Timmendorfer Strand: Wie Melanie Puschaddel-Freitag die Probleme anpackt

Das Leben in der Gemeinde Timmendorfer Strand wird zurzeit von zwei großen Themen beherrscht: dem Ansturm der Touristen in Zeiten der Corona-Pandemie und den Querelen um Bürgermeister Robert Wagner (parteilos), über dessen Abwahl die Einwohner voraussichtlich noch in diesem Jahr abstimmen werden. So viel politisches Getöse es um Wagner in den vergangenen Wochen gab, so still war Timmendorfer Strand in der Debatte um überfüllte Strände und Tagestouristen. Seit einiger Zeit nimmt das zweite Thema Fahrt auf. Auch im Timmendorfer Rathaus und der Verwaltung der Gemeinde mit knapp 9000 Einwohnern ist wieder mehr Leben zu spüren. Das Heft hat eine Frau in die Hand genommen: Melanie Puschaddel-Freitag (CDU), erste stellvertretende Bürgermeisterin, die zurzeit ehrenamtlich für den erkrankten Wagner die Amtsgeschäfte führt. Lübecker Nachrichten (LN): Wie viele Stunden verbringen sie zurzeit im Rathaus? Sind es mehr als vor Corona? Puschaddel-Freitag: Ich verbringe jetzt häufig täglich bis zu zehn Stunden ehrenamtlich im Rathaus beziehungsweise auf Außenterminen. Es ist tatsächlich viel, was jetzt alles zusätzlich wegen Corona geregelt werden muss. Aus Timmendorfer Strand hat man lange nichts gehört. Vor allem auch nicht am Wochenende um den 1. August, als die Bäderorte überlaufen waren. Wie kommt es, dass Scharbeutz mit seinen Maßnahmen immer präsent und Timmendorf so still war? Wir haben uns frühzeitig für Lenkung anstatt Sperrung entschieden. Mit Sperrungen hat man natürlich erst mal mehr Aufmerksamkeit, man muss das allerdings genau abwägen. In Absprache mit dem Kreis und dem Land haben wir uns auch aufgrund von gesetzlichen Vorgaben gegen Sperrungen entschieden. Lenkung bedeutet für uns, dass wir mit Bannern vom Hotspot Timmendorfer Strand zum etwas ruhigeren Niendorf lenken. Das hat gut funktioniert. Am letzten Wochenende haben wir allerdings erkannt, dass weitere Maßnahmen erfolgen müssen. Tagestouristen kamen trotz Appell nach Timmendorf: Mittlerweile hat Timmendorfer Strand die Reißleine gezogen und Tagestouristen gebeten, den Ort zu meiden. Ein Appell, der offenbar zunächst ungehört verhallte. Angesichts der Hitze waren die Großparkplätze in der Gemeinde rappelvoll, strömten die Menschen in Scharen zur Ostsee. Dafür, dass sie ausgeladen werden, hat nicht jeder Verständnis. LN: War das Wochenende vom 1. August die Initialzündung, die Maßnahmen, die Sie jetzt getroffen haben, auf den Weg zu bringen? Puschaddel-Freitag: Nein, es war eine Initialzündung, um zu sagen, dass wir die Kommunikation noch verändern müssen. Wir haben natürlich schon vorher Maßnahmen eingeleitet, aber wir haben festgestellt, dass unsere Informationen die Menschen schon vor Ort, zu Hause erreichen müssen, damit sie gar nicht erst losfahren. Wenn die Besucher, wie am letzten Wochenende schon drei Stunden im Stau gestanden und zwei Stunden einen Parkplatz gesucht haben und dann noch zwei Stunden am Strand anstehen beziehungsweise nicht an den Strand gelassen werden können, dann macht ein Tagesausflug im Moment unter Corona-Bedingungen leider keine Freude. So sehr wir uns ansonsten über jeden Tagesgast freuen, müssen wir zurzeit den Appell, die Hotspots zum Schutze aller zu meiden, erneuern. Wäre in den Wochen vorher nicht mehr Kooperation mit Scharbeutz angebracht gewesen? Wie weit stimmen sich Scharbeutz und Timmendorfer Strand und die Tourismusagentur Lübecker Bucht (Talb) ab? Wir stimmen uns in den Grundsätzen ab. Wir haben uns aber relativ frühzeitig mit allen Beteiligten dafür ausgesprochen, dass wir in unserer Gemeinde keine Sperrung wollen, sondern dass wir eine Lenkung durchführen werden. Das letzte Wochenende hat in beiden Orten gezeigt, dass die Maßnahmen leider nicht ausreichen. Ausgehend von diesen Erfahrungen stimmen wir uns derzeit mit Kreis und Land über weitere Maßnahmen ab, da wir als Gemeinde nicht eigenständig Betretungsverbote aussprechen dürfen. Dieses Thema wird auf der Bürgermeisterkonferenz am Mittwoch, 12. August, mit Landrat Reinhard Sager im Hinblick auf das kommende Wochenende erneut erörtert. Wünschen Sie sich, dass Mecklenburg-Vorpommern wieder Tagestouristen ins Land lässt, um die Lage zu entzerren, oder sind sie für den Gegenvorschlag, auch Schleswig-Holstein für Tagesbesucher zu sperren? Wir halten von generellen Verboten für den Tagestourismus als einziges Mittel nichts, da der übermäßige Ansturm nur an bestimmten Abschnitten und zu bestimmten Zeiten stattfindet. Wir haben allerdings auch das Land aufgefordert, unsere Ordnungskräfte und Strandkorbvermieter mit höherer Polizeistärke zu unterstützen. Darüber hinaus appellieren wir weiterhin an den Verstand der Tagesgäste, an ruhigere Strandabschnitte auszuweichen beziehungsweise in den Abendstunden oder unter der Woche an den Strand zu kommen. Lesen Sie auch: Ärger um Touristenansturm: Strandbesucher zerstören Dünen Großenbrode: Wohnungsbesitzer wollen Adventure-Golf verhindern So könnte der Urlaub an der Küste in 30 Jahren aussehen Timmendorfer Strand nun auch im Strandticker aufgelistet: Der Strandticker ermöglicht, auf einen Blick online festzustellen, welche Strandabschnitte gelb (annähern überlaufen) oder rot (voll und gesperrt) sind. Zuerst waren nur die Strände zwischen Scharbeutz und Neustadt aufgelistet. Seit Freitag ist auch Timmendorfer Strand dabei. Damit ist die Gemeinde nun in die Reihe der Ostseebäder eingeschert, die sich regelmäßig über Besucherströme, Strandbelegung und Tagestourismus äußern. Mitte Mai hatte Bürgermeister Robert Wagner mit einem Paukenschlag aufgewartet, als er Tagestouristen mit Platzverweisen drohte. Danach blieb es weitestgehend still in Sachen Tourismus. Stattdessen bewegte die wachsende Kritik an Wagner die Gemeinde. In der Gemeindevertretung Anfang Juni war ein Abwahlantrag knapp gescheitert. Dafür wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig gewesen. Die CDU hat im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen geschlossen gegen den Antrag gestimmt. LN: Man bekommt den Eindruck, als würde die CDU Herrn Wagner stützen. Ist der Eindruck falsch? Puschaddel-Freitag: Wir haben von Anfang an das Gespräch gesucht, nachdem wir gemerkt haben, dass es in dem einen oder anderen Bereich etwas schwieriger wurde. Wir als CDU wollten gerne, dass die Vorschläge der Kommunalaufsicht, unter anderem Erweiterung des Berichtswesens und Einleitung von Mediationsgesprächen, umgesetzt werden. Wir wollten die Gemeindeverwaltung mit externer Hilfe strukturell anders aufstellen, doch ein von uns gestellter Antrag dazu wurde leider in der Gemeindevertretung nicht angenommen. Das heißt, Sie stehen nicht eisern hinter Herrn Wagner, sondern sehen auch seine Defizite? Uns geht es um die Gemeinde und hier insbesondere um die Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung. Der Bürgermeister ist nur ein Puzzleteil, und wir wollten gerne das ganze Puzzle so ordnen, dass man wieder mit Freude zur Arbeit gehen kann. Wie stehen Sie zu dem Abwahlverfahren und können sie die Chancen einschätzen? Der Anstoß ist jetzt nicht von der Politik gekommen, sondern vom Bürger, der den Bürgermeister ja auch gewählt hat. Ein solches Verfahren sollte immer der letzte machbare Weg sein und von einer breiten Basis getragen werden. Die Chancen so eines Abwahlverfahrens sind immer schwer einzuschätzen. Was wäre der nächste Schritt, wenn die Abwahl scheitert? Dann müssen alle an einen Tisch und man müsste im Sinne des Ortes gucken, dass man wieder eine gemeinsame Arbeitsbasis schafft. Wie groß ist der Schaden, der Timmendorfer Strand entstanden ist? Wir hätten uns gewünscht, dass weniger Porzellan zerschlagen worden wäre. Bis zu einem gewissen Maß kann so etwas wieder gekittet werden. Es gibt aber auch Bereiche, bei denen man ehrlich sagen muss, dass die Chance dafür vorbei ist. Es gibt schon Leute in Timmendorfer Strand, die für eine eventuelle Bürgermeisterwahl in den Startlöchern stehen. Haben Sie vielleicht Ambitionen? Es geht jetzt vorrangig darum, schnellstmöglich eine Lösung zum Wohle der Gemeinde zu finden. Von Susanne Peyronnet