Tennet zur Ostküstenleitung: Darum soll die Stromtrasse anders verlaufen

Die Ostküstenleitung sorgt in Ostholstein weiter für Diskussionsbedarf. Viele Kommunen sind mit der neuen Trassenführung entlang der Autobahn und künftigen Belttrasse nicht einverstanden. Vor allem wurde dem Netzbetreiber mangelnde Kommunikation vorgeworfen. Das möchte das Unternehmen jetzt ändern. Projektleiter Till Klages und Unternehmenssprecher Mathias Fischer erklären, wie es zu dem Kursschwenk gekommen ist und wie es weitergeht mit der 380-kV-Trasse. Anstelle einer in einem Dialogverfahren erarbeiteten Binnenlandtrasse, möchte Tennet die Ostküstenleitung entlang der künftigen Belttrasse bauen. Was spricht für diesen Trassenverlauf? Till Klages: Erst einmal hatten wir die Trasse entlang der A 1 auch im Dialogverfahren. Der Grund, dass sie sich nicht durchgesetzt hat, war, dass wir noch nicht alle Informationen hatten, die wir heute haben. Seit dem Dialogverfahren haben wir genau kartiert, uns Vogelzug und Schutzgebiete angesehen und uns auch technische Engstellen genauer anschauen können. Dabei herausgekommen ist, dass einige der Konflikte, die wir im Dialogverfahren gesehen haben, jetzt nicht mehr bestehen. Zudem nutzt die neue Trasse Vorbelastungen. Da ist schon eine Autobahn, die die Landschaft prägt, dort ist die Schienenanbindung der festen Fehmarnbeltquerung geplant. Auch ist die neue Vorzugsvariante deutlich kürzer. Sie betrifft also weniger Menschen und kostet weniger. Das ist wichtig, weil der Stromkunde die Kosten für den Ausbau tragen muss. Für Tennet macht es finanziell also keinen Unterschied, ob die alte oder neue Vorzugsvariante umgesetzt wird? Till Klages: Nein, die Kosten für so ein Netzausbau-Projekt werden komplett auf den Stromkunden umgelegt. Weil das so ist, sind wir aber angehalten, die Kosten niedrig zu halten. Darüber wacht die Bundesnetzagentur. Sie haben von Konflikten gesprochen, die heute nicht mehr bestehen. Welche sind das? Till Klages: Ein Grund für den Binnenlandkorridor war damals der Wasservogelzug. Die Vögel kommen über die Lübecker Bucht angeflogen und man weiß, dass sie über dem Wasser flach fliegen und an Land aufsteigen. Eine Leitung im Binnenland, so dachten wir damals, ist für diese Vögel also besser. Jetzt haben wir über Jahre hinweg Zählpunkte eingerichtet, Ornithologen haben geschaut, welche Vögel auf welcher Flughöhe an Land ankommen. Dabei ist herausgekommen, dass die anfluggefährdeten Vogelarten die Küste deutlich höher anfliegen, als wir angenommen hatten. Sie sind durch eine küstennahe Leitung gar nicht so sehr gefährdet, wie wir ursprünglich angenommen hatten. Zudem gibt es nun Erfahrungen mit Erdseilmarkierungen, die dafür sorgen, dass die Vögel die Leitung besser wahrnehmen und somit das Kollisionsrisiko weiter vermindert wird. Ein anderer Punkt sind zum Beispiel geschützte FFH-Wälder in Scharbeutz, von denen wir dachten, wir müssten sie umgehen oder erhebliche Eingriffe in den Wald vornehmen. Während des Dialogverfahrens wussten wir noch nichts über die Gelände-Topologie, wir wussten nicht, wie hoch die Bäume sind. Jetzt ist klar, dass wir in dieses Gebiet nur einen Mast stellen müssen und das in einem Bereich, der gar nicht so hochwertig ist. Der übrige Wald kann so ohne Eingriff überspannt werden. Das klingt alles logisch und nachvollziehbar. Aber wenn man damals so wenig wusste, warum hat man dieses Dialogverfahren überhaupt beendet? Mathias Fischer: Das ist ein wenig das Dilemma: Der Prozess sieht eine frühe Beteiligung vor und auch, dass eine Vorzugsvariante vorgelegt wird. Wir können der Planungsbehörde nicht zehn Vorschläge vorlegen und sagen „sucht euch den besten aus“. Wir mussten eine Entscheidung treffen. Bis Ende 2019 dachten wir auch selbst noch, dass es bei der Binnenlandvariante bleibt, erst Mitte dieses Jahres hat sich gezeigt, dass wir in größerem Umfang neu planen müssen. Es ist nicht so, dass wir das jahrelang wussten. Wie wollen Sie die Kommunikation jetzt verbessern? Mathias Fischer: Wir führen nun Kommunaldialoge, zu denen die Gemeinden ihre Fachplaner mitbringen können. Leider sind dazu aufgrund der Corona-Beschränkungen nur wenige Personen zugelassen, das ermöglicht positiv gesehen sehr detaillierte Gespräche. Dazu planen wir Info-Märkte für die Bürger im Frühjahr 2021. Wir hoffen, dass diese persönlich stattfinden können. Wenn nicht, können wir sehr individuelle digitale Formate anbieten. Einige Gemeinden fordern, dass Sie das Verfahren stoppen bis umfassende Informationsveranstaltungen wieder möglich sind. Ist das eine Option? Till Klages: Nein, das ist keine Option. Wir haben den gesetzlichen Auftrag diese Leitung zu bauen, die zur Energieversorgung benötigt wird. Wir können das Projekt kein halbes Jahr stilllegen, denn das würde bedeuten, Windkraftanlagen können ihren Strom erst ein halbes Jahr später voll einspeisen. Das bedeutet auch, der Stromkunde müsste ein halbes Jahr mehr für entgangene Einspeisung bezahlen. Der Staatssekretär im Umweltministerium hat vor einiger Zeit betont, dass beim Trassenverlauf noch alles offen ist. Wie sicher können Sie sein, dass am Ende die Beltvariante umgesetzt wird? Mathias Fischer: Rein technisch sind mehrere Varianten möglich. Unser Anliegen ist es, möglichst die optimale Variante auf Grundlage unserer Daten einzubringen. Wenn am Ende eine andere Entscheidung getroffen wird, dann wird die umgesetzt. Anwohner nun betroffener Orte haben Ängste aufgrund der Nähe der 380-kV-Leitung geäußert. Können Sie diese Ängste nehmen? Till Klages: Von einer Freileitung gehen elektrische und magnetische Felder aus. Das ist bei jedem stromdurchflossenen Leiter so. Auch bei den Stromleitungen in der Wand. Für diese Felder hat der Gesetzgeber Grenzwerte vorgegebenen, die wir auch direkt unter unserer Leitung unterschreiten. Rein objektiv muss man sagen, dass von dieser Leitung keine dauerhafte Gefährdung ausgeht. Aber würden Sie unverhofft an einer 380-kV-Leitung wohnen wollen? Mathias Fischer: Also ich muss sagen, ich bin aufgewachsen mit dem Blick auf Stromleitungen. Für mich persönlich ist das keine Bedrohung. Natürlich ist das subjektiv, doch Deutschland ist ein Industrieland und dazu gehören solche Stromleitungen – auch wenn sie optisch das Landschaftsbild verändern. Lesen Sie auch: Ostküstenleitung in Ostholstein: Land hält alle Trassen für möglich Ostküstenleitung am Oldenburger Bruch: Stromtrasse wird Freileitung Ostholstein: Kreistag wehrt sich gegen 380-kV-Stromtrasse von Tennet Von Luisa Jacobsen