Stockelsdorf: Mehr Verzicht? Pastor erzählt über das Fasten im Lockdown

Über den Sinn der bevorstehenden Fastenzeit haben die LN mit dem Stockelsdorfer Pastor Wolfram Glindmeier gesprochen. Fasten bedeutet Verzicht. 40 Tage dauert die Fastenzeit vor Ostern. 40 Tage auf etwas verzichten, was einem gefällt – wozu soll das gut sein? Eigentlich geht es um das Bewusstmachen von dem Wert von Leben oder dem Wert von dem, was man hat, und nicht so sehr darum, Verzicht an sich zu üben. Christlich angebunden ist das Fasten an das Leiden Christi. Es geht darum, ein Gespür dafür zu kriegen, was Leiden bedeuten oder was Verzicht bedeuten kann. Oder was bedeuteten kann, etwas zu vermissen. Deswegen nennen wir Christen das auch eher Passionszeit und nicht Fastenzeit, weil „Passion“ Leiden bedeutet und diese Zeit eher mit dem Leiden zu tun hat. Warum sollen die Leute jetzt noch mal extra freiwillig auf etwas verzichten, wo doch schon alle seit einem Jahr gezwungenermaßen auf sehr viel verzichten, besonders auf soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten? Da bin ich mit ganz vielen Theologen aus ganz Deutschland eigentlich der selben Meinung, dass es hierbei eigentlich nicht mehr darum geht, auf noch mehr zu verzichten. Deswegen bin so sehr für die Aktion der evangelischen Kirche, die da heißt „Spielraum! Sieben Wochen ohne Blockaden“. Da geht es darum, eher noch mal nach anderen Möglichkeiten zu gucken und nicht darum, noch mal mehr auf etwas zu verzichten. Sondern es geht darum, zu gucken, welche Spielräume haben wir, um Kontakte zu finden oder neu zu erschaffen. Es geht darum, Mut zu haben, andere Wege zu gehen. Und dann kann “Sieben Wochen ohne“ auch ein Bewusstmachen vom Wert des Lebens sein. Deswegen geht es in der Passionszeit nicht nur um Verzicht, sondern um das Bewusstmachen vom Wert des Lebens. Und das kann man jetzt auch ganz gut machen in der Pandemie – sich fragen, was ist mir wichtig, was ist für mich wertvoll im Leben? Was möchte ich gerne leben, was möchte ich intensivieren? Wie kann sowas praktisch aussehen? Zum Beispiel schreiben die Senioren einen Brief an die Kinder in den Kindertagesstätten. Oder unsere Konfirmanden, die schreiben jetzt Briefe an die Menschen im Altenheim. Und das hat was von Kontakt und Wert. Diese Idee ist in der Pandemie entstanden. Lesen Sie auch Schleswig-Holstein: So helfen die Soldaten im Kampf gegen Corona Stockelsdorf: In Arfrade gibt es Gemüsegärten zum Mieten Glasfaser kommt: Kernort Stockelsdorf rüstet digital auf für Turbo-Internet Vor Corona war es ja so, dass viele versucht haben, während der Fastenzeit auf relativ einfache Dinge des Genusses zu verzichten wie Schokolade oder Rotwein. Würden Sie dazu als Idee auch in der Pandemie raten? Also Bewusstmachen von Leben, das heißt für mich auch, ein bisschen gesünder leben. Und vielleicht etwas mehr von dem einen nehmen und etwas weniger von dem anderen. Was planen Sie für sich persönlich in der Fastenzeit? Ich habe mir vorgenommen, deutlich mehr Obst zu essen. Hat die Pandemie dazu geführt, dass Sie das Fasten jetzt ein bisschen anders betrachten? Ja, ganz klar. Wir verzichten ja schon auf so viel. Also welchen Sinn hat es dann noch, jetzt auf noch mehr zu verzichten, wenn man über den Wert des Lebens nachdenkt? Der lange Lockdown schlägt bei so ziemlich jedem inzwischen auf die Stimmung. Wir wirkt sich denn so eine Stimmung auf die Motivation aus, freiwillig auf noch etwas zu verzichten? Das ist schwer und macht in dieser Lage wenig Sinn. Es geht mehr darum, das Leiden bewusst wahrzunehmen, denn es gibt unglaublich viel Leiden. Krankheit zum Beispiel – das ist jetzt ganz massiv. Wenn man mal so rumhört und mitkriegt, wer alles schon Corona hatte und wie unterschiedlich die Verläufe sind, dann ist das manchmal wirklich schon sehr erschreckend. Da gibt es ganz viel Leiden. Und dann gibt es auch noch das Existenzleiden mit der Bedrohung, wie viele Geschäfte machen zu. Und dieser Blick darauf, welche Spielräume es noch gibt, dieser Blick kommt durch die Pandemie. Die Leidensfähigkeit durch einen extra Verzicht zu prüfen, das muss also nicht sein in der Fastenzeit mitten in der Pandemie? Nein, das muss nicht sein. Jetzt geht es darum, sich des Leidens bewusst zu sein. Das darf jetzt aber auch nicht Verdrängung sein, dass man sagt, ich will da jetzt nichts mehr von wissen. Andere Wege finden, wie man wieder zueinander findet, darum geht es jetzt. Kinder, die nicht mit anderen spielen dürfen, Schüler, die über Monate zu Hause sitzen – das ist nicht wirklich gut. Da muss man gucken, welche Spielräume man hat. Wie motivieren Sie sich für Ihr persönliches Fastenziel, mehr Obst zu essen? Gute Frage. Eigentlich kommt es tatsächlich aus dem Verzicht. Wir haben zur Zeit so wenige Kontakte und sind so wenig draußen. Deswegen versuche ich, jeden Tag spazieren zu gehen, was für meine Gesundheit zu tun. Und dazu gehört für mich auch, jeden Tag Obst zu essen. Das ist eigentlich ein Bewusstsein für Leben und Gesundheit. Und ich glaube, das ist jetzt allgemein mehr geworden bei den Leuten in der Pandemie. Denn was bedeutet der Begriff Gesundheit eigentlich? Die Gesundheit ist sehr brüchig geworden in der Pandemie. Und zu merken, Gesundheit liegt auch an solchen einfachen Sachen wie Obst und Vitaminen – das ist eigentlich meine Motivation. Haben Sie selbst schon mal „gesündigt“ während der Fastenzeit? Ja. (Er lacht.) Schokolade – das habe ich irgendwann mal nicht ganz durchgehalten. Und dann gab es mal Medienverzicht. Da habe ich gemerkt, wie schwierig das ist, auf Medien zu verzichten, wie abgeschnitten man ist, wenn man auf Fernsehen, Radio und Zeitungen verzichtet – das fand ich richtig schwierig. Und das habe ich auch nicht gut durchgehalten. Was genau hat Ihnen gefehlt beim Medienverzicht? Der Kontakt in die Welt hinein, das hat mir sehr gefehlt. Das hatte ich mir so vorher nicht vorgestellt. Was ist der Unterschied zwischen freiwilligem Fasten und erzwungenem Fasten? Das freiwillige Fasten hat was Spirituelles, da geht es um eine Bewusstseinshaltung, den Wert des Lebens spüren oder das Leiden spüren. Diesen Wert kann man auch nur erkennen, wenn man es freiwillig tut. Das erzwungene Fasten hat einen Zweck. Es ist der Zweck, andere zu schützen, etwas zu vermeiden, etwas nicht zu tun, um etwas anderes zu haben. Das erzwungenen Fasten erweitert das Bewusstsein nicht? Nein. Und wenn, dann nur bedingt. Haben Sie einen Tipp, wie man das Fasten durchhält? Wenn man sich Mitstreiter sucht, dann geht es einfacher. Das würde auch über Videochat-Räume gehen. Was glauben Sie, wie die Mitmach-Quote bei der Fastenzeit 2021 ist? Ich glaube nicht, dass es in diesem Jahr viele gibt, die beim Thema des reinen Verzichts jetzt noch mal extra einen obendrauf setzen. Deswegen ist die Aktion, Spielräume zu eröffnen, die positive Form davon. Wenn sich viele darauf einstellen, dann kann das Leben schaffen. Fasten ist nämlich nicht zu verzichten, sondern auch, einen Wert miteinander zu finden. Von Doreen Dankert