ich ganz gut klar.“ Quälend sei für sie die Langeweile. „Es gibt Momente, wo ich nicht mehr weiß, was ich noch machen soll“, sagt die 15-Jährige. Sport, Spaziergänge mit der besten Freundin, Einkäufe erledigen . . . und immer wieder Hausaufgaben. So gehen die Tage dahin. Corona bestimmt die Gespräche der Jugendlichen: „Ich glaube, Corona ist für alle schlimm, aber für uns Jugendliche ganz besonders, weil wir sonst so aktiv sind und viel unternehmen“, sagt Tilde. Sich mit mehreren Leuten zu treffen fehle ihr, „einfach mal ins Kino zu gehen oder shoppen, sich einen schönen Abend machen“. Das Vermissen der Freunde sei in Gesprächen meist das Thema Nummer eins, und Corona generell. „Dass sich alles so in die Länge zieht und kein Ende absehbar ist“ sei dabei am schlimmsten. Tildes größer Wunsch: ihre Freundinnen und Freunde wieder öfter zu sehen. Und zwar endlich nicht mehr nur auf dem Bildschirm. Von Annika Langhagel