Schleswig-Holstein: Ausflug an die Ostsee -Rituale gegen den Lockdown-Blues

„Wir haben das spontan beim Frühstück beschlossen“, sagt Miriam Raffalt aus Reinbek. Die 43-Jährige hat ihre drei Töchter in den Bulli gepackt und ist mit ihnen nach Niendorf gefahren – erst eine Runde Spielplatz, dann mit Sandutensilien und großer Thermoskanne ab an den Strand, so der Plan. „Die Bude“, erzählt die erst kürzlich aus Bayern hergezogene Raffalt, „sah einfach zum Flüchten aus.“ Sie lacht. „Und so schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe: Es gibt Pommes, also muss ich nicht kochen, und die Wohnung ist später nicht ganz so verwüstet.“ Kurz vor Abfahrt habe sie noch eine Waschmaschine angeworfen – alles eine Frage der Organisation. Ihr Mann sei arbeiten, wie am Tag zuvor auch schon, die Töchter Elisabeth (1), Mathilda (4) und Theresa (6) zeigten Bewegungsdrang. „Jetzt, hier, sind wir ganz glücklich“, sagt Raffalt und klettert zu den Kindern auf ein Spielplatz-Schiff. Die kleinen Freuden im Lockdown: Frische Luft und ein Snack „auf die Hand“: Was man bloß unternehmen könne trotz des Lockdowns hatten sich am Morgen auch die beiden befreundeten Ehepaare gefragt, die sich am gut besuchten Imbiss Hafen-Eck gut gelaunt über ihre Fritten hermachen. Draußen sollte es sein, so die Vorgabe, „denn wenn man ehrlich ist, fällt einem doch wirklich langsam die Decke auf den Kopf“, sagt Birgit Finke-Sel (67) aus Lübeck. Lesen Sie auch Kaffee, Crepes & Co: Das gibt es am Sonntag in Scharbeutz trotz Lockdown Poesie mit 84: Seniorin aus Timmendorf macht Hoffnung in Corona-Zeiten Ostholstein 2021: Viele Pläne für Konzerte und Kultur nach dem Lockdown So habe man gehofft, dass der Imbiss geöffnet hat, und sich auf den Weg nach Niendorf gemacht. „Das kulinarische Highlight der letzten Wochen“, sagt Stephan Heinrich (65) aus Reinfeld nicht ohne Ironie. Hätten sie einen Menschenauflauf vorgefunden, wären sie sofort umgekehrt, sagt Finke-Sel. Doch, ein Glück, es sei genug Platz. „Gut, dass wir es gewagt haben.“ Strand-Besuche: Kleine Lockdown-Ausflüge gegen die Eintönigkeit zu Hause: Ein Ritual haben sich auch Anna Luther (29) und Christian Jetter (43) aus Lübeck daraus gemacht, mit Sohn Jona (2) jedes Wochenende einen Ausflug zu unternehmen, „immer an eine andere Stelle am Meer“, sagt Luther. Wichtige Voraussetzung: „Ein Spielplatz muss vorhanden sein“, so Jetter. Im Moment sei die Oma zu Besuch, die Situation dadurch recht entspannt, denn Kita-Kind Jona ist derzeit mit Mama und Papa zu Hause. „Aber ab Mittwoch sind wir aufgeschmissen, denn die Oma reist ab“, sagt Luther. Dann hieße es, die gemeinsamen 64 Homeoffice-Arbeitsstunden ohne Kinderbetreuung zu wuppen. „Das ist schon extrem anstrengend.“ Doch daran mag gerade noch niemand denken, jetzt gilt es, die Ruhe und die Weite zu genießen. „Engelchen fliiieg!“, lässt das Paar den kleinen Jona durch die Luft sausen. „Zum Glück gibt mir meine Arbeitgeberin viel Rückhalt“, sagt Luther. „Und zur Not muss ich meine viereinhalb Stunden dann am Abend schaffen.“ Sie denkt positiv: „Immerhin hat Jona noch kein Homeschooling und kann einfach spielen.“ Lockerer und fröhlicher: Sehnsucht nach etwas Normalität: An der Seebrücke verspeisen Eric Holdorff und seine Tochter Lea gerade ein Fischbrötchen. Die beiden haben sich lange nicht gesehen: „Ein ganzes Jahr ist es schon her“, sagt die 25-Jährige und umarmt ihren Vater. Seit zwei Jahren ist sie als Bootsbauer-Gesellin auf Wanderschaft und darf dadurch nicht näher als 50 Kilometer an ihre Heimatstadt Bremen heran. Ein Wanderdasein während Corona? Kein leichtes Unterfangen. „Normalerweise steuert man in einer neuen Stadt eine Gaststätte oder Kneipe an, um dort Kontakte zu knüpfen und Arbeit zu finden.“ Oder auch eine Unterkunft. So habe sie schon manchmal draußen übernachten müssen. „Wir haben ja einen Schlafsack dabei“, nimmt die junge Frau es sportlich. Niendorf kennen ihr Vater und sie beide von früher, daher habe es sie von Lübeck, Leas aktuellem Standort, hierher gezogen. „Zuletzt war ich letzten Sommer hier“, erinnert sich Holdorff. „Da war es wärmer und vor allem lockerer und fröhlicher.“ Kurz wird die Stimmung wehmütig, doch dann sagt Holdorff unter seiner Maske: „Und da kommen wir ja hoffentlich auch wieder hin.“ Von Annika Langhagel