Rücksichtslose Autofahrer: Gefährliche Einsätze für Rettungskräfte in Ostholstein

Der Pieper geht und Alexander Schmuck und Christoph Kasch springen auf. Jetzt geht es im Zweifel um wertvolle Minuten. Ein kranker Mensch braucht Hilfe – das Stichwort „Herzrhythmusstörung“ steht auf dem Einsatzmelder. Mehr wissen der Notarzt und der Notfallsanitäter zu diesem Zeitpunkt nicht. Binnen nicht mal einer Minute sitzen sie im Notarzteinsatzfahrzeug und verlassen das Gelände der Rettungswache in Eutin. Was dann folgt, ist für die Einsatzkräfte immer wieder gefährlich. „Bei jeder Einsatzfahrt erleben wir mindestens zwei brenzlige Situationen im Straßenverkehr“, erzählt Alexander Schmuck, der seit gut einem Jahr als Notarzt unterwegs ist. Mehr als 300 Einsätze hat er seitdem geleistet. Passiert ist ihm bisher nichts. Gefährlich war es dafür häufig. „Wir versuchen immer, unsere Fahrweise dem Einsatz anzupassen. Aber wir wissen nicht, was uns erwartet und müssen daher immer zügig voran kommen“, erzählt Schmuck. „Es sind zwei konkurrierende Probleme, die wir bewältigen müssen. Zum einen müssen wir schnellstmöglich zum Einsatzort kommen. Zum anderen müssen wir auf uns und die anderen Verkehrsteilnehmer aufpassen“, sagt der 33-Jährige. Doch das wird immer schwerer. Denn viele Autofahrer machen keinen Platz oder verringern ihre Geschwindigkeit nur minimal. „Wir können schon froh sein, wenn ein Verkehrsteilnehmer von 100 auf 70 Km/h abbremst“, ergänzt Christoph Kasch. Riskante Überholmanöver: Besonders erschreckend: Oft halten Autofahrer in einer Kolonne an und andere nutzen die Gelegenheit zum Überholen. „Das geht gar nicht und ist unfassbar gefährlich“, sagt Kasch (44). Sowohl der Notfallsanitäter als auch der Notarzt stellen fest, dass die gefährlichen Situationen zunehmen. Dafür gibt es aus Sicht von Alexander Schmuck insbesondere drei Faktoren. „Zum einen sind viele Verkehrsteilnehmer überfordert, wenn sie ein Martinshorn hören“, erzählt er. Doch das ist Vorgabe. Sind Blaulicht und Martinshorn nicht an, hat das Einsatzfahrzeug auch kein Wegerecht und dürfte beispielsweise nicht über rote Ampeln fahren. Das gilt auch nachts. Den zweiten Grund sieht der 33-Jährige in der fortschreitenden Technik. „Die Fahrzeuge sind schallgedämpfter, und wenn die Musik laut ist, dann hören die Fahrer das Martinshorn häufig erst relativ spät.“ Aber auch Treckerfahrer reagieren oft zu spät, weil sie wegen der Lautstärke des Fahrzeugs und des Gehörschutzes meist nur im Rückspiegel die Fahrzeuge bemerken. Autofahrer werden rücksichtsloser: Der dritte Grund aber macht Alexander Schmuck immer wieder fassungslos. „Die Ignoranz und die Rücksichtslosigkeit nehmen zu“, sagt er. „Das eigene Weiterkommen ist vielen wichtiger.“ Oft würden Verkehrsteilnehmer keinen Platz machen, obwohl sich Möglichkeiten bieten. „Im Einzelfall geht es immer nur um Sekunden, die wir durch solche Situationen verlieren. Aber die Masse macht’s. Da bekommen wir ein Problem, wenn beispielsweise jemand reanimiert werden muss“, sagt Schmuck. Auf der Fahrt zu dem Patienten mit der Herzrhythmusstörung passiert der Klassiker. Die Fahrzeuge auf der Landstraße zwischen Eutin und Ahrensbök vor dem Notarzteinsatzfahrzeug bremsen kaum ab. Christoph Kasch setzt zum Überholen an und muss dann abrupt einscheren, als Gegenverkehr in Sicht ist. Hätten alle besonnener und rücksichtsvoller reagiert, hätte der 44-Jährige problemlos überholen können. „Wenn das mit einem Rettungswagen passiert und hinten ein Patient drin liegt, sind wir bei der Behandlung manchmal nicht angeschnallt, dann fällt man bei so einem Manöver auch schnell mal hin“, sagt Schmuck. Rote Ampel darf überfahren werden: Grundsätzlich gilt: Wer einem Einsatzfahrzeug Platz macht, sollte deutlich abbremsen oder am besten rechts ran fahren. Denn die schweren Fahrzeuge lassen sich nur langsam beschleunigen und haben deshalb einen langen Überholweg. „Das gilt allerdings nicht in Kurven oder an Bergkuppen, denn dort können wir auch nicht gefahrlos überholen“, ergänzt Schmuck. Und auch, wenn ein Rettungswagen entgegenkommt, ist Obacht geboten. Auch hier gilt es, am besten rechts ran zu fahren. 13 Notfallsanitäter und Rettungssanitäter sind auf der Rettungswache der Johanniter-Unfallhilfe in Eutin gleichzeitig im Einsatz. Dazu kommt immer ein Notarzt. Diese haben grundsätzlich 24 Stunden Dienst, wovon 16 Stunden Bereitschaftsdienst sind. Den Notarzt stellt die Sana-Klinik. Wenn Alexander Schmuck nicht auf dem Notarzteinsatzfahrzeug im Einsatz ist, ist er als Anästhesist in der Klinik tätig. Der Rettungsdienst wird als öffentliche Einrichtung des Kreises betrieben. Die insgesamt acht Rettungswachen im Kreis werden vom Arbeiter-Samariter-Bund, dem Deutschen Roten Kreuz, der Johanniterunfall-Hilfe und dem Malteser Hilfsdienst betrieben. Außerdem wird der Rettungshubschrauber Christoph 12 besetzt. Was viele nicht wissen: Wer einem Einsatzfahrzeug Platz machen muss, darf sogar mit überhöhter Geschwindigkeit den Weg frei machen oder über eine rote Ampel fahren. Löst in diesem Fall ein Blitzer aus, lässt sich das im Nachhinein klären. Wer Einsatzfahrzeuge behindert, dem drohen dagegen deftige Bußgelder. Bis zu 240 Euro können fällig werden, dazu gibt es ein Fahrverbot und Punkte in Flensburg. Von Maike Wegner

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