Sereetz: Vater versucht Sohn zu töten, Verteidiger fordert Bewährung

Seit gut zehn Monaten sitzt Lasse P. in Haft, weil er Ende April vergangenen Jahres versucht haben soll, seinen einjährigen Sohn zu töten. In der nächsten Woche wird das Landgericht entscheiden, ob er in der JVA bleibt oder auf freien Fuß kommt. Am Mittwoch, 3. Februar, wurden im Prozess gegen den Familienvater aus Sereetz ein letztes Mal Zeugen und Sachverständige gehört. Dann wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Staatsanwältin fordert vier Jahre Haft: Geht es nach der Staatsanwältin, dann bleibt Lasse P. im Gefängnis. Vier Jahre Haft forderte sie für die Tat, die sich an dem Aprilmorgen in dem Sereetzer Einfamilienhaus zugetragen haben soll. Der 37-Jährige soll bereits seit längerer Zeit mit der Betreuung des Kindes überfordert gewesen sein. Unter anderem weil er nach eigenen Aussagen aufgrund des Lockdowns eine Depression entwickelt habe. Er soll das Kind am Tattag erst bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und dann versucht haben, ihm das Genick zu brechen. Als er dachte, dass das Kind tot sei, verursachte er auf der A 1 einen Unfall, um sich selbst das Leben zu nehmen. Eine Rechtsmedizinerin bestätigte vor Gericht, dass es großes Glück sei, dass der Junge den Vorfall körperlich unbeschadet überstanden habe. Und auch, dass Lasse P. den Sprung vor ein Auto geistig unbeschadet überlebte, wertete sie als glücklichen Umstand. Angeklagter erzählte von Corona-Depression: Die Staatsanwältin sprach von einer „brutalen Tat“. Und sie sagte: „Ich kann nicht nachvollziehen, dass der Lockdown ursächlich dafür sein soll, da die Betreuung erst wenige Tage davor begonnen hatte. Ich denke, das wird hier als subjektive Rechtfertigung herangezogen.“ Fest steht: Lasse P. war heillos überfordert. Mit sich, der Familie und der Kinderbetreuung. Die psychiatrische Sachverständige Dr. Mariana Wahdany bestätigte das. Lasse P. habe in relativ kurzer Zeit eine depressiv gefärbte Anpassungsstörung entwickelt. Er hatte Suizidgedanken, suchte in einer Klinik um Hilfe, nahm Antidepressiva. Doch die konnten zum Tatzeitpunkt mutmaßlich noch keine Wirkung entfalten. „Weil sie nach zwei Wochen erst beginnen zu wirken“, sagte Wahdany. „Die Steuerungsfähigkeit von Lasse P. war zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert, aber ich denke, nicht vollkommen aufgehoben.“ Lasse P. hatte die Tat im Prozess gestanden: Das nahm auch die Staatsanwältin als Grundlage. „Die Steuerungsfähigkeit ist auch aus meiner Sicht nicht aufgehoben“, bestätigte sie. Sie hielt dem Angeklagten allerdings neben der Anpassungsstörung seine Reue zu Gute. „Das nehme ich ihm voll ab. Wir haben Lasse P. hier als jemanden erlebt, der schonungslos ehrlich berichtet hat.“ Das wurde auch deutlich, als die Rechtsmedizinerin Bilder des verletzten Kindes zeigte. Lasse P. vergrub das Gesicht in seinen Händen, schluchzte, vermied jeden Blick zur Leinwand, auf der die Bilder zu sehen waren. Außerdem hatte sich der Angeklagte bisher nichts zu schulden kommen lassen. Der Verteidiger von Lasse P. fasste das so zusammen: „Wir haben es hier nicht mit einem Kriminellen zu tun, sondern mit jemandem, der aufgrund seiner Erkrankung dem Impuls nicht Einhalt gebieten konnte.“ Lasse P. habe mehrfach im Vorfeld der Tat um Hilfe gebeten. Unter anderem wollte er sich in die Uniklinik Lübeck einweisen lassen – ohne Erfolg. „Wenn nicht einmal ein Arzt die Lage richtig eingeschätzt hat, wie sollte der Angeklagte das dann tun?“, fragte der Verteidiger. Die Familie wartet auf Lasse P. Die Steuerungsfähigkeit sei aus seiner Sicht daher vollumfänglich aufgehoben. Er legte die Höhe der Strafe ins Ermessen des Gerichtes und ergänzte: „Ich beantrage, dass die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird.“ Denn der Angeklagte habe einen „sozialen Empfangsraum“, falls er aus dem Gefängnis entlassen werden würde. Der Vater bot ihm an, dass er vorerst bei ihm wohnen könne. Und auch die Ehefrau hatte bereits betont, dass sie den Angeklagten wieder in die Familie integrieren möchte. Wie das in der Praxis aussehen soll, darüber herrschte auch im Prozess Unsicherheit. Zwar betonte Mariana Wahdany, dass sich Kinder in den ersten drei Jahren kognitiv an nichts erinnern können. „Allerdings wird sicher ein emotionaler Bruch spürbar sein“, sagte sie. Psychologische Hilfe für das Paar sei unverzichtbar. Auch würden vermutlich alle Beteiligten künftig eher auf Warnzeichen wie Schlafstörungen achten, und im Zweifel besser reagieren können. Lesen Sie auch Corona-Depression: Mann aus Sereetz wollte seinen Sohn (1) töten Wegen Corona: Vater gesteht unter Tränen, Sohn (1) gewürgt zu haben Tötungsversuch nach Corona-Depression: Familie hält vor Gericht zum Angeklagten Die Staatsanwältin betrachtete das Ganze kritischer. „Ich halte es für naiv, wenn die Familie davon ausgeht, dass in einem Ort wie Sereetz niemand von der Tat und den Hintergründen weiß.“ Irgendwann müsse man dem Kind dann erklären, warum andere Kinder nicht zum Spielen kommen dürften. „Der Angeklagte kann nicht einfach aus der Haft entlassen werden und in die Familie zurückkehren.“ Lasse P. selber formulierte es in seinem letzten Wort so: „Es tut mir wirklich leid, ich wollte das alles nicht. Ich weiß, dass es viel Arbeit sein wird. Aber ich möchte nach der Haft versuchen, wieder Teil der Familie und des Lebens zu werden.“ Am 10. Februar wird das Urteil erwartet. Von Maike Wegner